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Zum ersten Mal haben sich Betroffene sexuellen Missbrauchs im Bistum Münster zu einem Vernetzungstreffen versammelt. „Mit einem so großen Interesse haben wir nicht gerechnet“, erklärten die Initiatoren gegenüber "Kirche-und-Leben.de". Allerdings gebe es weiterhin „große Skepsis" gegenüber der Bistumsleitung, wenn es um Aufarbeitung und Konsequenzen gehe.
Zum ersten Mal haben sich Betroffene sexuellen Missbrauchs durch Geistliche des Bistums Münster am vergangenen Wochenende in größerem Rahmen zu einem Vernetzungstreffen versammelt. 56 Menschen sind der Einladung gefolgt, wie die Initiatoren Hans Jürgen Hilling, Franz N., Sara Wiese und ein weiterer Betroffener Thomas K. (sein Name ist von der Redaktion geändert) im Anschluss gegenüber „Kirche-und-Leben.de“ berichteten. „Mit einem so großen Interesse haben wir nicht gerechnet“, erklärten sie.
217 Einladungen an Betroffene seien verschickt worden. Über die Teilnehmenden hinaus hätten zudem 40 Betroffene mitgeteilt, „dass sie über weitere Aktivitäten informiert werden möchten“. Viele hätten überdies geschrieben, „sie seien psychisch oder emotional noch nicht so weit, gegenüber anderen Betroffenen ihr Gesicht zu zeigen“.
Zwar hatte das Bistum Münster aus datenrechtlichen Gründen die von den Initiatoren verfassten Einladungen verschickt und auch die Kosten für die Veranstaltung übernommen. Darüber hinaus war aber kein Vertreter der Diözese an dem Treffen beteiligt.
„Befreiende Erfahrung“
Für viele sei es „eine sehr positive und befreiende Erfahrung gewesen, zum ersten Mal mit anderen Betroffenen zusammenzukommen, um dort eigene Vorstellungen und Ideen zu artikulieren und auch die eigene Geschichte zu thematisieren“, erklärten die Initiatoren. Die Trauer darüber, dass der eigene Lebensweg durch Erfahrung sexueller Gewalt „oft belastet und beschädigt ist, wurde oft sichtbar“.
Gleichwohl sei die Veranstaltung in einer positiven Atmosphäre und unterstützt von einem kompetenten Moderationsteam verlaufen: „Das Interesse aneinander und der Wille zum Austausch waren spürbar“.
"Tiefes Misstrauen gegenüber kirchlicher Aufklärung"
Allerdings gebe es weiterhin „große Skepsis gegenüber Bischof Genn und der Bistumsleitung, wenn es um Aufklärung von Missbrauchstaten, um die Benennung von bischöflichen Vertuschern und Konsequenzen“ gehe.
Angesichts eines nach wie vor „tiefen Misstrauens gegenüber kirchlicher oder kirchennaher ‚Aufklärung‘“ sei von vielen Teilnehmern eine „unabhängige und aufrichtige Aufklärung durch eine staatliche Aufklärungskommission“, gefordert worden. Die Betroffenen würden sich nicht mehr „in die Schmuddelecke stellen“ lassen. Wichtig seien zudem „konkrete Initiativen zur Prävention, zum Beispiel durch die Selbsthilfegruppe Rhede“.
"Grotesk langsame Bearbeitung von Anträgen"
Zudem äußerten die in Münster versammelten Betroffenen durchgehend Kritik an der „grotesk langsamen Bearbeitung“ von Anträgen im „so genannten Entschädigungs-Verfahren“ der Deutschen Bischofskonferenz, die teils mit „entwürdigenden Behandlungen“ einhergingen. Ein Betroffener habe während des Treffens gesagt: „Ich glaube, dass so lange verzögert wird, bis die meisten von uns tot sind.“
Etliche Teilnehmende hätten beschrieben, „durch die Erfahrungen mit der Täterorganisation den Kontakt zu ihren spirituellen Wurzeln verloren“ zu haben. Die Kirche ließe das, was einmal Heimat war, „austrocknen“. Es fehle eine „traumasensible Seelsorge“.
"Kaum Interesse an Beiräten"
Ob und in welcher Form sich Betroffene im Bistum Münster organisieren, ist nach Angaben der Initiatoren weiterhin völlig offen: „Betroffene haben kaum Interesse, Beiräte etc. zu besetzen, da die Strukturen und der Sinn der kirchlich eingerichteten Beiräte und Kommissionen nicht deutlich kommuniziert sind und von den Teilnehmern teils auch grundlegend in Frage gestellt werden.“
Außerdem gebe es „erheblichen Zweifel daran, ob Institutionen innerhalb des Kirchensystems das Machtsystem schützen, statt offen an der Aufarbeitung mitzuwirken“, erklärten die Initiatoren.
Konsequenzen nach Münsteraner Missbrauchsgutachten?
Anders als andere Diözesen will Münster bewusst keinen „Betroffenenbeirat“ einrichten, weil es einer Täterorganisation nicht zukomme, Betroffene dazu zu berufen, wie Stefan Baumers von der Stabsstelle Intervention und Prävention im Generalvikariat bereits im Juni vergangenen Jahres gegenüber „Kirche-und-Leben.de“ betont hatte.
Die Initiatoren des Betroffenentreffens stellten eine „weitere Vernetzung der Betroffenen“ in Aussicht – etwa nach der Vorstellung der Ergebnisse der unabhängigen Historikerkommission, die unter der Leitung von Thomas Großbölting wohl im Juni über den Umgang mit Missbrauch im Bistum informiert. „Dann wollen wir zum Beispiel prüfen, ob die Konsequenzen, die Bischof und Bistum daraus ziehen wollen, überhaupt diskutabel sind“, betonen die Initiatoren.