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Die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) hat Zahlen zu katholischen Zahlungen an Missbrauchsbetroffene vorgelegt. Wie bewerten diese selbst die Lage? Kirche+Leben fragt Jens Windel vom Betroffenenbeirat der Deutschen Bischofskonferenz.
Herr Windel, im Sommer 2023 wurde das Urteil des Landgerichts Köln rechtskräftig, das einem Betroffenen sexualisierter Gewalt 300.000 Euro vom Erzbistum Köln zuspricht. Die UKA, die über Zahlungen deutscher Bistümer und Orden an Betroffene entscheidet, sagt in ihrem Jahresbericht, das Urteil habe die Entscheidungen der Kommission beeinflusst. Wie sehen Sie das?
Die UKA hat vom Beginn ihrer Arbeit Anfang 2021 bis Ende 2023 nach eigenen Angaben über 2.248 Anträge entschieden und knapp 57 Millionen Euro Zahlungen in Anerkennung des Leids angeordnet. Pro Person sind das rechnerisch etwas mehr als 25.000 Euro. Es heißt, die UKA-Entscheidungen bewegen sich am oberen Rand dessen, was staatliche Gerichte in vergleichbaren Fällen an Schmerzensgeld zusprechen. Das kann ich nach wie vor nicht erkennen. Auch wenn seit dem Kölner Urteil Summen steigen: Weit überwiegend wird immer noch entschieden, dass Bistümer und Orden nur einen kleinen Teil der 300.000 Euro zahlen, die ja offenbar am oberen Rand liegen.
Nun sind nicht alle Fälle sexualisierter Gewalt gleich…
Natürlich. Aber wir sind bei den Leistungen noch nicht annähernd dort, wo sich beide Seiten treffen müssten, damit Betroffene nicht den Eindruck gewinnen: Wir werden bagatellisiert.
Warum scheint Ihnen eine Erhöhung der Summen so wichtig?
Es geht um Signalwirkung. Wenn ein Bistum 300.000 Euro zahlen muss, ist das offenbar derzeit die Höchststrafe. Wenn Betroffene sehr viel geringere Leistungen erhalten, müssen sie doch den Eindruck gewinnen, in ihrem Fall komme der Täter günstig davon: Verurteilt ja, aber maximal zu so etwas wie einer Art „Bewährungsstrafe“.
Wie könnte es zu Leistungen kommen, die Betroffene als angemessen empfinden?
Das System müsste sich grundlegend ändern. Da suchen wir vom Betroffenenbeirat der Bischofskonferenz auch das Gespräch. Im Moment warten die Bischöfe nach meinem Eindruck noch ab, zu welchen Urteilen staatliche Gerichte kommen. Hohe Einzelsummen erregen dann Aufsehen, zumal die betroffenen Bistümer und Orden zustimmen müssen, sobald die UKA eine Zahlung von mehr als 50.000 Euro anordnet.
Das haben bisher alle Bistümer getan, sagt die UKA.
Trotzdem: Wir müssen sehen, dass die Bischöfe die Regeln für das UKA-Verfahren selbst festgelegt haben. Es darf nicht darum gehen, wie viel die betroffenen Bistümer in einem Fall zahlen wollen, sondern wie viel sie zahlen müssten. Wer als Bürgerin oder Bürger einen Bußgeldbescheid bekommt, hat auch keinen Ermessensspielraum.
Gegen solche Bescheide kann man vorgehen. Auch gegen UKA-Entscheidungen ist Widerspruch möglich.
Ja, aber das Problem bleibt, dass das Verfahren der UKA eine „Black Box“ ist. Wir kennen keine Gründe für ihre Entscheidung, eine gewisse Summe zu zahlen. Wir können Widerspruch einlegen, aber wissen gar nicht, gegen welche Einschätzung.
Wie ließe sich das ändern?
Unabhängige Ombudsstellen wären eine Verbesserung. Stellen Sie sich vor, jemand hat von der UKA eine Summe zugesprochen bekommen, hat einmalig Widerspruch eingelegt und eine Nachzahlung erhalten. Hier ist der kirchliche Verfahrensweg zu Ende. Wenn sich jemand noch immer nicht sachgerecht beurteilt sieht, bleibt nur die Klage vor staatlichen Gerichten. Es wäre gut, wenn es Ombudsstellen gäbe, wo Menschen mit juristischen und vielleicht auch psychologischen Kenntnissen auf den Fall schauen und gemeinsam mit der betroffenen Person neu auf das Bistum zugehen. Das würde ein Stück mehr für Waffengleichheit sorgen. Solche Ombudsstellen gibt es leider erst in einzelnen Bistümern.
Jens Windel (49) ist Gründer und gewählter Vorsitzender der Betroffenen-Initiative Hildesheim, gehört dem Betroffenenbeirat der Deutschen Bischofskonferenz an und dem gemeinsamen Betroffenenbeirat für die Bistümer Hamburg, Hildesheim und Osnabrück. Er lebt in Algermissen bei Hildesheim.