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Am Rosenmontagszug in Münster nimmt seit einigen Jahren eine außergewöhnliche Gruppe teil. Die „blinden Kühe“ haben schwere Sehbehinderungen. Der Karneval ist trotzdem bunt für sie.
Wer die 20 Narren in ihren Kuh-Kostümen sieht, kommt kaum auf die Idee, dass da eine außergewöhnliche Fußgruppe beim münsterschen Rosenmontagszug mitläuft. Denn an Ausgelassenheit stehen sie den anderen Teilnehmern in nichts nach. Und so staunen einige Zuschauer nicht schlecht, wenn sie Kontakt zu ihnen aufnehmen und merken, dass dort Menschen mit schweren Sehbehinderungen unterwegs sind. Sie sehen den Straßenkarneval kaum oder gar nicht. Das tut ihrer Feierlaune aber keinen Abbruch.
Dass sie sich seit einigen Jahren am Rosenmontag auf den Weg machen, war die Idee von Marina Melzer. Sie vertritt die Westdeutsche Bibliothek der Hörmedien im Arbeitskreis „Anders Sehen“ – ein Zusammenschluss von Institutionen und Vereinen aus Münster und dem Münsterland, die Angebote für sehbehinderte und blinde Menschen organisieren. Mitglied ist auch das Referat Seelsorge für Menschen mit Behinderungen des Bistums Münster.
Münsterländische Schwarzbunte
Auch der Name der Fußgruppe stammt von Marina Melzer. „Wir hatten erst überlegt, uns blinde Hühner zu nennen – die Kostüme dafür waren aber weitaus aufwändiger.“ So nannten sie sich „Blinde Kühe“ und nahmen Verkleidungen von der Stange: Schwarzbunte Overalls mit Hörnern und Euter – wie man Kühe aus dem Münsterland eben kennt.
Gesehen hat Ida Hölscher ihr Kostüm noch nie – aber intensiv abgetastet. Die 63-Jährige ist blind geboren. Als sie vor fünf Jahren von dem Angebot erfuhr, am Straßenkarneval teilzunehmen, war sie sofort Feuer und Flamme. „Weil uns Sehbehinderten dadurch eine Welt eröffnet wird, von der wir sonst ausgeschlossen sind.“
Karneval ist auch für blinde Menschen bunt
Es ist eine laute, unruhige Welt für einen Menschen ohne Sehvermögen. Angst macht sie deshalb aber nicht. „Für uns ist die Geräuschkulissen die Buntheit des Karnevals.“ Wenn im Zug vor ihnen ein niederländischer Karnevalswagen fährt, findet Hölscher das klasse. „Die haben immer die schönste Musik – richtig laut.“
Und so tanzt, schunkelt und hüpft sich die Gruppe mit ihrem Bollerwagen durch Münster. Mittlerweile sind es bis zu 25 Teilnehmer, die auch von weiter entfernt anreisen – aus Steinfurt, Dülmen oder Bielefeld. Viele Betreuer sind dabei, die führen und vor Hindernissen warnen. Und die den Straßenkarnevalisten am Rand immer wieder erklären müssen, welch besondere Gruppe gerade an ihnen vorbeiläuft.
Bonbons für die Kinder
Für Ida Hölscher haben sie noch eine wichtige Aufgabe. „Sie machen uns darauf aufmerksam, wenn gerade viele Kinder am Straßenrand stehen.“ Dann greifen die Sehbehinderten besonders tief in die Taschen mit den Bonbons. „Weil das Werfen in diesen Momenten noch mehr Spaß macht.“ Das „Helau“ und „Danke“ klingt aus Kinderkehlen halt noch einmal schöner.
Der intensive Kontakt zu so vielen Menschen ist herausragend für die Menschen aus der Gruppe, sagt Marina Melzer. „So vielseitig können sie das in ihrem Alltag kaum erleben.“ Dafür nehmen alle die Strapazen des Tages gern in Kauf. Lange Anreisen, mehrere Kilometer Fußmarsch und viele Wartezeiten halten keinen ab. Auch nicht Ida Hölscher. Wenn sie anschließend in ihren Bus nach Hause steigt, ist sie immer noch voller Euphorie, sagt sie: „Das Erlebnis Rosenmontagszug nehme ich noch lange mit in den Alltag.“ Eine bunte Welt, die sie nicht sehen konnte, aber intensiv fühlt und hört.