Menschen warten weiter auf Evakuierung

Bischof von Odessa: Dammzerstörung „unvorstellbare Katastrophe“

  • Von einer „unvorstellbar katastrophalen Lage“ im Gebiet Cherson berichtet der katholische Bischof von Odessa, Stanislaw Szyrokoradiuk.
  • Dort ist in dieser Woche der Kachowka-Staudamm zerstört worden.
  • Weiterhin steigt das Wasser in vielen Ortschaften.

Anzeige

Von einer „unvorstellbar katastrophalen Lage“ im Gebiet Cherson nach der Zerstörung des ukrainischen Kachowka-Staudammes berichtet der zuständige katholische Bischof von Odessa, Stanislaw Szyrokoradiuk. Die Häuser von 20.000 Menschen stünden bereits unter Wasser; erst 2.000 von ihnen seien bislang evakuiert, sagte der Franziskaner am Dienstagabend telefonisch der Presseagentur Kathpress.

Die wirtschaftlichen und ökologischen Folgen seien kaum abzuschätzen; die humanitäre Not sei enorm. „In der ganzen Region ist die bevorstehende Mais- und Getreideernte vernichtet, und es gibt kein Trinkwasser mehr“, so der Bischof.

Wasser in Cherson steigt weiter

Noch immer steige in den Ortschaften unterhalb des Stausees – darunter auch in niedrigen Zonen der Provinzhauptstadt Cherson – das Wasser, „in manchen Teilen schon auf über drei Meter“, berichtete Szyrokoradiuk. Er sei in ständigem Kontakt mit Priestern, deren Pfarren direkt betroffen seien und der Bevölkerung mit beschränkten Möglichkeiten zu helfen versuchten.

Die Menschen hätten sich im Verlauf des Tages an Erhebungen versammelt und warteten auf ihre Evakuierung. „Das Wasser aus dem See kommt weiterhin; man rechnet, dass der Pegel mindestens bis Mittwoch weiter steigt“, so der Bischof.

Bischof: Völkermord geht weiter

„Ganz eindeutig“ macht er die Russen die Verursacher der Kraftwerks-Zerstörung aus. „Die Befürchtung, dass es zu diesem Schritt kommen würde, gab es schon im vergangenen Jahr, als die Besatzer Minen in den Damm einließen. Alle in der Ukraine warteten mit großer Sorge, wann die Sprengung erfolgen würde.“ Nun solle die Sprengung die anlaufende ukrainische Gegenoffensive stören, so Szyrokoradiuk.

Dass Russland zu diesem Schritt fähig sein würde, überrasche ihn nicht. „Der russische Terror und der Völkermord an der Ukraine gehen weiter. Alles, was die Ukraine hat, muss aus russischer Sicht vernichtet werden“, sagte der Bischof. Es sei zu befürchten, dass es selbst bei den ukrainischen Atomkraftwerken keine rote Linie geben werde.

So sieht er die Vatikan-Bemühungen

Pessimistisch bewertet der Bischof von Odessa die derzeitigen vatikanischen Friedensbemühungen. Erst am Dienstagnachmittag hatte der päpstliche Sondergesandte Kardinal Matteo Zuppi in Kiew Präsident Wolodymyr Selenskyj getroffen. Der ukrainische Staatschef verfolge einen anderen Plan als Papst Franziskus, so die Einschätzung Szyrokoradiuks.

„Selenskyj hat aufgezeigt, wie ein Friedensplan für die Ukraine aussehen kann. Vom Vatikan aus kann man vielleicht träumen, von Washington aus noch leichter.“ Eine Waffenruhe würde dem russischen Aggressor jedoch nur Zeit verschaffen, um sich wieder weiter für einen neuen Angriff auf die Ukraine aufzurüsten, so die Einschätzung des Bischofs.

Kiew wie Moskau beschuldigen sich

Ein „wahrer Friede“ müsse unverzichtbar mit der Sicherstellung von dauerhafter Freiheit verbunden sein. Dies könne nur über einen Sieg der Ukraine über den Angreifer gelingen, befand der Bischof. Er hoffe, dass die Welt dies nach der Sprengung des Staudamms endlich erkenne.

Kiew wie Moskau beschuldigen die jeweils andere Kriegspartei, den im Südosten der Ukraine gelegenen Kachowka-Staudamm in der Nacht zum Dienstag zerstört zu haben. In dem zur Region Cherson gehörenden Überschwemmungsgebiet des Kachowka-Damms, der Anfang der 1950er Jahre über den Dnipro-Fluss errichtet wurde, liegen rund 80 Ortschaften.

Der von der Explosion in Bewegung gesetzte Stausee war mit 230 Kilometer Länge und bis zu 9,4 Kilometer Breite rund viermal so groß wie der Bodensee. Er fasste 18 Kubikkilometer Wasser, die nun in Richtung Schwarzes Meer strömen. An dem Stausee liegt das AKW Saporischschja. Es wird wie das Wasserkraftwerk mit dem Staudamm seit mehr als einem Jahr von russischen Besatzern kontrolliert.

Anzeige