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Viele Sprachen, Meinungen, Sichtweisen – aber das Verstehen bleibt auf der Strecke: So sieht es in der Welt aus, mitunter auch in der Kirche. Das Hochfest des Heiligen Geistes öffnet Wege der Erneuerung. Ein Leitartikel von Bischof Felix Genn.
Im Laufe meines Dienstes habe ich immer mehr verstanden, dass zwei Dinge zentral sind: zuerst die Priorität des Gebetes. Damit meine ich nicht die liturgischen „Pflichten“. Es geht darum, wie Johannes nahe beim Herrn zu sein und seinen Herzschlag zu hören. Ohne Gott ist alles nichts. Aus der Quelle des Herzens Jesu geht alles hervor. Liebe, Menschenfreundlichkeit, Versöhnung, Geduld und Unterscheidung. In meinem Dienst versuche ich, Menschen in die Einheit zu führen.
Somit ist das Zweite: Einheit und Unterscheidung. Wie oft denken wir von anderen Personen und Gruppen in Kategorien von Feindschaft, von Missgunst und Konkurrenz? Wie oft haben wir in Gedanken das Fell des Nächsten schon verteilt? Einheit ist ein hartes Stück Arbeit, sie kostet uns viel. Manchmal muss ich schweigen und hinnehmen, manchmal reden, wenn ich mich raushalten möchte. Manchmal muss ich bezahlen, obwohl ich nicht bestellt habe. Manchmal bekomme ich etwas geschenkt, ganz und gar gratis. Das zu unterscheiden ist schwer.
Die Sehnsucht nach Einheit
Das Pfingstfest hat seine alttestamentliche Entsprechung in der Erzählung des Turmbaus zu Babel und der Verwirrung der Sprachen. Menschen, die nur der Hochmut verbindet, verstehen einander nicht. Was für ein Bild: Sprache, die Kommunikation ermöglicht, verwirrt! So viele Wörter, aber oft so wenig Bedeutung und Schönheit in ihnen, so wenig Würde und Liebe! Ein gutes Wort zu finden, ist eine Kunst: Jede Meinung und jedes Gefühl scheinen legitim und normbildend. Vieles ist moralisch überhöht, manchmal halten wir die Meinung des anderen für irrelevant. Aus dem Zeitalter der Kommunikation ist ein Zeitalter der leeren Worthülsen geworden.
Am Pfingstfest wird diese Verwirrung wieder aufgelöst. Als sich die Jünger aus dem Gebet heraus den Menschen zuwenden, kann sie jeder in seiner Sprache verstehen. Die Verschiedenheit wird nicht einfach vom Tisch gefegt, aber es wird Einheit gestiftet.
Dies ist für mich Anlass, die Sehnsucht nach Einheit zu unterstreichen. Dem Pfingstereignis geht etwas voran. Die Jünger Jesu gingen „in das Obergemach hinauf, wo sie nun ständig blieben…Sie alle verharrten dort einmütig im Gebet…“ (Apg 1,13f) Dem Aufbruch ging das Gebet voran. Damit meine ich nicht, dass alles gut wäre, wenn wir einfach nur mehr beten würden. Und dennoch war dies immer die eigentliche Erneuerung des Volkes Gottes. Einheit und Erneuerung fanden die Jünger nicht in ihren Begabungen und Sprachtalenten. Einheit fand die Kirche nur in einem, in Jesus.
Unsere Gesellschaft steht unter Druck
Die Einheit in Jesus Christus ist etwas ganz und gar Tiefes, Letztgültiges. Sie ist von einer Art, die zusammenbindet und Freude schafft. Sie ist die Verbindung, die den Tod überwindet. Deshalb ist mein erstes pfingstliches Wort für uns: Suchen wir noch mehr diese Einheit im Gebet, in Jesus, im Nicht-Kritisieren, im Vergeben, im Nicht-Nachtragen, im Gebet. Sind wir mutig genug, darüber offen zu reden? Wie betest du? Eine Frage, die alles ändert. „Sie alle verharrten dort einmütig im Gebet.“ So konnte Pfingsten werden. Wenn wir der jungen Kirche nachfolgen, kann Kirche von Morgen werden.
Zu Beginn bin ich auf den Dienst an der Einheit zu sprechen gekommen, zwei Anliegen möchte ich ergänzen: Unsere Gesellschaft steht unter Druck. Viele Fragen sind ungeklärt, Lösungen oft ideologisch geprägt, ebenso sind es viele Alternativen. Mit den Alternativen ist das eine schwierige Sache. Echte Alternativen zeichnen sich dadurch aus, dass sie Lösungen vorschlagen. Die Bischöfe werden aber nicht schweigen, wenn es um fundamentale Rechte und die gleiche Würde eines jeden Menschen geht. Diese ist alternativlos. Es ist schlicht und ergreifend ein Unrecht, wenn wir den Menschen, die unsere Hilfe brauchen, nicht helfen oder das Problem an andere weiterreichen. Das Pfingstereignis macht „die da“, die Menschen mit anderen Sprachen und anderer Herkunft, zu einem Wir. Dies politisch zu unterscheiden und umzusetzen, bedarf einer Klarheit und Unterscheidung in der Frage, was existenzielle Not ist, wo geholfen werden muss und was zurückgewiesen werden sollte. „Wir zuerst!“ ist keine Alternative. Es gibt Grenzen, deren Überschreitung keine Alternative ist. Der Schutz des Lebens des Menschen ist alternativlos. Und das darf uns etwas kosten! Christinnen und Christen machen immer das Leben groß!
