Lebens-Stationen des früheren Papstes aus Deutschland

Benedikt XVI. - Unbeirrbarer und umstrittener Verteidiger des Glaubens

  • Benedikt XVI. ist tot.
  • Der frühere Papst starb am Silvestertag im Alter von 95 Jahren im Vatikan.
  • 2005 war er zum Nachfolger von Johannes Paul II. gewählt worden, 2013 trat er von seinem Amt zurück.

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Benedikt XVI. ist tot. Der frühere Papst starb am Silvestertag im Alter von 95 Jahren im Vatikan. Er war der erste Deutsche auf dem Stuhl Petri seit 482 Jahren. Am 19. April 2005 wählten ihn die Kardinäle als Joseph Ratzinger im Konklave zum Nachfolger von Johannes Paul II., der 27 Jahre lang Oberhaupt der katholischen Kirche gewesen war. Der damals 78-jährige Ratzinger hatte als Kardinaldekan das Requiem für den verstorbenen Papst und auch die anschließende Wahl des Nachfolgers geleitet.

Acht Jahre später, am 11. Februar 2013, kündigte er völlig überraschend seinen Rücktritt zum Ende des Monats an. Seitdem lebte er als emeritierter Papst in einem Kloster in den vatikanischen Gärten, wo er sich vor allem dem Gebet widmen wollte. Am 13. März 2013 wurde Papst Franziskus gewählt. 

Geboren an Karsamstag

Joseph Ratzinger wurde am 16. April 1927, einem Karsamstag, im bayerischen Marktl im Bistum Passau geboren. Gemeinsam mit seinem drei Jahre älteren Bruder Georg empfing er 1951 vom Münchner Kardinal Michael von Faulhaber im Freisinger Dom die Priesterweihe. Nach einem Jahr als Kaplan wurde Joseph Ratzinger als Dozent an das Freisinger Priesterseminar berufen und 1953 zum Doktor der Theologie promoviert.

1958 übernahm er als 31-Jähriger eine Professur für Dogmatik und Fundamentaltheologie in München, ein Jahr später wechselte er nach Bonn. 1963 wurde Ratzinger Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster. 

 

Münster, Konzil und „Kirche+Leben“

 

Noch aus seiner Zeit am Rhein stammte eine enge Verbindung zum Kölner Kardinal Joseph Frings, der den jungen Professor Ratzinger als Berater mit zu den Versammlungen des Zweiten Vatikanischen Konzils nahm. Darüber berichtete er nicht nur vor der Dechantenkonferenz des Bistums Münster, sondern auch regelmäßig und exklusiv in „Kirche+Leben“. 1964 hielt er dreimal die Adventspredigten im Dom in Münster, die weite Beachtung fanden.

1966 wechselte Ratzinger an die Universität Tübingen. 1968 entstand eines seiner berühmtesten Werke, „Einführung in das Christentum“, das das Studium mehrerer Theologen-Generationen prägte. 1969 nahm er einen Ruf an die Universität Regensburg an. Joseph Ratzinger galt weltweit als einer der bedeutendsten und meistgelesenen Theologen der Konzils- und Nachkonzilszeit. 

 

Mächtiger Mann im Vatikan

 

1977 schließlich ernannte ihn Papst Paul VI. zum Erzbischof von München und Freising. Schon fünf Jahre später holte ihn Papst Johannes Paul II. als Präfekten der Glaubenskongregation nach Rom. In dieser Zeit war er maßgeblich an bedeutenden Publikationen beteiligt – so etwa am Katechismus der Katholischen Kirche und der ökumenischen Erklärung zur Rechtfertigungslehre, aber auch am päpstlichen Lehrschreiben „Dominus Iesus“, das wegen der Betonung der Vorrangstellung der römisch-katholischen Kirche im Ökumene-Dialog gleichwohl auch heftig kritisiert wurde.

Auf das Betreiben Ratzingers geht zudem der umstrittene Ausstieg der katholischen Kirche in Deutschland aus der staatlichen Schwangerschaftskonfliktberatung 1998 zurück, ebenso die Wiedereinführung eines „Treueids“ für Theologielehrende 1990. Beide Entscheidungen hatten vor allem in Deutschland zu großen Vorbehalten gegenüber dem Kardinal geführt. Schon zuvor hatte die Verweigerung der Lehrerlaubnis für Theologen, die nicht auf Linie der Glaubenskongregation lagen, für massive Kritik vor allem in Deutschland und schließlich zur „Kölner Erklärung“ geführt, der sich später weltweit 500 Hochschullehrer anschlossen. 

