BIBEL AM SONNTAG (4. Fastensonntag/C)

Christoph Potowski: Was ist wirklich lebensnotwendig?

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Veränderung fällt schwer. Das erleben die sesshaft werdenden Israeliten ebenso wie der Bruder des „verlorenen Sohns“. Warum Offenheit wichtig bleibt.

Es klingt beim ersten Hören wie eine Nebensächlichkeit, dass sich das Volk Israel im gelobten Land nun nicht mehr vom Manna ernährt. Doch die erste Lesung des vierten Fastensonntags aus dem Buch Josua eröffnet mit dieser Schilderung eine wesentliche Fragestellung: Wovon leben wir Menschen innerlich, wenn sich die Lebenssituation wandelt?

Das Volk Israel speist sich nicht mehr länger vom Manna aus der Wüste. 40 Jahre lang war das ihre ständige Nahrung in der Wüste und somit Teil ihres täglichen Beziehungsgeschehens zu Gott.

Nun ist die Lebenssituation eine gänzlich andere. Sie leben auf einmal von den „Erträgen des Landes“, wie es heißt. Das wandernde Volk wird sesshaft. Eine neue Wirklichkeit beginnt. Was bisher lebensnotwendig gewesen ist, scheint in dieser Form nicht mehr notwendig. Die Art und Weise, wie sie leben, und auch die Art und Weise, wie sie glauben, verändert sich.

Wie gestalten wir Veränderungsprozesse?

Die Lesungen vom 4. Fastensonntag / Lesejahr C zum Hören finden Sie hier.

Ein Prozess, der nicht nur damals dem Volk Israel schwergefallen seien muss. Im alltäglichen Leben fällt es Menschen immer wieder schwer, diese Veränderungsprozesse zu gestalten. Insbesondere, wenn man persönlich spürt, dass die bisherige Lebensweise und Glaubensweise so „gewendet“ wird, dass sie nicht mehr trägt.

Wie lässt sich Neues finden, das ernährt und wieder lebensfähig macht? Welchen Prozess benötigt der Mensch, dass er etwas wieder als „lebensnotwendig“ empfindet?

„Neues ist geworden“

Die Lesung aus dem zweiten Korintherbrief verdeutlicht das noch einmal: „Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden.“ Der Paulusbrief greift den Prozess der Veränderung der ersten Gemeinden auf: „Wir sind Gesandte an Christi Statt.“

Aber lassen sich diese Prozesse einfach so kurz zusammenfassen? Unser menschliches Handeln und Denken brauchen länger. Die Perikope aus dem Lukas-Evangelium führt uns zu dieser Frage der Veränderung und des Umgangs der Menschen damit. Diese Erzählung, bei der sehr häufig der Fokus stark auf die Barmherzigkeit gelegt wird, hat es in sich. Jesus beschreibt einen Veränderungsprozess aus gleich drei unterschiedlichen Perspektiven.

Verschiedene Perspektiven

Zunächst die Perspektive des „verlorenen Sohnes“, der merkt, dass sein Lebenswandel ihn nicht getragen hat. Im wahrsten Sinne des Wortes ist er am Boden und sucht einen Neuanfang. Er merkt, was ihm fehlt: Nahrung, Liebe und Geborgenheit.

Desweiteren ist da die Perspektive des Vaters, der, wie es im griechischen Text heißt, „Erbarmen empfindet“. Er freut sich, dass sein Sohn wieder da ist. Sein Leben verändert sich wieder, die offene Frage der krisenhaften Beziehung zum Sohn findet eine Klärung. Er kann die Veränderung bedingungslos zulassen.

Die Sicht des Bruders des „verlorenen Sohnes“

Die dritte Perspektive des älteren Bruders, der das Ganze nicht verstehen kann, kommt häufig zu kurz. Sie wird viel zu selten eingenommen.

Ist der ältere Bruder wirklich nur auf die Rolle des Unbarmherzigen oder Selbstgerechten zu reduzieren? Nicht selten finden wir diese Deutung. Was ist mit denen, die ebenso in der Situation des älteren Bruders sind? Die die Barmherzigkeit des Vaters nicht nachvollziehen können, emotional überfordert sind und die Situation als Ungerechtigkeit wahrnehmen?

Die Antwort des Sohnes bleibt aus

Jesus lässt interessanterweise in seinem Gleichnis die Antwort des älteren Sohnes offen. Zwar sagt ihm der Vater seine ganze Liebe zu, jedoch bleibt die Antwort des Sohnes aus.

Der Prozess des Neuanfangs, der Veränderung, ist für ihn noch nicht möglich. In diesem Moment scheinen Enttäuschung, Zweifel und Wut noch eher Themen zu sein. Die Perspektive des älteren Sohnes ist eine, die Menschen unter Umständen häufiger einnehmen sollten, gerade in Situationen, in denen wir uns im Zwiespalt befinden.

Der Vater sagt Liebe zu - aber belehrt nicht

Das Verhältnis zum Vater wie zum Bruder wird sich neu entwickeln müssen. Durch die ausgesprochene Liebeszusage des Vaters „Du bist immer bei mir und was mein ist, ist auch dein“, bleibt dem Sohn die freie Entscheidung. Er kann sich freuen, kann die Versöhnung mit dem verlorenen Bruder wieder suchen oder noch immer ablehnen.

Für mich ist das eine sehr tröstliche Perspektive, da sie die Veränderung wirklich offenhält. Der Vater im Gleichnis belehrt nicht und verurteilt keinen der beiden Söhne. Lediglich die Liebeszusage des Vaters bleibt für beide Söhne gleichermaßen bestehen. Für Jesus ist die Offenheit wichtig, damit Menschen selbst erfahren können, was für sie „lebensnotwendig“ ist.

Sämtliche Texte der Lesungen vom 4. Fastensonntag / Lesejahr C finden Sie hier.

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