BIBEL AM SONNTAG (Palmsonntag/C)

Elmar Salmann: Ein Gewitter zieht auf

Anzeige

Palmsonntag - der Auftakt: Die Kar- und Ostertage legen jene Motive aus, die dieser Sonntag bereits zeigt - in eindringlicher Doppelstimmung.

Palmsonntag – welch eine Mischung an Stimmungen und Konstellationen, welche Fremdheit Jesu inmitten der Menge, unter den Theologen, den Mächtigen und seinen Jüngern. Wer könnte ihn und seine Haltung auch nur von fern verstehen, fände sich in dieser Gemengelage aus Triumph, distanzierter Souveränität, Zuwendung, verlorener Einsamkeit, wehrloser Ausgesetztheit, aus Wortgefechten und tiefen Schweigezonen zurecht, der Passion, der Leidenschaft des Einsatzes, der Innigkeit im Verhältnis zu Gott und der erlittenen Schmach, dem unendlichen Schmerz, seelisch, körperlich, mystisch-theologisch?

Das Ganze hat zudem die Dramatik des aufziehenden Gewitters, der sich steigernden Bedrohung – mit völlig unsicherem Ausgang. Mit dem noch nicht zugerittenen Esel – Parodie oder messianisches Zeichen? Mit dem majestätischen Einzug, dem Jubelruf der Menge und der pilgernden Kirche mit ihrer liturgischen Prozession – wie dem ersten Wetterleuchten, welches das Unwetter ankündigt. Der Ölberg hat seinen ersten Auftritt, dann der Einwurf der Schriftgelehrten mit dem Rätselwort Jesu, dass die Steine sprechen würden, wenn die Menschen schwiegen.

Die Doppelstimmung der Lesungen

Die Lesungen vom Palmsonntag / Lesejahr C zum Hören finden Sie hier.

Szenenwechsel, die Lesungen: Die Stimme des Gottesknechtes aus dem Propheten, sanft, ausgesetzt, freimütig, gehalten vom Gottvertrauen. Sodann der liturgische Hymnus, den Paulus aufnimmt, vom Abstieg des Sohnes Gottes in die Tiefe der Mitleidens, dem dann der Aufstieg des so Gedemütigten in den Himmelsglanz des Vaters folgt. Ein theologisches Vorzeichen, das der gesamten Aufführung der Karwoche Ton und Takt vorgibt.

Eine ähnliche Doppelstimmung prägt auch die Szene des Abendmahls: Eine Summe der vielen Gastmähler im Leben Jesu, eine Erinnerung an das Pessachamahl der Juden, die ägyptischen Plagen, den Aufbruch in die Wüste, endlich eine Vorbedeutung des Todes Jesu und der künftigen Liturgie der Kirche. Bedeutungsvoller kann ein Lebensgestus kaum sein.

Die Jünger sind dem Geschehen nicht gewachsen

Doch wie wenig sind die Jünger dem gewachsen. Da ist die Rätselgestalt des Judas, eingeweiht und verzweifelt; er und Jesus scheinen umeinander zu wissen und müssen doch die Fremdheit, die Unerreichbarkeit des anderen austragen, bis zur Szene des verräterischen Kusses.

Es folgt der lächerliche, völlig deplatzierte Rangstreit der Jünger, die große Nähe des Petrus zu Jesus und der sich abzeichnende Abgrund des Verrats aus Angst und Verzweiflung, dann die Groteske der zwei Schwerter, die man mit sich führen will. Als ob das etwas helfen könnte.

Jesus als Spielball des Geschehens

Endlich die Szene am Ölberg, zwischen innigem Gebet in Einsamkeit, einem Gestus des Sich-Anvertrauens, des Haderns und der Konfrontation mit den Jüngern, die nichts verstehen, in den Schlaf entschwinden, schon dabei sind, Jesus allein zu lassen.

Danach ist Jesus eine Art Spielball im Gang der Verhöre durch einander eher feindliche Parteien: die Hohepriester, Pilatus, Herodes, alle schwankend zwischen Hellsicht und Verblendung, Bestechung und Erpressung. So werden sie falsche Alliierte. Mit Jesus, dem verstörenden Sündenbock und Blitzableiter, werden sie nicht fertig, sie müssen ihn fertigmachen.

Jesus lässt sich auf kein Spiel ein

Und er? Das Wort Gottes schweigt beredt, lässt sich auf kein Spiel ein, steht souverän zu seiner Herkunft aus Gott und seiner Sendung für die Menschen, lässt die anderen spüren, wie sehr sie im Unrecht sind. Aber ohne Polemik, ohne Empörung, ohne sich zu rechtfertigen. Denn das kann hier auf Erden niemand – wir müssen es von Gott her erwarten und erbitten.

Mitfühlend seine Begegnung mit den weinenden Frauen, schließlich die letzte Konfrontation mit dem körperlichen und metaphysischen Schmerz am Kreuz, dem Leid der Verlassenheit. In welchem er sich doch ganz in Gott hineinverlässt.

Die Erwartung der Kartage

Die drei letzten von Lukas überlieferten Worte zeigen seine Fürsorglichkeit und seine Zugehörigkeit zu diesem Gott. Da ist die Bitte um Vergebung für seine Peiniger, das Wort der Verheißung an den Schächer, endlich eine Anrufung Gottes, die zum Urgebet der späteren Kirche werden sollte: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“

Diese intime Szene ist zugleich eine öffentliche Zurschaustellung, die Reaktionen hervorruft vom Hohn bis zur Verehrung. Die Fürsorge für die Grablegung, die ersten noch fast anonymen Glieder der künftigen Kirche, vorab die Frauen, zeichnet sich am Horizont der Geschichte ab.

Am Ende wieder das Schweigen Jesu wie das Ausklingen in die Sabbatruhe, in welche die Frauen entlassen werden. Und wir mit ihnen – in Erwartung der Kartage, welche die Motive des Palmsonntags auslegen und vergegenwärtigen.

Sämtliche Texte der Lesungen vom Palmsonntag / Lesejahr C finden Sie hier.

Anzeige