Zeugnisse der Nächstenliebe
Das Schöne an meinem Dienst ist die Begegnung mit vielen Menschen. Unzählige Zeugnisse der Nächstenliebe habe ich in vielen Jahren kennenlernen können. Kleiderstuben, Caritas, Hilfegruppen für die Weltkirche, liturgische Initiativen, Umweltaktionen und so vieles mehr. Ich bräuchte eine Gesamtausgabe der Kirchenzeitung, um auch nur in Ansätzen die vielen Dinge zu umreißen. Es sind auch die großen Werke, die bei uns im Bistum und außerhalb arbeiten.
Wenn ich diese Zeilen schreibe, steht neben dem Bischofshaus ein großer Stand von Renovabis, dessen Aktion in diesem Jahr in Münster eröffnet wird. Auch feiern wir das 100-jährige Geburtsjubiläum von Schwester Petra, einer Frau aus Oelde, die in Indien den Orden der Dienerinnen der Armen gegründet hat. Das sind nur zwei Beispiele. Wie wird das aber in Zukunft gehen? Wie bleiben wir beieinander? Wie stellen wir uns für die Zukunft auf?
Reform ohne Inhalt ist gegenstandslos
In unserem Bistum wird eine Strukturreform durchgeführt. So notwendig diese ist, wird sie jedoch nicht allein Zukunftsfähigkeit bringen. Ohne Struktur hat es Zukunft sehr schwer, darum machen wir diese Reform in großer Anstrengung, für die ich dankbar bin. Jedoch ist Reform ohne Inhalt gegenstandslos, und unser Inhalt ist groß: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.“ (Joh 10,10) Das Leben zu verkünden, ist immer der innerste Kern der Verkündigung. Wie aber führen wir dies weiter?
Wir haben um Wege der Erneuerung gerungen, in der Weltkirche, in der Kirche in Deutschland, im Bistum und vor Ort. Es gab Ideen, Vorschläge, Lösungsansätze, Streit und Versöhnung. Ich konnte Menschen erleben, die miteinander suchen und ihr Herzblut für Menschen und Kirche geben. Dies ist mir Motivation, in meinem Bemühen nicht nachzulassen. Dazu möchte ich etwas beisteuern, auf das ich am Anfang hingewiesen habe. Es ist die Gabe der Unterscheidung. Es gibt viele gute Ideen, Vorschläge und Lösungsansätze. Es gibt viele Entscheidungen zu treffen, manchmal auch Entscheidungen, die weh tun. Was ist, wenn eine Kirche aufgegeben wird? Wie machen wir es, auch Menschen mit ganz anderen Meinungen wirklich zu integrieren?
Wie Gespräch im Heiligen Geist funktioniert
Von der Weltkirche lernen, konnte ich hautnah erfahren. Dem Treffen der Weltsynode im letzten Oktober waren Kontinentalsynoden vorangegangen, so auch die Kontinentalsynode Asiens in Bangkok. Dort wurde eine Methode des Gespräches etabliert, die wir auch auf der Synodalversammlung in Rom erlernt haben: Gespräch im Heiligen Geist, in Deutschland besser bekannt unter dem Wort Geistliche Unterscheidung in Gemeinschaft.
Es hat mich sehr berührt, wie wir über die verschiedenen Grenzen der Sprache, der Kultur, des Lebensstandes und so vieler verschiedener Ideen immer tiefer in eine Einheit kamen, ohne die eigene Meinung oder Identität aufgeben zu müssen. Es war ein pfingstliches Ereignis. Es war nicht einfach eine Methode oder eine besondere Technik. Es gab am Ende nicht Gewinner und Verlierer, es stand auch kein Kompromiss am Ende.
Gemeinsam voran in eine Erneuerung
Zentral war die Frage nach dem Weg Gottes, nach Seiner Führung und Seinem guten Geleit. Gebunden war dies an Gebet und gegenseitigem Zuhören: „Was sagt mir Gott durch das Wort des anderen?“ und nicht, was ich von dieser oder jener Meinung halte. Was für ein machtvoller Gedanke: Was sagt mir Gott durch das Wort des anderen? Es steht nicht im Mittelpunkt, dass ich meine Idee durchsetze, sondern die Tatsache, dass wir in Einheit als Geschwister des Herrn den Weg Gottes gehen. Diese Methode trug und trägt mit vollem Recht den Namen Gespräch im Heiligen Geist. Mir ist es ein großes Anliegen, dies in unserem Bistum zu etablieren. Es wird uns zukunftsfähig machen. Bald wird es eine Hilfe dazu geben, die noch erarbeitet wird.
Ich ermuntere ausdrücklich, in allen Orten des Engagements mit Großherzigkeit und Vertrauen voranzugehen. Gott wird seine Kirche führen, er wird uns helfen, den richtigen Weg zu finden. (Ps 16,11): „Du lässt mich den Weg des Lebens erkennen. / Freude in Fülle vor deinem Angesicht, Wonnen in deiner Rechten für alle Zeit.“
Darin sehe ich den Weg, um gemeinsam in eine Erneuerung voranzugehen. Wenn wir nicht unserer eigenen Klugheit allein folgen, sondern in Einheit auf den Geist des Herrn hören. Seine Stimme hören wir aus dem Herzschlag Jesu heraus, den wir in der Stille des Gebetes hören können. Wir hören Ihn im Wort des anderen. So bleiben wir beieinander und suchen das Leben in Fülle!