Wie groß ist das Suchtpotenzial? Was bewirken die Gewaltdarstellungen?

Bringt Computerspiel Fortnite Gewalt in Kinderköpfe?

Der Zündstoff Nummer eins in den Kinderzimmern hat aktuell einen Namen: Fortnite. Das Computerspiel ist schon seit geraumer Zeit hart diskutiertes Thema in vielen Familien. Gibt es Grund zur Sorge?

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Der Zündstoff Nummer eins in den Kinderzimmern hat aktuell einen Namen: Fortnite. Das Computerspiel ist schon seit geraumer Zeit hart diskutiertes Thema in vielen Familien. Offiziell freigegeben ab zwölf Jahren, hat es einen Hype ausgelöst, der die Kinder täglich stundenlang vor die Bildschirme ihrer Spielkonsolen treibt.

Was sie begeistert, bringt ihren Eltern große Sorgen. An zwei Fragen entzünden sich ihre Ängste: Ist die dargestellte Gewalt schon etwas für diese Altersgruppe? Und: Hat dieses Spiel nicht ein viel zu hohes Suchtpotenzial?

 

Worum geht es?

 

Für alle, die noch nicht wissen, worum es geht: Heranwachsende beschreiben Fortnite gern als Bau- und Strategiespiel, weil es die Möglichkeit gibt, mit der betreffenden Spielfigur das Areal, auf dem sie sich bewegt, mitzugestalten. Das verharmlost allerdings, denn es ist nur ein geringer Teil der Spielaufgabe. Es geht vor allem darum, Gegner zu eliminieren. Mit den unterschiedlichsten Waffen in der Hand kämpfen sich die Spieler  durchs Gelände und durch Gebäude, um die Mitspieler hinterrücks oder im offen Kampf  zu erschießen.

„Es ist aber kein klassisches Ego-Shooter-Spiel“, beschwichtigt der Medienpädagoge Johannes Wentzel. „Weil der Blick des Spielers mehr aus der Totalen heraus geschieht.“ Das ist ein wichtiger Unterschied zu jenem Format, bei dem die animierte Figur gar nicht zu sehen ist, sondern nur die Waffe in seiner Hand. „Die Identifizierung mit dem Kämpfer ist damit nicht so groß.“

 

Kein Blut zu sehen

 

Zudem sind die Kämpfer zwar menschenähnlich, aber comikhaft gezeichnet, skurril gekleidet und tanzen zappelig. Auch die Darstellung der Gewalt ist in den Augen Wentzels abgeschwächt: „Es ist kein Blut zu sehen, und die Gegner verschwinden nach ihrer Eliminierung in einem blauen Lichtkegel.“ Das alles helfe spielenden Kindern, zwischen der Fiktion von Fortnite und dem realen Leben zu differenzieren. „Die Grenze zwischen Computerwelt und echter Welt wird deutlich.“

Johannes Wentzel
Johannes Wentzel ist Medienpadagoge. | Foto: privat

Nichtsdestotrotz: Wer mit hundert anderen Kämpfern auf einer Insel landet und nur überleben kann, wenn er alle anderen tötet, transportiert in erster Linie eine kriegerische Botschaft. Das sagt auch Wentzel: „Das alleinige Mittel, Probleme zu lösen, ist bei diesem Spiel die Gewalt.“

 

Gilt nur noch das Faustrecht?

