Missbrauchs-Betroffener sieht Mitverantwortung des Erzbistums - Täter verstorben

Bericht: Kläger will sechsstelliges Schmerzensgeld von Erzbistum Köln

  • Ein Missbrauchs-Betroffener verklagt das Erzbistum Köln auf 725.000 Euro Schmerzensgeld.
  • Er sehe das Erzbistum in einer Mitverantwortung, da die Vorgesetzten des inzwischen verstorbenen Täters in einer Amtshaftung gestanden hätten.
  • Das Erzbistum reagierte zunächst nicht, weil der Bistumsverwaltung die Klage noch nicht vorliege.

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Ein Missbrauchs-Betroffener hat das Erzbistum Köln auf 725.000 Euro Schmerzensgeld verklagt. Das Landgericht Köln empfing am Freitag die Klage des Mannes, sagte Gerichtssprecherin Michaela Brunssen der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Der Betroffene sehe eine Amtspflichtverletzung des Erzbistums durch Unterlassen. 25.000 Euro habe er in Anerkennung seines Leids vom Erzbistum bereits erhalten, sodass eine Gesamtsumme von 750.000 Euro im Raum stehe.

Es handelt sich um die deutschlandweit wohl erste Schmerzensgeldklage eines Betroffenen sexualisierter Gewalt gegen die Kirche als Institution. Das Erzbistum Köln wollte auf KNA-Anfrage keine Stellung beziehen, da der Bistumsverwaltung die Klage noch nicht zugegangen sei.

Betroffener sieht "Amtshaftung" der Vorgesetzten

Der Betroffene, der seit vielen Jahren als Pastoralreferent im Erzbistum Köln arbeitet, ist Berichten des WDR und des "Kölner Stadt-Anzeigers" zufolge als Messdiener in den 1970er Jahren mehrere hundert Male von einem mittlerweile verstorbenen Priester sexuell missbraucht worden. Der Mann sieht demnach das Erzbistum Köln in einer Mitverantwortung, da die Vorgesetzten des Geistlichen in einer Amtshaftung gestanden hätten.

Der Fall kommt auch im Gutachten der Kanzlei Gercke für das Erzbistum Köln vor. Demnach wurden der Erzdiözese erstmals 1980 Vorwürfe gegen den Priester bekannt. Dieser räumte die Anschuldigungen ein, musste seine Pfarrstelle aufgeben und sich in therapeutische Behandlung begeben. Nachdem der Therapeut zu der Ansicht gelangte, "dass man dem Beschuldigten noch einmal eine Chance in einer kleinen, überschaubaren Pfarrei geben solle", arbeitete der Geistliche ab Dezember 1982 wieder als Pfarrer in einer Gemeinde.

Neue Entwicklungen nach 2010

2004 ging der Beschuldigte laut Gercke-Report in den Ruhestand. 2010 wurden dem Erzbistum erneut Vorwürfe bekannt, die sich ebenfalls auf die 1970er Jahre und das Jahr 1980 bezogen. Gegenüber Vorgesetzten räumte er die Taten zum Teil ein. Es folgte eine Meldung beim Vatikan. Ab 2014 durfte der Geistliche keine priesterlichen Aufgaben mehr ausüben und Kindereinrichtungen des Erzbistums nicht mehr betreten. Zudem musste er 15.000 Euro Strafe zahlen.

Die neu gegründete Interventionsstelle der Erzdiözese arbeitete den Fall 2016 erneut auf und machte die Vorwürfe gegen den Priester bekannt, um weitere mögliche Opfer zu finden. Im Dezember 2018 meldete das Erzbistum die Vorwürfe zudem an die Staatsanwaltschaft.

Gutachten sieht Fehler bei Höffner, Feldhoff und Justiziarin

Die Gutachter kamen zum Schluss, dass der damalige Kölner Erzbischof Joseph Höffner und Generalvikar Norbert Feldhoff 1980 nicht konsequent genug den Verdachtsfällen nachgingen und sich nicht genug um Betroffene kümmerten. 2010 hätte die damalige Justiziarin der Erzdiözese zudem die Vorwürfe an die Staatsanwaltschaft melden müssen.

Missbrauchs-Betroffene erhalten von den zuständigen Bistümern Zahlungen in Anerkennung des erlittenen Leides. Es handelt sich hier nicht um Schmerzensgeld, sondern um freiwillige Leistungen der Kirche. Gemäß der aktuellen Richtlinien der Deutschen Bischofskonferenz soll sich die Höhe aber an Schmerzensgeldurteilen staatlicher Gerichte orientieren.

Bundesbeauftragte Kerstin Claus begrüßt Klage

Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, begrüßte die Kölner Schmerzensgeldklage. Solche Verfahren seien zwar zumeist langwierig und für die Betroffenen "mühsam und belastend", sagte sie bei WDR 5. "Aber natürlich dient es dazu, eine Rechtsklarheit zu haben: Gibt es einen Anspruch wegen Amtspflichtverletzungen?" Dann könnten auch andere diesen Weg beschreiten.

Gegen hochrangige Kirchenvertreter persönlich - nicht jedoch gegen die Institution Kirche - gibt es bereits Klagen. So hatte im Juni ein Betroffener Klage gegen den früheren Papst Benedikt XVI. und weitere Personen beim Landgericht Traunstein eingereicht. Der emeritierte Papst soll in seiner Zeit als Münchner Erzbischof "verantwortlich zugestimmt" haben, einen Geistlichen wieder in der Gemeindearbeit einzusetzen, obwohl sexuelle Übergriffe durch den Mann bekannt gewesen seien. Benedikt XVI. bestreitet das.

Vorherige rechtliche Schritte im Erzbistum Köln

Auch im Erzbistum Köln hat es schon den Versuch rechtlicher Schritte gegeben. So lagen der Staatsanwaltschaft zwischenzeitlich mehr als 30 Strafanzeigen mit dem Verdacht auf Beihilfe zum Missbrauch gegen Kardinal Rainer Maria Woelki und weitere Personen vor. Die Amtsträger hätten zu wenig zur Verhinderung von Taten getan, so der Vorwurf. Die Staatsanwaltschaft entschied im Juli, mangels Anfangsverdacht keine Ermittlungen aufzunehmen.

Update 11.30 Uhr: Drei Absätze am Ende ergänzt, u.a. Reaktion Claus
Update 14.30 Uhr: Klage eingegangen, erster und zweiter Absatz aktualisiert.

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