Landesseniorenvertretung befürchtet deutliche höhere Preise

Bund plant Mehrwertsteuer für "Essen auf Rädern"

 Gegen die Pläne des Bundesfinanzministers, die Dienste wie "Essen auf Rädern" zu besteuern, erhebt sich breiter Widerstand. Die Landesseniorenvertretung lehnt die Steuer als unsozial ab. Auch die Caritas hat deutliche Bedenken.

Anzeige

Cilli Klein-Heßling fährt am Caritas-Altenheim St. Josef in Hamminkeln-Dingden vor und lädt neun Styroporkartons in den Kofferraum ihres Autos. Fertig beladen, startet sie die Tour mit den Drei-Gänge-Menüs für ältere, gebrechliche und bedürftige Menschen in Hamminkeln-Dingden. So wie sie verteilen  täglich mehr als 25 Fahrer in neun Bezirken das „Essen auf Rädern“ ehrenamtlich an 160 Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht mehr selbst kochen können.

Insgesamt sind 235 Frauen und Männer in den sieben Ortsteilen der Stadt Hamminkeln regelmäßig unterwegs. Ein erheblicher logistischer Aufwand. Und das in einem Gebiet, das mehr als 160 Quadratkilometer beträgt. Zubereitet werden die Mahlzeiten im Caritas-Altenheim St. Josef. Die Mahlzeit kos­tet pro Person fünf Euro.

 

Mildtätiger Zweck

 

Doch die Zeit der günstigen Mahlzeiten scheint vorbei. Der Bundesfinanzminister möchte auf Mahlzeitendienste wie „Essen auf Rädern“ ab dem 1. Januar 2020 sieben Prozent Mehrwertsteuer erheben. Dagegen protestiert die Landesseniorenvertretung (LSV) in Nord­rhein-Westfalen.

Jürgen Jentsch, Vorsitzender der LSV, schlägt Alarm. Ein Papier der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtsverbände hat ihn auf die Spur gebracht. In der Arbeitsgemeinschaft sind neben der Caritas und der Diakonie auch der Paritätische Wohlfahrtsverband, die Arbeiterwohlfahrt, das Deutsche Rote Kreuz und der Jüdische Wohlfahrtsverband vertreten.

 

Finanzielle Konsequenzen

 

Das Papier macht klar, dass Einrichtungen wie „Essen auf Rädern“ keinen Gewinn erzielen wollen und deshalb steuerbegünstigt sein müssen. Nach Auffassung der Wohlfahrtsverbände geht es um gemeinnützige, mildtätige und kirchliche Zwecke.

Eine Abschaffung der Umsatzsteuerbefreiung würde bei vielen gemeinnützigen Trägern zu einer Verteuerung der Leis­tung führen. Und das wiederum hätte insbesondere bei Seniorinnen und Senioren mit geringen Renten zum Teil erhebliche finanzielle Konsequenzen.

 

Fehlurteil des Gerichts

 

Die Pläne des Bundesfinanzministeriums hatte ein Urteil des Bundesfinanzhofes vom Dezember 2010 in Gang gebracht, das die Steuerbefreiung der Mahlzeitendienste in Zweifel zog. Nach Auskunft des Bundesfinanzministeriums ist die Steuerbefreiung mit geltendem EU-Recht nicht vereinbar. Christoph Kuhn vom Pressereferat des Ministeriums schreibt „Kirche+Leben“, dass unter bestimmten Regelungen die Mahlzeitendienste weiterhin von der Umsatzsteuer befreit seien. „Die Verbände“, so der Pressereferent, „wurden – wie bei jedem Gesetzgebungsverfahren – mehrfach angehört und ihre Stellungnahmen bei der Neuregelung berücksichtigt“.

Für die Wohlfahrtsverbände ist das Urteil des Bundesfinanzhofes ein Fehlurteil. Tobias Kleinebrahm, Pressesprecher des Caritasverbandes Geldern-Kevelaer erläutert: „Der Verband liefert zurzeit 374 Essen aus. Für eine Mahlzeit berechnet der hauptamtliche Dienst in Geldern im Gegenzug zu den ehrenamtlichen Teams in Hamminkeln zwischen 7,40 und 7,90 Euro.“

 

Teil der Daseinsfürsorge

 

Kleinebrahm kann die Begründung der Richter nicht nachvollziehen. Das Angebot „Essen auf Rädern“ sei, ob von ehrenamtlichen Teams oder hauptamtlichen Fahrern geliefert, kein reiner Mahlzeitendienst. Vielmehr sei es ein Angebot der täglichen Daseinsfürsorge für alte und gebrechliche Menschen. Der Dienst sei notwendig, damit diese Gruppe auch weiterhin in ihrem Umfeld wohnen könne.

„Wir bringen nicht nur das Essen, sondern sehen einmal am Tag nach dem Rechten. Das gehört zum Selbstverständnis der Caritas“, erklärt Kleine­brahm den Unterschied zu den gewerblichen Diensten. Wenn der Kunde auf das Läuten nicht öffne, erkundige sich der Fahrer zum Beispiel bei Nachbarn, ob er gerade verreist oder krank sei. „Wir verteilen nicht einfach nur Mahlzeiten“, stellt er fest. Die steuerliche Mehrbelastung muss seiner Ansicht nach nur zum Teil an die Kunden weitergegeben werden.

 

Arme Senioren werden belastet

 

Friedhelm Tersek, Organisator von „Essen auf Rädern“ in Hamminkeln, sieht die Situation entspannter. Er rechnet vor: Ein Essen kostet in Hamminkeln pro Person fünf Euro. Würde die Umsatzsteuer berechnet werden, müsste die Mahlzeit 5,35 Euro kosten. Tersek glaubt nicht, dass diese Erhöhung Senioren dazu veranlasst, dass Essen abzubestellen. Auch sieht er das ehrenamtliche Engagement, wie die LSV glaubt, durch die Pläne nicht gefährdet. Denn seine Gruppe fährt für fünf Euro und für 5,35 Euro.

Eine grundsätzliche Frage ist es für ihn, ob es wieder einmal die Armen treffen muss. Und in dieser Einschätzung trifft er sich mit der LSV und den Wohlfahrtverbänden. Jürgen Jentsch (LSV) ist der Auffassung, dass sich aufgrund der Preissteigerung ältere und einkommensschwache Menschen das Angebot nicht mehr leisten können. Der Staat sei auf diese Einnahmequelle nicht angewiesen, sagt er.

Die Wohlfahrtsverbände sehen es ähnlich. „Bei Seniorinnen und Senioren mit geringen Renten führt es zu einer erheblichen finanziellen Mehrbelastung.“

Anzeige