BIBEL AM SONNTAG (WEISSER SONNTAG/C)

Anne-Merle Kohlschreiber: Der Glaube hält den Zweifel aus

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Zweifel gehören zum Glauben dazu. Dabei ist es wichtig, dass man selbst für die Überraschungen Gottes offen bleibt.

 

Das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar. Doch was ist das Wesentliche? Meint man die Gefühle? Gefühle kann man nicht sehen. Man sieht vielleicht am Verhalten, wenn man verliebt ist, oder das Strahlen im Gesicht, wenn man voller Freude ist. 

Oder meint man besondere Erlebnisse? Wenn man von Erlebnissen erzählt, sagt man: „Nein, das muss ich mit eigenen Augen sehen, sonst kann ich das nicht glauben.“ Ich setze dann eine Bedingung voraus und sage vielleicht: „Oder hast du davon ein Video gemacht?“ Wir brauchen immer mehr Beweise für Erlebnisse und machen am besten beim Erleben Videos, damit wir es anderen beweisen können. Wir leben in einer Spannung zwischen nicht sehen und doch glauben.

Eine innere Spannung kommt auf

Thomas, auch der „ungläubige Thomas“ genannt, fühlte eine innere Spannung: „Ich muss es selbst sehen, um es zu glauben, sonst kann ich es nicht glauben.“ Es ist eine Woche her, dass Maria Magdalena die Botschaft von Jesu Auferstehung verkündet hat. Was prophezeit worden ist, das ist eingetroffen. Jesus ist von den Toten auferstanden. Einige Jünger haben sich versammelt, sie werden Zeugen der abendlichen Erscheinung Jesu. Damit verbunden ist die Sendung und der Auftrag, Jesu Botschaft zu verbreiten. Wie die Apostelgeschichte zeigte: „Durch die Hände der Apostel geschahen viele Zeichen und Wunder im Volk“ (Apg.5,12).

Doch Thomas war nicht dabei. Er hörte es nur über Dritte. Er zweifelt. Er kann es einfach nicht glauben, obwohl sich die Erscheinungen häufen und seine engsten Freunde ihm das erzählen. Dann stellt Thomas seine Bedingung: „Wenn ich nicht das Mal der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in das Mal der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht“. Er will es mit eigenen Augen sehen. Er knüpft an Jesu Auferstehung also eine Bedingung. Ich kann Thomas schon irgendwie verstehen.

Trotzdem verschließt er sich nicht vollständig. Er hat die Sehnsucht, Jesus selbst zu sehen. Jesus nimmt seine Bedingung ernst. Denn wieder eine Woche später erscheint Jesus wieder den Jüngern, und Thomas ist jetzt live dabei. Er glaubt es jetzt! Und Jesus spricht etwas aus, das auch für uns heute wichtig ist. Er sagte nämlich zu ihm: „Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben. Noch viele andere Zeichen hat Jesus vor den Augen seiner Jünger getan, die in diesem Buch nicht aufgeschrieben sind.“

Man darf und soll Fragen stellen

 

Für mich ist das das Wesentliche: Die wahre Kunst besteht darin, trotzdem zu glauben, auch wenn man nichts sieht. Man könnte sagen: Thomas hat hier eine Schlüsselrolle zwischen den österlichen und nachösterlichen Generationen. Damit meine ich, dass Thomas die zwei Seiten in sich hat, die ich auch selbst kenne. Auch ich finde es nicht immer einfach, nicht mit den Augen zu sehen und doch zu glauben. Thomas hat die skeptische Seite, die hinterfragt und nicht blind vertraut, in sich. Er hat aber auch die sehnsüchtige Seite, die glauben möchte. Auch Auditionen und Visionen, zum Beispiel von Johannes, hörten die Menschen damals nicht aus erster Hand. Es ist die Seite, die berührt wird von den Worten der anderen Jünger und von Maria Magdalena.

Beide Seiten sind wichtig für mich und den Glauben. Denn man darf und soll Fragen stellen im Glauben. Man darf zweifeln und hinterfragen. Man soll auf die Suche gehen. Glauben ist nicht einfach da und bleibt dann für immer. Manchmal ist es ein Auf und Ab. Es passieren Dinge, die einen zweifeln lassen. Dann möchte man vielleicht selbst gerne Bedingungen stellen, damit man glauben kann.

Im Zweifel offen bleiben

Dabei bleibt es dann wichtig, die zweite Seite zu sehen. Denn das Zweifeln kann der Glaube aushalten und dabei der Sehnsucht nachgehen. Vielleicht erlebt man Momente, die einem einige Fragen beantworten und den Zweifel kleiner werden lassen. Dabei ist es wichtig, die Augen und sein Herz offenzuhalten. Denn das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar. 

Ich versuche besonders im Zweifel, offenzubleiben für die Überraschungen Gottes. Das ist nicht einfach und funktioniert nicht immer. Doch dann kommen die Momente, ganz unscheinbar. Die Momente, die mein Herz berühren und mich glauben lassen. Es sind die Momente, die uns ein Strahlen ins Gesicht zaubern. Dann kann ich sagen: Ja, ich glaube.

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