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Wissen ist das beste Mittel gegen Vorurteile und Antisemitismus. Zum Jubiläum „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ erläutert diese Serie Begriffe jüdischen Glaubens – diesmal von Tamar A. Avraham, jüdische Theologin, Expertin für Religionswissenschaft und Reiseleiterin. Sie lebt in Jerusalem.
Bar beziehungsweise Bat Mizwa, „Sohn“ oder „Tochter des Gebotes“, besser übersetzt als „dem Gebot verpflichtet“, bezeichnet sowohl den 13-Jährigen und die 12-Jährige, die mit Erreichen dieses Geburtstags zur Einhaltung der religiösen Vorschriften verpflichtet sind, als auch die Feier zu diesem Ereignis. Die Hebräische Bibel kennt weder den Ausdruck noch ein bestimmtes Alter der Religionsmündigkeit. Erst in rabbinischen Quellen finden sich die ersten Hinweise.
In der zu Beginn des dritten Jahrhunderts abgeschlossenen Mischna heißt es, dass Gelübde eines Mädchens ab dem 12. Lebensjahr und eines Jungen ab dem 13. Lebensjahr gültig sind, allgemeiner in einer späteren Zufügung: „Ein 13-Jähriger muss die Gebote einhalten“ (5,25).
Verpflichtung auf die Gebote
Die Festlegung gerade dieses Alters wird mit der normalerweise zu diesem Zeitpunkt erreichten Geschlechtsreife begründet, der babylonische Talmud bezieht die frühere Reife der Mädchen auf ihre früher reifenden intellektuellen Fähigkeiten.
Während es sich also zunächst um ein Datum handelt, mit dessen Erreichen automatisch die Verpflichtung auf die Gebote gegeben ist, entwickelten sich im Laufe der Zeit dazu passende Zeremonien, zunächst nur für die Jungen, da Frauen von aktiver Beteiligung am Gemeindegottesdienst ausgeschlossen waren: Der Bar Mizwa legte zum ersten Mal die Tefillin (Gebetsriemen) an und wurde zum ersten Mal zur Tora – also zum Vorlesen aus der Schrift – aufgerufen. Als das Reformjudentum in Deutschland im 19. Jahrhundert gottesdienstliche Formen an christliche Gepflogenheiten anpasste, wurde die Bar Mizwa zunehmend durch eine Art jüdische „Firmung“ ersetzt.
Gebetsriemen und Tora
An die Stelle des Anlegens der Tefillin und des Lesens aus der Tora trat das Ablegen eines Glaubensbekenntnisses, und an die Stelle der vom Geburtstagsdatum abhängigen individuellen Feier ein Fest für einen ganzen Jahrgang, oft an Schavuot, dem Fest der Gabe der Tora. Im Zuge dieser Änderungen führten manche Gemeinden auch die Konfirmation für Mädchen ein, so bereits 1810 die Bielefelder Gemeinde als eine der ersten in Westfalen.
Die Konfirmation blieb ein Intermezzo, aber die Modernisierungsbestrebungen trugen dazu bei, dass auch in der Orthodoxie neben den traditionellen Riten das Vortragen einer Predigt durch den Bar Mizwa üblich wurde.
Auch Mädchen zur Tora aufgerufen
Amerikanische Reformgemeinden begannen in den 1920er Jahren, auch Mädchen zur Tora aufzurufen. Inzwischen ist dies im reformierten und konservativen Judentum selbstverständlich geworden und setzt sich auch in der modernen Orthodoxie immer mehr durch, während das Anlegen von Tefillin bei Mädchen noch seltener ist.
Die Vorbereitung der Toralesung in der richtigen Vokalisierung und Melodie sowie die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem für den Geburtstag vorgesehenen Wochenabschnitt zieht sich über mehrere Monate hin und ist eine einmalige Gelegenheit, sich in die religiöse Mündigkeit hineinzuleben. Auch die meisten säkularen Juden feiern Bar beziehungsweise Bat Mizwa auf die eine oder andere Weise.
Die Autorin
Tamar A. Avraham ist Theologin mit Zusatzstudien in Judaistik, Islamwissenschaft und Vergleichender Religionswissenschaft. Die Übersetzerin und Reiseleiterin lebt in Jerusalem.