Familie Sander bietet Unterkunft im Garten

Bauwagen in Vechta ist Herberge auf dem Jakobsweg

Wer ernst macht mit dem Jakobsweg, ist lange unterwegs – von Vechta mehr als 2.200 Kilometer. Eine wichtige Frage: Wo finde ich eine Unterkunft? In Vechta wartet der umgebaute Bauwagen der Familie Sander.

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Thomas Sander aus Vechta mag nicht, wenn etwas verkommt. Der alte Bauwagen beim Maurermeister in der Nachbarschaft zum Beispiel. Der stand nur noch leer herum. Sander verhandelte mit dem Maurer, kaufte den Wagen und stellte ihn in einer Ecke seines Gartens auf („der Transport war ein Thema für sich“). Vor zehn Jahren war das.

Wer braucht einen alten Bauwagen? Thomas Sander und seine Frau Daniela schon. Der Wagen sollte im Garten stehen, als Spielzimmer für die drei Kinder. Johanna und Lara waren damals vierzehn und elf, Linus zwei Jahre alt. Die beiden älteren Kinder waren begeistert, steckten ihr Taschengeld mit in die Sanierung des Wagens.

Aus dem Bauwagen wurde ein Schmuckstück

Denn die war nötig. Der Elektroingenieur Sander renovierte, tapezierte, isolierte, setzte neue Fenster ein. Die Kinder waren glücklich, Barbiepuppen und Playmobilautos waren die ers­ten Gegenstände, die über Nacht im Bauwagen blieben.

Dann: größere Kinder, andere Interessen. Das Bauwagen-Spielzimmer im Garten verlor an Reiz. Daniela und Thomas Sander überlegten neu: Gartenhaus? Partyraum

Herberge gesucht für Pilger

Bis Thomas Sander in der Zeitung von der „Via Baltica“ las, dem norddeutschen Pilgerweg nach Santiago de Compostela, der auch Vechta berührt. Und wie dringend dort immer günstige Herbergen gesucht würden. Sander überlegte mit seiner Frau: „Das könnten wir doch machen.“

Daniela und Thomas Sander aus Vechta nehmen gerne Pilger auf dem Jakobsweg auf. | Foto: Franz Josef Scheeben
Daniela und Thomas Sander aus Vechta nehmen gerne Pilger auf dem Jakobsweg auf. | Foto: Franz Josef Scheeben

Vor fünf Jahren meldeten sie sich; seitdem steht ihre Adresse in Pilgerführern und auf der Internetseite der „Touristeninformation Nordkreis Vechta“. Unter dem Menüpunkt „Aktiv“ steht „Pilgern“. Und dort bei „Unterkünften“ Familie Sander: „Botenkamp 5“. Neben zwei kirchlichen Bildungshäusern und einer Gastwirtschaft am Stadtrand.

Gespannt auf die Pilger im Garten

Sie richteten den Bauwagen dafür noch einmal neu her, kauften ein Bett. Und waren gespannt, wer denn nun auf der „Via Baltica“ gerade zu ihnen kommen würde, welche Geschichten sie zu hören bekämen.

Übers Jahr übernachte meist ein halbes Dutzend Pilger bei ihnen, berichtet Daniela Sander. Die schlafen im Bauwagen, nutzen das Familienbad und sind beim Frühstück dabei. Sie hat gemerkt: „Die Pilger sind den ganzen Tag allein, manche wollen dann endlich reden.“ Einmal habe eine Frau mehr als eine Stunde am Frühstückstisch gesessen und erzählt. „Die hat so viel geweint“, sagt Daniela Sander nachdenklich. „Manchmal sind es sehr ernste Gründe, warum Pilger sich auf den Weg machen.“

Auf dem Jakobsweg sich von der Krankheit gelöst

Ein Mann etwa sei von Depressionen geheilt worden und habe sich nach seiner Reha auf den Weg gemacht – er wollte neu mit sich ins Reine kommen.

