Ein Jahr Missbrauchsstudie - Was hat sich getan? (3)

Betroffene: Keine neue Vertuschung, aber Schadenersatz-Praxis unwürdig

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Wie bewerten von Missbrauch Betroffene die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs ein Jahr nach der Veröffentlichung der Studie? Für „Kirche-und-Leben.de“ haben vier von ihnen ihre Bewertung in einer gemeinsamen Stellungnahme zusammengefasst. Wir dokumentieren die einerseits anerkennenden, andererseits kritischen Worte.

Die Großbölting-Studie hat in zahlreichen Fällen beschuldigter und überführter Missbrauchstäter Klartext gebracht, teils Namen genannt, die Vertuschungspraxis aller münsterschen Bischöfe seit 1945, allen voran Bischof Reinhard Lettmann, und ihrer Helfer, hier wohl allen voran Erzbischof em. Werner Thissen, dingfest gemacht und die bei Laien nicht selten vorhandene Mitwisserschaft thematisiert.

Das ist gut so und ist auch dem mutigen – wenn auch sicher durch öffentlichen Druck (mit-)verursachten – Entschluss des Bistums zu dieser Studie zu verdanken. Insgesamt haben wir schon den Eindruck, dass das Bistum grundsätzlich Transparenz herstellen will. Dass über deren Grenzen auch gestritten werden kann, ist eine andere Frage und im Ansatz akzeptabel. In Gemeinden mit Missbrauchsgeschichte herrscht nicht selten der Eindruck nicht ausreichender Information vor.

Betroffene: Anerkennungs-Praxis willkürlich

Dass neu auftretende Fälle vertuscht würden, glauben wir nicht. Wie es mit glaubwürdiger Verantwortungsübernahme aussehen wird, bleibt abzuwarten. Offene Themenfelder sind die Aufarbeitung sexueller und sonstiger Gewalt in Ordenseinrichtungen, Einrichtungen der Caritas und Kinderheimen.

An dem Problem der nicht selten defizitären Leistung von Schadenersatz und Schmerzensgeld für Betroffene hat sich im Bistum kaum etwas zum Positiven verändert. Wir halten die Praxis für willkürlich, unwürdig und in Teilen rechtsstaatswidrig, und Bischof Felix Genn versteckt sich hier hinter den Beschlüssen der Bischofskonferenz. Herr Genn kennt unsere Einschätzung.

Gute Kommunikationskanäle

Es bestehen verschiedene, teils gute Kommunikationskanäle zwischen Betroffenen und Bistumsvertretern, so etwa mit dem Domkapital über die Frage der Bischofsgrablege im Dom – eine positive Entwicklung.

Ebenso positiv ist, dass nun eine unabhängige, mit Ehrenamtlichen besetzte Aufarbeitungskommission mit einem fürs erste angemessenen Budget ihre Arbeit aufnehmen kann; erst der mit Laien besetzte Kirchensteuerrat hat mit einer mutigen Entscheidung die Grundlage für die unabhängige Arbeit geschaffen.

Ob die von Bischof Genn angekündigte „freiwillige“ Verwaltungsgerichtsbarkeit eine effektive Machtbeschränkung des Bischofs herbeiführen wird, bleibt ebenso abzuwarten wie die Frage, ob sie Betroffenen nützen wird. Bischof und Teile der Bistumsleitung sind, so meinen wir, durchaus entschlossen, missbrauchsbegünstigenden Faktoren – zum Beispiel Klerikalismus, unreflektierte Sexualität – entgegenzuwirken. Es gäbe noch viel zu sagen, Positives wie Negatives, doch dafür reicht der Platz leider nicht.

Franz Hitze Haus lädt ein zur Zwischenbilanz
Aus Anlass des Jahrestags der Veröffentlichung der Missbrauchsstudie für die Diözese Münster lädt die Bistums-Akademie Franz Hitze Haus zu einer Veranstaltung ein. Am Dienstag, 13. Juni, ab 18.30 Uhr werden der Betroffene Peter Tenbusch aus Rhede, Professor Thomas Großbölting, Bischof Felix Genn und der Chefredakteur der „Herder Korrespondenz“, Stefan Orth, sprechen. Eine Anmeldung ist erforderlich. Informationen dazu unter www.franz-hitze-haus.de/info/23-025.

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