Erzbistum Paderborn und Verein legen Sozialprojekt auf

Kaplan wetterte einst gegen Fußball – jetzt kooperieren BVB und Kirche

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Man könnte glauben, es sei ein normaler Currywurst-Imbiss. Aber die Inschrift am Gebäude liest, der sieht: Das Haus nahe dem Borsigplatz in Dortmund war mal der „Wildschütz“. Wer die Geschichte des Fußballvereins BVB kennt, dem sagt der Name etwas. Und der weiß, dass ein Geistlicher darin eine Rolle spielt. Allerdings keine sehr rühmliche.

Fünf Gehminuten von dem Imbiss entfernt wartet Gemeindereferent Karsten Haug in der Dreifaltigkeitskirche. Die darf „BVB-Gründerkirche“ heißen, mit dem Segen des Vereins. Und mit Recht.

Mit BVB-Schal um den Hals erzählt Haug anschaulich, humorvoll und mit historischen Bildern gespickt jene filmreife (und übrigens auch bereits verfilmte) Geschichte um 18 rebellische junge Männer, die sich am vierten Advent des Jahres 1909 im „Wildschütz“ trafen, um den Ballspiel-Verein Borussia Dortmund aus der Taufe zu heben. Was die Kirche damit zu tun hat? Nun, eigentlich hatten die Jugendlichen im Kontext der Kirche Fußball zu spielen begonnen: Sie gehörten der „Jünglingssodalität“ der Dreifaltigkeitskirche an, die sich mit Turnen und Leichtathletik befasste – was ganz im Sinne der Kirche war. Doch schon bald kam auch der damals neue Sport Fußball auf.

Fußball in Dortmund: Faustschlag gegen den Kaplan

Und das fand der seit 1906 in der Gemeinde tätige Kaplan Hubert Dewald gar nicht gut: Er geißelte den Sport als „Fußlümmelei“ von der Kanzel der Dreifaltigkeitskirche ab und setzte pünktlich zu der Zeit, zu der die jungen Männer normalerweise sonntags ihr Spiel begannen, eine Andacht an. Und wenn die Kirche rief, widersetzte man sich damals nicht so einfach. 

Doch die angesprochenen 18 Jugendlichen trauten sich dennoch, trafen sich dann eben vermeintlich außerhalb des Kaplans-Einflussgebiets zur Gründung eines Vereins. Als der Kirchenmann von den Plänen von der Gruppe um Franz Jacobi hörte, eilte er in die Kneipe, um das Vorhaben noch zu stoppen – und bekam gleich mal einen Faustschlag ab. Unerhört! So fing alles – mit ziemlich viel Ärger – an. Kleine Fußnote: Dewald, der später turnusgemäß versetzt wurde, verstarb 1918 mit nur 36 Jahren – und wurde ausgerechnet in Gelsenkirchen begraben, wie Karsten Haug weiß.

BVB: Vom katholischen zum evangelischen Verein

Doch es war trotz allem der Wunsch der Gründer, eng mit der Kirche verbunden zu bleiben. Dass die Vereinsfarben des BVB heute schwarz-gelb sind, lässt sich indes als Zeichen der Entfernung des Fußballclubs von der katholischen Kirche lesen: Benachbarte Vereine, die sich vergeblich bemüht hatten, in den Westdeutschen Spielverband aufgenommen zu werden, traten schließlich dem BVB bei.

Und so entfernte der sich von seinen katholischen Wurzeln, die ursprünglichen blau-weißen Farben der Dreifaltigkeitskirche, die sich in den Vereinsfarben wiederfanden, verloren an Bedeutung. August Busse, später langjähriger BVB-Präsident, begründete 1913 seinen Antrag auf Änderung der Farben so: „Mittlerweile hat sich die Situation grundlegend geändert. Borussia Dortmund ist kein Katholikenverein mehr, sondern hat jetzt mehrheitlich evangelische Mitglieder. Ich beantrage deshalb neue Vereinsfarben. Mein Vorschlag lautet gelb-schwarz. Gelbes Trikot, schwarze Hose“.

Die Kirche braucht das Gotteshaus eigentlich nicht mehr

Heute ist das Verhältnis zwischen dem BVB und katholischer Kirche längst nicht mehr konfliktreich. Ganz im Gegenteil. Kirche und Verein – sie haben eine gemeinsame spannende und wahrscheinlich in dieser Form deutschlandweit einzigartige Idee für die Zukunft jenes Hauses an der Flurstraße mitten in der von Migranten geprägten Nordstadt, das die Kirche nach Worten des Gemeindereferenten als Ort für Gottesdienste „eigentlich nicht mehr braucht“. 