 

Heißt das, dass auch die spielenden Kinder im Alltag keine andere Lösung finden, als Differenzen mit der Faust zu auszutragen? Das schwächt der Medienpädagoge ebenfalls ab: „Als Vorbild dient ein solches Spiel nur nachrangig.“ Viel prägender sei das Konfliktverhalten in der Familie und im Freundeskreis. „Wenn dort allerdings auch das Faustrecht gilt, kann Fortnite dieses Grundmuster verstärken.“

Aber selbst wenn das Gewaltpotenzial nicht so groß ist wie von vielen Eltern befürchtet, bleibt die Frage nach dem Suchtfaktor. Weltweit gibt es mittlerweile mehr als 100 Millionen Spieler der unterschiedlichen Fortnite-Versionen. Youtube-Videos und internationale Wettkämpfe mit Millionen-Preisgeldern blasen die Bedeutung des Spiels weiter auf. Es gibt kaum einen Schulhof oder ein nachmittägliches Treffen  unter Freunden ohne dieses Thema. Auf dem Handy, auf der Spielkonsole oder dem Tablet – Fortnite ist allgegenwärtig. Wer dazugehören will, muss mitmachen, gerade bei den Jungen gilt das.

 

Das sind die Anzeichen einer Sucht

 

„Es läuft erst etwas schief, wenn alle anderen Dinge im Leben des Kindes plötzlich zweitrangig werden“, sagt Wentzel. „Wenn es keine alternative Freizeitgestaltung gibt, wenn der Kontakt zu Freunden abgebrochen wird, wenn Schulaufgaben und Sportverein keine Rolle mehr spielen.“

Psychologen beschreiben weitere Indikatoren für eine Game-Sucht: Etwa Entzugssymptome wie Reizbarkeit, Ängstlichkeit oder depressive Stimmungen. Oder Täuschung der Familienangehörigen über die tatsächliche Spieldauer. Auch der Verlust einer Beziehung oder des Ausbildungsplatzes können Hinweise sein.

 

Ist ein Verbot sinnvoll?

 

Was aber können Eltern tun, um das zu vermeiden? „Ein komplettes Verbot ist kaum sinnvoll“, sagt Wentzel. Weil es unrealistisch ist: Die Kinder werden ihren Weg finden, ihr Stück fortnite zu bekommen, ob während des Besuchs beim Freund oder mit dem Handy auf dem Schulhof.

„Ein klares Statement aber ist wichtig.“ Deutlich machen, woher die eigene Skepsis kommt, ist dabei entscheidend. Nach Meinung von Wentzel müssen sich die Eltern dafür aber in der Materie auskennen. „Sonst werden sie unglaubwürdig.“

 

Wer diskutiert, muss vorher spielen

 

Wer diskutiert, muss wissen, worüber. „Das Youtube-Video oder auch das gemeinsame Spielen mit dem Kind kann helfen.“ Das habe zudem eine wichtige positive Botschaft für den Nachwuchs: „Ich bin ihnen nicht egal – sie interessieren sich wirklich für meine Welt.“

Als wichtigstes Steuerungsins-trument dient die zeitliche Begrenzung, unterstreicht Wentzel. Ein allgemeiner Richtwert liegt bei maximal einer Stunde Spielzeit am Tag. Auch das kann Kindern positiv vermittelt werden, sagt er. „Erklären Sie ihnen, dass es noch Zeit für andere Dinge braucht, welche Auswirkungen es haben kann, wenn es länger daddelt, oder was ihm an Freizeitmöglichkeiten verloren geht.“ Und: „Schaffen Sie Alternativen.“ Das Kind muss wissen, was es tun kann, wenn die Konsole aus ist.

 

Trennung zwischen Fiktion und Wirklichkeit

 

Eins stellt der Medienpädagoge auch klar: „Alle Richtwerte, Tipps und Ratschläge nehmen die Eltern nicht aus der Pflicht des eigenen Engagements.“ Kein anderer kennt das eigene Kind besser als Vater und Mutter. „Springt es sensibel auf Gewaltdarstellungen an, hat es bereits eine Kompentenz im Umgang mit Medien erlangt, gelingt ihm die Trennung zwischen Fiktion und Realität.“

Die individuelle Auseinandersetzung kann also nicht vermieden werden. Luftsprünge der Kinder vor Glück seien bei den Diskussionen aber nicht zu erwarten, sagt Wentzel. „Aus der Nummer kommen die Eltern nicht raus – dies auszuhalten ist ihr Job.“

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