Oder: Ein Ehepaar aus Mecklenburg pilgert jedes Jahr im Herbst, geht aber bewusst nur Etappen auf der „Via Baltica“. Ihnen ist der Betrieb in Santiago zu kommerziell.

Einmal stehen zwei ältere Frauen vor der Tür, mit großer Jakobsmuschel auf dem Rucksack. Die kommen bei aller Sportlichkeit doch völlig erschöpft an – und sind zu groß für das Bett im Bauwagen. Die Sanders richten für sie ein Schlafsofa her und holen beim Lieblingsitaliener Pizza.

Konfessionsloser Pilger auf dem Jakobsweg

Oder, besonders überaschend: ein Automonteur vom Volkswagenwerk Zwickau. Der ist konfessionslos auf dem Jakobsweg unterwegs. Von ihm hören sie: „Unvorstellbar, wie freundlich man überall auf der Strecke aufgenommen wird – jetzt weiß ich, was christliche Nächstenliebe ist.“

Daniela und Thomas Sander lernen über die Jahre, warum die Pilger gerne ihren Bauwagen nutzen. Die machen sich einfach zu Fuß auf den Weg – ein Hotelquartier mit Luxus passt ihnen da nicht. Hotels sind ihnen auf dem Monate dauernden Weg auch schlicht zu teuer – die Sanders bitten um einen Beitrag von 20 Euro.

Eine billige Herberge für die Pilger

Das war auch ein Grund für Karin Engler, gerade hier zu übernachten. Sie war der erste Pilgergast der Sanders in diesem Jahr und sagt: „Ohne solche Unterkünfte könnte ich mir das Pilgern gar nicht leisten.“

Die 59-jährige Ergotherapeutin aus Bielefeld arbeitet in einer Wohngemeinschaft für Demenzkranke. Sie hat sich für ein Jahr Urlaub genommen. „Ich war einfach auf der Suche und wollte gehen, zur Ruhe kommen“, berichtet sie im Gespräch mit „Kirche+Leben“.

Pilgerin geht den Jakobsweg in Gegenrichtung

Sie ist auf einer ungewöhnlichen Tour unterwegs und geht die „Via Baltica“ rückwärts, von Osnabrück nach Polen. Der Grund: Sie wolle endlich einmal die Geburtsorte ihrer Eltern und Großeltern in Ostpreußen sehen. Ein kleines Dorf bei Allenstein ist ihr Ziel.

Von Ostpreußen will sie den „Großpolnischen Jakobsweg“ nach Schlesien weitergehen, in Görlitz dann den „Ökumenischen Jakobsweg nach Thüringen – sie pilgert den Jakobsweg auf ganz eigene Art.

Weit gereist ist die 59-Jährige schon oft; sie war Monate in Indonesien und Malaysia, war in Israel und auf den Lofoten. Der Jakobsweg aber ist Neuland für sie, auch technisch. Erst für diesen Weg hat sie sich ein Smartphone gekauft – „damit ich mich nicht so leicht verlaufe und mit den Herbergen Kontakt aufnehmen kann“. Tagsüber, unterwegs, sei sie sehr oft für sich und begegne „erstaunlich wenig Menschen“. Zudem habe sie oft gar keinen Empfang mit dem Smartphone – „ich löse mich wirklich von allem“.

Thomas Sander auf eigenem Jakobsweg

Die Sanders haben in den Jahren viel gelernt über den Jakobsweg und über Pilger. Selbst zu pilgern – das aber war als Familie mit kleinen Kindern nie Thema für sie. Obwohl Thomas Sander voriges Jahr einen Anfang mache. Mit drei Freunden aus der Kolpingsfamilie. Ihnen hatte er von den Jakobspilgern erzählt. Bis jemand sagte: „Wir gehen unseren eigenen Jakobsweg.“

Im September haben sie sich zu viert auf den Weg gemacht – von Schillig über Wilhelmshaven, Varel, Rastede, Oldenburg und Dötlingen zurück nach Vechta. Etappen ähnlich denen auf dem Jakobsweg. Nur ohne Jakobsmuschel am Rucksack. stattdessen wehte da ein Kolpingbanner.

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