Nur eine kleine Minderheit der Menschen in der Dortmunder Nordstadt gehört einer der großen christlichen Kirchen an, der Großteil ist entweder muslimisch oder ohne Konfession.

Soziale Projekte in BVB-Gründerkirche geplant

Mitte Mai wurden die Pläne in einer großen Pressekonferenz vorgestellt, Haug saß – ziemlich aufgeregt – mit auf dem Podium. Und aufregend ist es in der Tat, was da vorgesehen ist: Unter dem Motto „Glaube, Liebe, Fußball“ gründen Borussia Dortmund und das Erzbistum Paderborn das Bau- und Sozialprojekt „BVB-Gründerkirche“.

In der Kirche soll künftig die Historie erinnert werden, aber sie soll auch Heimstatt einer Vielzahl sozialer und karitativer Projekte in diesem Brennpunktviertel sein – nach dem Motto des BVB-Gründers Franz Jacobi: „Die Qualität eines Fußballvereins zeigt sich darin, wie er seinen sozialen Aufgaben gerecht wird.“ Zum zukünftigen Angebot an alle Menschen, unabhängig von ihrer Religion oder Herkunft, sollen Sprachkurse, Bildungsmessen, ein grünes Klassenzimmer, ein Seniorenmittagstisch, eine Spielausleihe und vieles mehr gehören. Geplant sind außerdem besondere Rituale, gottesdienstliche Feiern und Veranstaltungen für Fußballfans.

Eine Tribüne, wo bisher die Orgel stand

Haug zeigt eine Animation, die veranschaulicht, wie es hier künftig aussehen soll: Die Kirche wird energetisch saniert und im Inneren umgebaut. Neben Räumen für Gespräche und kleinere Veranstaltungen, ist an den Seiten des Hauptschiffs eine Dauerausstellung geplant. So zeigt eine Seite unter dem Motto „Glaube“, „Borussia“, „Dreifaltigkeit“ die Geschichte des Stadtviertels und des Fußballvereins. Auf der anderen soll es um das heutige Stadtviertel und seine Menschen gehen, so Haug.

Zur bisherigen Orgelempore hinauf – die Orgel ist bereits abgebaut – soll eine Tribüne entstehen, die bei größeren Veranstaltungen als Zuschauerraum genutzt wird. Ganz als sakraler Raum aufgegeben werden soll die Kirche indes nicht: Hinter einer kirchenraumhohen multifunktionalen Glaswand soll im bisherigen Altarraum ein Gottesdienstraum erhalten bleiben. Das alles – angestoßen übrigens vom BVB, nicht von der Kirche – bedeutet eine Investition „im höheren einstelligen Millionenbereich“, wie es etwas vage heißt. Welchen Teil der Verein beiträgt und welchen die Kirche? Erfährt man nicht.

Seelsorger für BVB-Fans

Bei einer solch engen Vernetzung zwischen Kirche und Verein – hat Karsten Haug nicht manchmal die Befürchtung, seine Unabhängigkeit als Seelsorger zu verlieren und sich den Marketing-Interessen des Vereins unterordnen zu müssen? Eigentlich nicht, sagt er – wobei es dann jüngst doch einen schwierigen Fall gab: Kurz nachdem das Sozialprojekt vorgestellt worden war, verkündete der BVB seine umstrittene Sponsoring-Partnerschaft mit dem Rüstungskonzern Rheinmetall. Und da wollten natürlich die Journalisten auch wissen, was der „BVB-Seelsorger“ dazu sagt....

Für Karsten Haug bleibt dabei grundsätzlich klar: Er ist nicht Seelsorger des Vereins, sondern der Fans des Vereins. Er sagt, er habe schon einen Herrn, dem er diene. Und das sei nicht der Vorstand von Borussia Dortmund.

Zur BVB-Gründerkirche:
Das Team der „Gründer-Kirche“ hat sich zur EM ein buntes Programm überlegt. Dazu gehören Glaube, Geschichte, Musik, Bier und Public Viewing. Zum Eröffnungsspiel der deutschen Mannschaft ist diesen Freitag ab 16.30 Uhr die Kirche geöffnet, man kann die BVB-Gründungsgeschichte kennenlernen. Es folgt um 18 Uhr eine Fußballandacht mir Superintendentin Heike Proske und einem Dudelsackspieler, schließlich ist der Gegner der Deutschen Schottland. Es folgt ein Bier-Tasting, für das man sich allerdings anmelden musste. Anschließend wird gemeinsam das Spiel geschaut. An Vortagen der weiteren EM-Spiele, die in Dortmund stattfinden, gibt es jeweils Andachten mit Fußball-Bezug und ein Rahmenprogramm. Mehr auf: www.bvb-gruenderkirche.de

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