Gast-Kommmentar von Ludger Verst

Austritte - und der Igel-Trick der katholischen Kirche

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Die Kirchenaustrittszahlen, in der vergangenen Woche für 2020 veröffentlicht, sind harte Realität. Ludger Verst zieht in seinem Gast-Kommentar dennoch Parallelen zu einem berühmten Märchen - mit klaren Konsequenzen für jene, die in der Kirche Verantwortung tragen.

Die Veröffentlichung der Kirchenstatistik sorgt jedes Jahr für reichlich Gesprächsstoff.  Ja, die Zahlen für Deutschland sind erschreckend: dramatische Einbrüche bei Gottesdienstbesuch, Taufen und Hochzeiten – und die zweithöchste Kirchenaustrittszahl überhaupt. Und nun?

Es gehört zu den alljährlichen Ritualen, die veröffentlichten Zahlen zu bedauern. Kirchenverantwortliche, nicht nur Bischöfe, zeigen sich nachdenklich, manche betroffen. Und dennoch — eines dürfte sicher sein: Auch jetzt wird wieder nichts passieren.

 

Johann Baptist Metz' Igel-Trick

 

Der Autor
Ludger Verst stammt aus Gronau, ist Theologe, Berater und Publizist.

Mein theologischer Lehrer Johann Baptist Metz nannte es den Igel-Trick der katholischen Kirche und meinte das Märchen vom Hasen und dem Igel, jenem krummbeinigen, aber pfiffigen „Swinigel“, der am Sonntagmorgen auf dem Felde spazieren geht und dem Hasen überraschend einen Wettlauf in den Ackerfurchen vorschlägt.

Wie die Geschichte weitergeht, ist klar: Der Igel geht noch mal kurz nach Hause (zum Frühstücken, wie er sagt), um seine Igelfrau zu holen, die bekanntlich genau so aussieht wie ihr Mann, um sie am oberen, entfernteren Ende der Ackerfurche zu postieren, während er sich am unteren Ende neben dem Hasen zum Lauf aufstellt. Wie man weiß, fällt der Hase auf den Igeltrick herein: Er läuft und läuft in seiner Furche; der Igel ist, hier wie dort, immer schon da. Und schließlich – beim siebenundsiebzigsten Lauf – rennt und stürzt sich der Hase auf dem Ackerfeld zu Tode.

 

Gott ist kein Trick von Theologen

 

Es wäre an der Zeit, Partei für den Hasen zu ergreifen. Warum? – Weil die Kirche nicht selbst mit einem solchen Igel-Trick arbeiten darf. Wer von Gott redet, kann sich das Laufen, die Hasen-Rolle, nicht ersparen. Gott ist ja kein ausgeklügelter Trick von Theologen, den die Kirche nur geschickt verkaufen muss. So wie der Igel dem Hasen verkauft, er würde laufen und zudem auch noch der Schnellere sein.

Auch unsere Kirche erweckt oft den Eindruck, sie sei hier wie dort immer schon da mit ihren Antworten, bevor die Fragen überhaupt gestellt sind. Sie postiert sich gern – in trickreicher Verdopplung – an beiden Enden der Weltgeschichte und ist mit ihren „ewigen Wahrheiten“ über Gott und die Welt uneinholbar immer schon da. Das ist es, was die Leute spüren: Es fehlt die Leidenschaft für das echte Leben, für einen Wettlauf in Fairness, Liebe, Solidarität.

Die Positionen der Gast-Kommentare spiegeln nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von "Kirche-und-Leben.de" wider.

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