Christlicher Glaube motiviert den Mann aus dem Kreis Steinfurt

Berthold Griese hilft Flüchtlingen – als Polizist bei Frontex

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Als „Europa-Polizist“ sollte Berthold Griese beim Frontex-Programm Schleuser identifizieren. Frontex konnte zwischen 2015 und 2017 mehr als 280.000 Geflüchtete retten. Grieses aus der katholischen Erziehung geprägter Gerechtigkeitssinn treibt ihn an.

Meistens kam der Alarm nachts. Dann hieß es, „zügig die blaue Weste mit dem EU-Logo anziehen, Käppi auf den Kopf, Ausweis um den Hals und ab zur Landestelle an der spanischen Küste.“ Berthold Griese aus dem Kreis Steinfurt hat zehn Wochen als Frontex-Polizist an der spanischen Küste Flüchtlinge in Empfang genommen.

Frontex ist die Europäische Agentur für die Grenz und- Küstenwache, die 2004 gegründet wurde, um die Grenzen der EU-Mitgliedsstaaten und der Länder, die den Schengen-Vertrag unterschrieben haben, zu schützen. Dazu gehören unter anderem Aufgaben wie Einsätze vor Ort, Risikoanalyse, Lagebeobachtung und die sogenannte „Rückführung“ von Menschen in ihr Herkunftsland, die kein Asylrecht haben.

 

Wozu dieser Job?

 

„In meinem Fall war ich der ,Guardia civil` zugeordnet“, berichtet Griese. Wenn die Menschen die Boote an Spaniens Küste verlassen, unterstützen europäische Beamte die einheimische Polizei bei der Registrierung.  Als sogenannter „Screener“ war es Grieses Aufgabe, mögliche Schleuser zu identifizieren. Wenn 50, 100 oder einmal sogar 250 Flüchtlinge ankamen, „guckt man sich die Flüchtlinge entweder schon auf dem Rescue-Boot oder in den Unterkünften an“, beschreibt Griese seinen Einsatz. „Mein Job war es zu dokumentieren: ,Wer ist gekommen, und welche Gründe hat er?‘.“ Mit der Hilfe von Dolmetschern wurden die Fragen gestellt. In erster Linie dient diese Vorgehensweise der statistischen Erfassung, damit die Behörden Informationen über Flüchtlingsbewegungen nach Europa erhalten. 

Eigentlich ist Griese Ermittler bei der Polizei im Kreis Steinfurt. Nach Streifendienst und nachgeholtem Abitur bewarb er sich um den gehobenen Dienst und arbeitete 15 Jahre beim Landeskriminalamt, bevor er Experte für Cyberkriminalität wurde. Wenn Firmen Opfer eines Hackerangriffs werden, beginnt sein Einsatz. „Von Frontex erfuhr ich bei einer Englisch-Fortbildung“, sagt der 55-Jährige. „Diese Aufgabe hat mich einfach gereizt.“

 

Worte statt Gewalt

 

Polizist – das ist sein Traumberuf: „Ich habe schon immer gerne Räuber und Gendarm gespielt, allerdings war ich nie der Dieb.“ Vor allem aber treibt ihn sein Gerechtigkeitssinn an: „Ich möchte Streit schlichten“, sagt er nüchtern. Zu verdanken hat er diese Einstellung auch seinen Eltern. „Ziemlich katholisch, ziemlich konservativ“ sei er wohlbehütet als jüngstes von drei Kindern in Recke aufgewachsen. Mit der Messdienergruppe oder den Pfadfindern hat er Ausflüge und Besuche zu den Benediktinern nach Meschede organisiert. Ein Umfeld, mit dem er sich intensiv auseinandergesetzt hat, und von dem er viel gelernt hat: „Ich habe immer versucht, das Wort einzusetzen statt Gewalt oder Kraft.“ In der Polizeiarbeit sei es das Schwierigste, in gewalttätigen Auseinandersetzungen schlichtend einzugreifen und so eine Lösung zu finden. Diese Herausforderung habe ihn gereizt.

