BIBEL AM SONNTAG (6. Osterso/C)

Thomas Söding: Jesus geht – und bleibt doch bei uns

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Lässt Jesus Christus die Gläubigen in Stich? Selbst seine Jünger hatten diese Furcht. Doch ist sie unbegründet, wie Jesus darlegt.

 

Im Abendmahlsaal reagiert Jesus nach dem Johannes-Evangelium auf eine namenlose Angst seiner Jünger. Sie haben nicht nur Angst vor dem Tod, dem Jesus jetzt ins Auge sieht. Sie haben auch die Angst, dass Jesus sie durch seine Auferstehung im Stich lässt: weil er sich aus der irdischen Misere in den Himmel rettet, sie aber allein zurückbleiben müssen.

Was Jesus aber seinen Jüngern sagt, ist eine zweifache Verheißung. Die erste Zusage: Er geht nicht, um zu fliehen, sondern um wiederzukommen; und er kommt wieder, um sie mit sich zu Gott zu nehmen – nicht am Tod vorbei, sondern durch den Tod hindurch, so wie auch sein eigener Weg den Tod nicht verdrängt oder überspringt, sondern annimmt und dadurch zu einem Tor ins ewige Leben macht.

Gewissheit: Alles wird gut

Die Lesungen vom 6. Sonntag der Osterzeit / Lesejahr C zum Hören finden Sie hier.

Die zweite Zusage: Die Jünger bleiben nicht allein zurück. Jesus schickt ihnen und der gesamten Glaubensgemeinschaft einen Beistand. Das griechische Wort „parakletos“ heißt wörtlich: der Herbeigerufene. Der Paraklet ist ein Anwalt, der einer bedrängten, verfolgten, entrechteten, angeklagten Person beisteht und ihre Sache verficht. Der Paraklet ist auch ein Tröster: einer, der Nähe sucht und Trauer aushält, einer, der mit Gewissheit sagen kann: Alles wird gut.

Dieser Beistand ist ein Geschenk Jesu, das von Gott kommt. Er ist im Johannes-Evangelium der „andere“ Beistand (Joh 14,16), also das Alter Ego Jesu: eine persönliche Vergewisserung, dass Gott Liebe ist, eine spirituelle Macht, die Geschichte schreibt, und eine innere Größe, die Gott zur Sprache kommen lässt.

Geschärfte Erinnerung

 

Der Heilige Geist wirkt, indem er die Erinnerung an Jesus schärft. Erinnerung ist Vergegenwärtigung: eine urbiblische Kategorie, die vom lebendigen Gott getragen wird. Was Gott getan hat, bleibt zu allen Zeiten wichtig. Was er gegenwärtig tut und zukünftig tun wird, ist nicht Willkür, sondern Fortsetzung seines bisherigen Handelns, Verdichtung seiner Treue und Verheißung seiner Heilszukunft.

Diejenigen, die sich erinnern, sind die Menschen, die sich von Gott berühren lassen. Aber sie erinnern sich nicht aus der Kraft ihrer eigenen Imagination, sondern aus der Kraft der göttlichen Inspiration.

Das Evangelium dient der Erinnerung

Inspiration schaltet den menschlichen Verstand nicht aus, sondern ein, und macht die menschliche Erinnerungsarbeit nicht überflüssig, sondern relevant: weil Gottes Geist in, mit und durch die Menschen wirkt, die nicht über Gott herrschen, sondern sich von Gott führen lassen wollen.

Die Erinnerung an Jesus ist die Vergegenwärtigung seiner Sendung und seiner Person, seiner Lehre und seiner Liebe. Das Johannes-Evangelium dient dieser Erinnerung – nicht allein, sondern zusammen mit den anderen Evangelien des Neuen Testaments. Es ist Buch des Glaubens, das den Glauben nährt (Joh 20,30–31).

Wie sich Jesus vergegenwärtigt, ist vielfältig: In der Eucharistie lässt er sich schmecken (Joh 6,51–58). In der Taufe schenkt er Menschen, die glauben, das ewige Leben (Joh 3,3–5). In der Liebe lässt er sie Gottes Liebe zur Welt ausstrahlen. Das Buch des Evangelisten notiert die vielen Orte und die besonderen Zeichen der Gegenwatt Gottes, die vielen Menschen und den einen Menschen Jesus Christus. „Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.“

Sämtliche Texte der Lesungen vom 6. Sonntag der Osterzeit / Lesejahr C finden Sie hier.

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