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Zwischen persönlicher Existenz und der Identifikation in einer Gemeinschaft kann es Spannungen geben. Das war Jesus Christus und seinen Jüngern bereits bewusst.
„Für wen hältst du dich eigentlich?“ – diese Frage klingt unfreundlich. Sie kommt selten sachlich daher, sondern meist schneidend, wie ein Vorwurf. Sie richtet sich an Menschen, die „zu viel“ von sich halten, oder die irgendwie nicht in die Schublade passen, die man für sie vorgesehen hat. In dieser Frage liegen Zuschreibung und Abwehr zugleich: Man stellt sich über den anderen, markiert die Grenze und fragt spitz: Wer glaubst du eigentlich zu sein?
Genau diese Frage stellt Jesus – allerdings andersherum. Nicht spitz, sondern ernsthaft. Nicht ausgrenzend, sondern öffnend. Jesus fragt seine Jünger: „Für wen halten mich die Leute?“, und dann: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ Es ist eine Frage nach Identität – nach seiner und, im Umkehrschluss, auch nach ihrer Identität. Denn wer Jesus für den Christus hält, wer ihn als Sohn Gottes erkennt, der kann sich selbst nicht mehr losgelöst von ihm verstehen. In dieser Begegnung liegt ein doppelter Spiegel: Wer ist Jesus – und was bedeutet das in der Folge für mich?
Das Fundament unserer Identität
Die Lesungen vom 12. Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr C zum Hören finden Sie hier.
Petrus bekennt: „Für den Messias Gottes.“ Jesu widerspricht ihm nicht, verbietet aber, es weiterzusagen. Mehr noch: Er zerstört alle hohen Erwartungen, indem er erklärt, er werde leiden, verworfen werden, getötet – und auferstehen. Wer sein Jünger sein will, muss sich selbst verleugnen, sein Kreuz auf sich nehmen und ihm nachfolgen. Identität in Christus ist kein selbstgemachtes Ich-Projekt. Sie ist keine Bestätigung des eigenen Egos, keine spirituelle Selbstverwirklichung. Sie ist Weggemeinschaft – in eine Richtung, die nicht immer bequem ist.
Jesus konfrontiert uns mit der Frage, auf welchem Fundament unsere Identität steht. Nicht: „Was macht dich aus?“, oder „Was kannst du?“ oder „Wie möchtest du gesehen werden?“, sondern Identitätsbildung durch Nachfolge: „Mit wem bist du unterwegs?“, und „Wem traust du dein Leben an?“
Alle sind Kinder Gottes
Der Paulusbrief macht die darin steckende theologische Tiefe deutlich: „Ihr seid alle durch den Glauben Söhne und Töchter Gottes in Christus Jesus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen“ (Gal 3,26–27). Identität ist hier nicht primär Leistung, Herkunft, Geschlecht oder sozialer Status. Sie ist Gabe: Getauft auf Christus, mit Christus bekleidet. Diese Formulierung ist radikal – und befreiend. Denn daraus folgt: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven noch Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus“ (Gal 3,28). Paulus zeichnet ein neues Menschenbild, nicht, indem er Unterschiede auflöst, sondern indem er ihnen die Macht nimmt, Identität zu definieren. In Christus verlieren die Unterschiede nicht ihre Realität, aber ihre Trennkraft.
Diese Worte sind auch heute revolutionär: In einer Zeit, in der Identität oft mühsam errungen, verteidigt oder inszeniert wird, bietet Paulus eine andere Grundlage: Du bist Kind Gottes. Du bist in Christus. Das ist dein tiefster Name, deine Identität.
Zwischen Individuum und Gemeinschaft