 

„Wir sind Papst“ und das Bistum Münster in Rom

 

1993 ernannte Johannes Paul II. Ratzinger zum Kardinalbischof, 2002 wurde er zum Kardinaldekan gewählt und damit an die Spitze des „Senats des Papstes“ und des Papstwahlgremiums. Nach dem Tod Johannes Pauls II. am 2. April 2005 begann das Konklave mit 115 Kardinälen am 18. April 2005. Schon im vierten Wahlgang erhielt Ratzinger die erforderliche Stimmenmehrheit. Als Papst nannte er sich Benedikt XVI.. Die „Bild“-Zeitung titelte damals: „Wir sind Papst“. 

Nur ein halbes Jahr später feierte das Bistum Münster im Petersdom die Seligsprechung von Kardinal Clemens August von Galen. Zwar hatte Benedikt XVI. festgelegt, dass Seligsprechungen künftig nicht vom Papst, sondern dezentral in den Bistümern gefeiert werden können. Dennoch ließ er es sich nicht nehmen, nach der festlichen Eucharistiefeier zu den tausenden Pilgern in den Petersdom zu kommen und eine Ansprache an alle Beteiligten zu richten.

Besuche in der Heimat

Schon wenige Wochen nach seiner Wahl kam Benedikt zum Weltjugendtag nach Köln. Zwei weitere Besuche in Deutschland folgten: ein Jahr später in München, Altötting und Regensburg, 2011 in Berlin, Etzelsbach, Erfurt und Freiburg.

2007 ließ er die tridentinische Messe als „außerordentlichen Ritus“ in größerem Umfang wieder zu. Papst Franziskus schränkte die Feier des alten Messritus' 2021 gleichwohl wieder ein. Empörung löste 2009 die Entscheidung Benedikts aus, die Exkommunikation von vier Bischöfen der traditionalistischen Piusbruderschaft aufzuheben, darunter Richard Williamson, der – wohl ohne Wissen Benedikts XVI. – den Holocaust leugnet.

 

Missbrauchsskandal und Rücktritt

 

Schon 2008 in den USA und 2010 auch in Deutschland erschütterte das Bekanntwerden von sexuellem Missbrauch durch Geistliche die Kirche. Zwar geißelte Benedikt XVI. mehrfach das Übel im Zentrum der Kirche; seine eigene Rolle während seiner Zeit als Münchner Erzbischof und als Präfekt der Glaubenskongregation blieb vor allem während seiner Amtszeit als Papst weitgehend unklar.

Vorwürfe aus dem Jahr 2020, er habe im Jahr 2000 einen Priester getroffen, der mehrfach Jungen missbraucht hatte und im Jahr 1980 aus dem Bistum Essen ins Erzbistum München versetzt worden war, wies Benedikt XVI. zurück. Der Mann war erst 2010 vom Priesteramt suspendiert worden.

Gutachten: Fehlverhalten in vier Fällen

Das Missbrauchsgutachten für das Erzbistum München-Freising hielt dem früheren Münchner Erzbischof im Januar 2022 gleichwohl Fehlverhalten in vier Fällen während seiner Amtszeit vor. Benedikt wies dies in einer persönlichen Stellungnahme zunächst erneut zurück. Wenig später korrigierte er sich in einer wesentlichen Aussage, wies in einem Brief jedoch den Vorwurf der Lüge und der Vertuschung von sich.

Im Juni 2022 warf ihm ein Missbrauchsopfer vor dem Landgericht Traunstein eine Mitschuld an den erlittenen Taten vor. Der emeritierte Papst kündigte darauf an, sich gegen die Vorwürfe verteidigen zu wollen. Auch nach seinem Tod läuft die Klage eines Missbrauchsopfers erst einmal weiter. Zwar müsste das Verfahren laut der Zivilprozessordnung nach dem Tod einer Partei eigentlich ruhen, sagte eine Gerichtssprecherin dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 2. Januar 2023 auf Anfrage. Weil der emeritierte Papst allerdings durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten wird, sei dies nicht der Fall. Dieser könne jedoch eine Unterbrechung beantragen, bis die Erben des emeritierten Papstes ermittelt sind. Dafür sei das Nachlassgericht des Amtsgerichtes Traunstein zuständig. Sobald die Erben ermittelt seien, können diese das Verfahren aufnehmen oder der Kläger die Aufnahme beantragen. Momentan werde also das Verfahren "gegen die Erben" weiter geführt. Vertreten wurde Benedikt XVI. von der Wirtschaftskanzlei Hogan Lovells in München. Wie diese auf die neue Situation reagieren wird, war zunächst nicht bekannt.