Bei einer Schulung für seinen ersten Frontex-Einsatz im November 2019 wurde dem „Europa-Beamten auf Zeit“ mitgegeben: „leaving your comfort zone  – verlasse deine eigene Komfortzone“. Für Griese, der in einem Team mit 20 europäischen Kollegen im Schichtdienst arbeitete, hieß das, bei gemischtem Wetter an der Küste, auch in einfacher Unterkunft, auf den Einsatz zu warten: „Der Teamleiter hat uns dann informiert, wenn neue 'landings' angekommen sind.“ „Landings“ – das sind Flüchtlinge, die an der internationalen Seegrenze aufgegriffen werden.

 

Dunkelheit, Strömung, zu wenig Sprit

 

Ein Mitarbeiter von Frontex spricht mit Geflüchteten.
So ähnlich sah der Einsatz von Berthold Griese aus:  Ein Mitarbeiter von Frontex spricht mit Geflüchteten, die darauf warten, das Rettungsboot im spanischen Hafen von Malaga verlassen zu dürfen. | Archivbild: Jon Nazca (Reuters)

Das Meer vor Gibraltar ist tückisch: „Für die Schleuser ist es verlockend, ist es von Nordafrika doch nur ein scheinbar kurzer Weg“, weiß Griese. Die Schleuser wissen, dass am anderen Ufer Helfer warten, oft schicken sie die Boote mit der halben Portion Sprit im Tank los. Die Dunkelheit und die Strömung, die nautische Unwissenheit der Menschen in den Schlauchbooten oder ein mangelhaft reparierter Außenbootmotor täten ihr Übriges und brächten so manches Boot zum Kentern. Was vielen nicht bekannt ist: Zwischen 2015 und 2017 trug Frontex zur Rettung von 280.000 Menschen im Mittelmeer bei.

Trotzdem: Was ist das für ein Job, der doch in dem Ruf steht, Menschen nicht eben zimperlich an den Grenzen Europas zurückzuweisen? Berthold Griese ist sich des durchaus zwiespältigen Bildes bewusst. 1.500 Polizisten aus verschiedenen Staaten versehen jeweils in Teams mit der einheimischen Polizei ihren Dienst entlang der europäischen Grenze. Es gibt die TV-Bilder von Grenzpolizisten, die Migranten körperlich zurückgewiesen haben: „Schon für diese Kollegen müssen wir von Frontex dort mit im Einsatz sein“, sagt Griese. Die EU setze somit Zeichen: „Wir lassen euch in diesen Situationen nicht allein.“ Das sei für die Kollegen vor Ort wichtig: „Wenn ich mir überlege, wenn der bulgarische Kollege an der Grenze Tag für Tag dabei ist, wenn fremde Menschen in sein Land kommen, kann ich verstehen, dass er negative Gefühle entwickelt.“ Die Präsenz von Frontex-Beamten wirke so in brenzligen Situationen bei illegalen Grenzübertritten auch deeskalierend.

 

Heftige Schicksale

 

Griese nennt diesen Teil seiner Arbeit „Beamtendenken“: „Dafür sorgen, dass Recht und Gesetz eingehalten werden.“ Aber der christliche Urgedanke, Menschen zu helfen, „der lebt auch in mir, und zwar ganz gewaltig, sonst wäre ich nicht zu Frontex gegangen.“ Und so lassen ihn die Begegnungen mit den geflüchteten Menschen an der spanischen Grenze, die Griese als Beamter professionell abgewickelt hat, nicht unberührt: „Da hat man dann mit vielen Einzelschicksalen zu tun. Das hat mir definitiv einen Blick über den Tellerrand vermittelt.“

Im Gedächtnis ist ihm vor allem eine junge Frau geblieben, 19 Jahre alt. Sie war seit drei Jahren auf der Flucht aus der afrikanischen Sahelzone. Dabei hatte sie ein einjähriges Kind: „Das war für mich eines der Schicksale, das mich am meisten ergriffen hat. Sie war Opfer einer Vergewaltigung geworden.“ Dolmetscher berichten, dass 99 Prozent der Frauen, die aus der Subsahara-Zone fliehen, leicht Opfer männlicher Gewalt werden: „Ihr Grund zu fliehen war, dass sie mit Beginn des 16. Lebensjahres von ihren Eltern verkauft werden sollte“, so Griese. Als sie vom Schiff ging, sagte sie beiläufig: „Wenn sie das Kind haben wollen, so nehmen sie es doch“, und Griese blickte dabei in ihre leeren Augen.

