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Was bedeutet Nächstenliebe konkret? Konkrete Hinweise gibt es in der Heiligen Schrift gleich mehrere.
Das Gebot der Nächstenliebe ist alt und neu zugleich. Es steht im Alten Testament (Lev 19,18) und wird im Neuen Testament an vielen Stellen zitiert. Es ist uralte Überlieferung der Heiligen Schrift und stets aktuelle Herausforderung nicht nur für Juden und Christen, sondern für alle Menschen guten Willens. Die Nächstenliebe ist ein Grundsatz universaler Ethik, der immer der Anwendung bedarf: Sie muss zur Situation und zur Person passen – und zu dem, was nicht nur wünschenswert, sondern möglich, aber auch nicht nur Pflicht, sondern Überzeugung ist.
Derzeit wird das Gebot der Nächstenliebe zu einem Brennpunkt politischer Debatten. Begründet es einen „ordo amoris“, eine Ordnung der Liebe, die es verlangt, sich auf die eigenen Leute zu konzentrieren und Fremde abzuweisen? So hat sich kürzlich der amerikanische Vizepräsident J. D. Vance geäußert, ein katholischer Konvertit. Oder will es ethische Kräfte bündeln und freisetzen, die es erlauben, Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, ohne nach ihrer Herkunft, ihrer Religion, ihrem Geschlecht und ihrem Status zu fragen? So hat sich Papst Franziskus in der Kritik an der Migrationspolitik Donald Trumps geäußert.
Du bist von Gott geliebt
Die Lesungen vom 5. Sonntag der Osterzeit / Lesejahr C zum Hören finden Sie hier.
Die „Liebe“, um die es geht, ist die Liebe Gottes, die weitergegeben wird. Gott, der liebt, sagt: Ich will, dass es dich gibt. Die Nächstenliebe sagt im Namen Gottes: Ich will, dass es dich gibt – aber du bist nicht von meiner Liebe, meiner Anerkennung, meiner Hilfe abhängig, sondern du bist selbst von Gott geliebt, ebenso wie ich. Diese Liebe ist privat, sie ist auch politisch. Kein Staat kann lieben – aber die Menschen, die in einem politischen Gemeinwesen leben, sind keine Untertanen, sondern haben ein Herz, das nach Gerechtigkeit und Frieden auch mit politischen Mitteln suchen lässt.
Nächstenliebe ist keine Fernstenliebe. Zu bekunden, alle Menschen zu lieben, ist billig. Die „Nächsten“ zu lieben, ist wertvoll. Es ist schwer und gut zugleich. Nächstenliebe ist Ethik auf Augenhöhe und Sichtweite. Mein „Nächster“ ist der Mensch, den ich sehe. In meiner Familie, in meiner Gemeinde, in meinem Land, in meinem Beruf kommen viele Menschen in meinen Gesichtskreis, von denen ich zwar vielleicht manche lieber nicht sehen will, die ich aber nur dann als meine „Nächsten“ verkennen kann, wenn ich bereit bin, die Augen vor der Realität zu verschließen – oder blind vor Zorn, blind vor Hass, blind vor Hochmut, blind vor Angst und Verzweiflung. Das Gebot der Nächstenliebe öffnet die Augen für Menschen, mit denen ich zu tun habe und für die ich Verantwortung übernehme.
Überfordere dich nicht