Ratzinger und die Integrierte Gemeinde

Schon im November 2020 löste der Münchner Kardinal Reinhard Marx die "Integrierte Gemeinde" auf, nachdem es Vorwürfe missbräuchlicher Praktiken gegeben hatte. Ratzinger hatte die Gemeinschaft 1978 nicht nur kirchlich anerkannt, sondern auch maßgeblich unterstützt. Wenige Wochen vor der Entscheidung von Kardinal Marx distanzierte sich Benedikt XVI. von der Integrierten Gemeinde. Er sei über manches "nicht informiert oder gar getäuscht" worden.

Recherchen des Bayerischen Rundfunks belasteten ihn wie auch Marx noch im Dezember 2022 schwer. Demnach legten kircheninterne Dokumente nahe, dass sie frühzeitig über Missstände in der als ambitioniertes Reformprojekt gestarteten Gruppierung informiert waren. Sie hätten darauf aber nur zögerlich reagiert.

Zahlreiche Schriften

Zum 50. Jahrestag der Konzilseröffnung rief Benedikt XVI. im Oktober 2012 das „Jahr des Glaubens aus“. Noch am 6. Januar 2013 weihte er seinen Sekretär Georg Gänswein zum Erzbischof. Dieser kümmerte sich auch nach dem Rücktritt Benedikts XVI. wenige Wochen später um den Emeritus.

Während seines Pontifikats schrieb Benedikt XVI. 17 Mal ein Motu Proprio, 116 Apostolische Konstitutionen, 144 Apostolische Schreiben, 278 öffentliche Briefe, 242 Botschaften, 352 Predigten und 1.491 Ansprachen. Auch als Buch-Autor blieb er aktiv: Zwischen 2007 und 2012 entstand sein dreibändiges Werk „Jesus von Nazareth“, das in zahlreichen Sprachen übersetzt wurde. 

 

Äußerungen aus dem Schweigen

 

Sein selbst auferlegtes Schweigen unterbrach Benedikt XVI. mehrere Male - und erntete dafür wie für den Inhalt seiner Äußerungen auch massive Kritik: Im April 2019 machte er in einem Beitrag für das bayerischen „Klerusblatt“ den Zusammenbruch der Moral nach den 68er-Jahren für die Missbrauchskrise verantwortlich.

Anfang 2020 erschien ein mit dem Titel „Das katholische Priestertum“ unter anderem über den Zölibat in einem umstrittenen Buch von Kurienkardinal Robert Sarah. Anfangs war Benedikt XVI. dort als Co-Autor genannt, was zunächst als Opposition zu Papst Franziskus gedeutet wurde. Kurz nach Bekanntwerden des Buches erklärte der frühere Papst, nicht Co-Autor zu sein. Sein Sekretär Gänswein veranlasste daraufhin die Entfernung von Namen und Bild Benedikts XVI. vom Bucheinband.

Benedikt der Bayer

Immer wieder empfing der frühere Papst Gäste in seinem Domizil – nicht zuletzt aus seiner bayerischen Heimat – so etwa den damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer mit Delegation zum 90. Geburtstag Benedikts.

Völlig überraschend reiste Benedikts XVI. am 18. Juni 2020 nach Deutschland, um seinem drei Jahre älteren Bruder Georg nahe zu sein, dessen Gesundheitszustand sich verschlechtert hatte. Fünf Tage blieb der Emeritus im Regensburger Priesterseminar und besuchte stundenweise seinen Bruder. Am 1. Juli 2020 starb Georg Ratzinger.

 

Die letzten Wochen

 

Anfang August 2020 meldete die „Passauer Neue Presse“ unter Berufung auf den Papst-Biografen Peter Seewald, Benedikt XVI. sei selber schwer an einer schmerzhaften Gesichtsrose erkrankt. Seewald berichtete demnach auch, dass der Emeritus bereits ein geistliches Testament verfasst und das frühere Grab des heiligen Johannes Paul II. in der Krypta des Petersdoms als seine Ruhestätte verfügt habe. Der Vatikan erklärte hingegen, der Zustand Benedikts sei nicht besorgniserregend.

Ein Anfang 2020 ausgestrahlter Beitrag des Bayerischen Fernsehens zeigte Benedikt sichtlich gealtert und nur noch mit schwacher Stimme sprechend. „Ich bin ein alter Mann am Ende meines Lebens“, sagte er da.

Am 28. Dezember 2022 bat Papst Franziskus bei der Generalaudienz im Vatikan um das Gebet für den "sehr kranken" Vorgänger: "Bitten wir den Herrn, ihn zu trösten und ihn in seinem Zeugnis der Liebe für die Kirche bis zum Ende zu unterstützen."

Am letzten Tag des Jahres, dem Festtag von Papst Silvester, hat Gott das Leben von Joseph Ratzinger vollendet.

UPDATE 02.01.2023: Aktualisierende Ergänzung im 16. Absatz zur Klage eines Missbrauchs-Betroffenen vor dem Landgericht Traunstein (mn)

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