 

Frauen bleiben auf der Strecke

 

Als Vater von zwei Kindern hat ihn diese Aussage beschäftigt: „Da wünschte ich mir, dass die europäische Flüchtlingspolitik Ursachen individueller in den Blick nimmt.“ Zwar sind „geschlechtsspezifische Fluchtursachen“ seit 2005 im deutschen Asylrecht anerkannt, doch ihr Nachweis ist für die Frauen oft schwierig. „Im öffentlichen Bewusstsein stehen Krieg und Hunger als Fluchtursache im Mittelpunkt, dabei sind es vor allem Frauen, die auf der Strecke bleiben“, sagt Griese. Sie bleiben in Nordafrika hängen, wo sie als Dienstmädchen, Feldarbeiterinnen oder Prostituierte ausgebeutet werden.

Laut der Heinrich-Böll-Stiftung wird Migration vor allem als jung und männlich wahrgenommen, das belegt auch die Zahl der Asylanträge in Deutschland. Für Griese ist es eine schwierige Frage: „Wo ziehen wir die Grenze? Wen nehmen wir auf, wen weisen wir ab?“ 

 

Angst vor der Angst anderer

 

Vor dem Hintergrund sei die Arbeit durch Frontex so wichtig: „Es geht um Kontrolle, auch um die Waage zu halten“, sagt Griese. „Ich habe keine Angst davor, Fremde in mein Land zu lassen. Uns geht es gut, wir können helfen. Ich habe Angst vor der Angst anderer, die dann anfangen, radikale Parteien zu unterstützen.“

Die Grenzen sollen sicherer gemacht werden, ja, aber auch sicherer für die Flüchtlinge: „Wenn jemand als Flüchtling nach Europa kommt, dann soll er auch sein Recht auf Asyl bekommen können, wenn er einen Anspruch darauf hat.“ Für sich hat Griese mittlerweile auch klar: „Wirtschaftliche Gründe allein können keine Fluchtursache sein.“ 

 

Was Berthold Griese demütig macht

 

Als Hoffnungsschimmer sieht er die neue EU-Asylrechtsreform: „In Moria brennt es im wahrsten Sinne des Wortes schon. Was wir brauchen, sind schnellere Asylverfahren, damit die Menschen nicht so lange in den Lagern ausharren müssen.“

Sein Frontex-Einsatz sei für ihn ein heilsamer Prozess gewesen: „Solche Erfahrungen machen demütig und dankbar. Für mich ist mein Garten hier Luxus“, sagt Berthold Griese und deutet auf sein grünes Paradies, gestaltet mit kleinem Teich, einem Pool und einer Draußen-Küche. Hier kann er abschalten und die Seele baumeln lassen und den Blick in eine europäische Zukunft wagen: „Ich wünsche mir einen ausgewogenen Weg, der alle Seiten abdeckt, damit wir in einem freien Europa ohne radikale Gedanken wohnen können und anderen helfen wollen.“

Frontex und die Vorwürfe, Menschenrechte zu verletzen
Das Konsultativforum für Grundrechte ist ein Gremium, das Frontex bei der Verbesserung des Menschenrechtsschutzes an den Außengrenzen berät. In dem Gremium sind verschiedene staatliche und nichtstaatliche Organisationen vertreten. Stefan Keßler vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst war bis 2019 dort Vorsitzender und sagt auf Anfrage von „Kirche-und-Leben.de“: „Es gibt eine Verantwortung von Frontex, aktiv dafür zu sorgen, dass keine Menschenrechtsverletzungen auftreten. Dieser Verantwortung wird Frontex nicht völlig gerecht.“

Die bundesweit aktive Organisation Pro Asyl informiert dazu auf ihrer Homepage: „Als Grenzschutzbehörde ist Frontex in einem sehr heiklen Feld tätig, in dem es immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen kommt – zum Beispiel, wenn Menschen illegaler Weise an der Grenze direkt zurück geschickt werden, ohne zu prüfen, ob sie Schutz benötigen. Auch kommt es immer wieder zu Gewalt bei Einsätzen an Grenzen, wobei offen bleibt, wer die rechtliche Verantwortung trägt.“
 
Frontex organisiert auch so genannte „Rückführungen“, also Abschiebungen, und geriet 2019 in die Kritik, als das ARD-Politmagazin „Report München“ dabei menschenrechtsverletzende Methoden wie Medikamenteneinsatz zur Ruhigstellung aufdeckte.

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