STAPELFELD

Caritas-Chef warnt vor neuen Stammwählern „vermeintlicher Erlöser“

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Deshalb fordert Gerhard Tepe in Stapelfeld eine „Intelligenz der Herzen“. Und ZDF-Wahlexperte Karl-Rudolf Korte wünscht sich „Schwellenlust“.

 

Offene Augen und Ohren, insbesondere für die Bedürfnisse überforderter Menschen in einer immer komplizierteren Welt – dazu hat der oldenburgische Caritasdirektor Gerhard Tepe aufgerufen. Offene Augen, das bedeute zum Beispiel: wahrzunehmen, dass es in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung „einen Prozentsatz unserer Bevölkerung gibt, der sein Auto nicht online abmelden kann, wenn er überhaupt eines hat oder seine oder ihre Formulare nicht am Handy ausfüllen kann“, sagte Tepe beim diesjährigen „Abend der Caritas“ am Donnerstag, 12. Juni, in der Katholischen Akademie Stapelfeld.

In Ergänzung zu Künstlicher Intelligenz forderte Tepe eine „Intelligenz der Herzen“ und warnte die mehr als hundert geladenen Gäste aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft: „Wenn wir diese von der Entwicklung überforderten Menschen übersehen, werden sie zu Stammwählern der vermeintlichen Erlöser. Zu Stammwählern derjenigen, die vorgeben, alles und jedes im Griff zu haben. Und einfache Antworten gepaart mit Fake-News geben.“

Caritas lehnt Künstliche Intelligenz nicht ab

Natürlich lehne man als Caritas technische Möglichkeiten auch der sogenannten Künstlichen Intelligenz nicht ab und werde sie selbstverständlich als Hilfsmittel nutzen. Aber eine Intelligenz der Herzen werden und dürften solche Neuerungen nie ersetzen. „Wir als Caritas bleiben dabei Anwalt des konkreten Menschen in Not“, versicherte Tepe.

Dabei komme es auch auf das Zuhören an. So wie es die rund 14.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Caritas im Oldenburger Land tagein, tagaus seit Jahrzehnten ganz selbstverständlich praktizierten. Gerhard Tepe: „Diese Arbeit stärkt und ist gleichzeitig das Rückgrat unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts.“

Begegnung von Mensch zu Mensch bleibt wichtig

Trotz der wachsenden Bedeutung von Digitalisierung und Globalisierung werde auch in Zukunft die Begegnung von Mensch zu Mensch wichtig bleiben, so der Caritasdirektor. Und auch künftig komme es darauf an, einander Vertrauen entgegenzubringen.

„Vertrauen, das unsere Einrichtungen und Dienste auch von Politik und Verwaltung brauchen.“ Und Vertrauen, das sich auch Politiker bei ihren Entscheidungen auch im Sinne ihrer eigenen Ziele auf die Fahne schreiben sollten. Denn, so Tepe: „Durch Vertrauen könnte ein wesentlicher Teil der Bürokratie bereits abgebaut werden.“

Karl-Rudolf Korte: Wahlabende als „Feste der Freiheit“

Die Demokratie in Deutschland hochzuhalten und zu bewahren – dazu rief Politikwissenschaftler Professor Karl-Rudolf Korte in seinem Gastvortrag beim diesjährigen Abend der Caritas seine Zuhörerinnen und Zuhörer im großen Saal der Katholischen Akademie auf. Er lenkte den Blick dabei zum Beispiel auf die Fernseh-Berichterstattung nach dem Ende eines Wahltages und nannte solche „Wahlabende“ einen guten Grund zum Feiern und dankbar zu sein.

Denn: Solche „Feste der Freiheit“ seien keineswegs selbstverständlich. Millionen Menschen auf der Welt wären froh, frei wählen zu können. Und Millionen seien gestorben, um diese Freiheit zu erreichen, sagte Wahl- und Parteienforscher Korte, der seit 20 Jahren als Experte bei Wahlsendungen des ZDF dabei ist.

Künftig wird auch Verzicht nötig sein

Als besondere Herausforderung bezeichnete er die Aufgabe, in Zeiten von Krieg, Klimakrise und Finanzproblemen vermehrt unpopuläre Entscheidungen vertreten zu müssen. „Wir sollten uns damit anfreunden, dass Politik nicht nur ,immer mehr‘ bedeutet.“ Und Antworten auf die Frage suchen, wie man Menschen auch notwendigen Verzicht vermitteln könne.

Korte rief dazu auf, diesen Zeiten des „Gewissheitsschwunds“ mit einer Art „Schwellenlust“ zu begegnen. Mit dem Mut, neue Wege zu entwickeln. Etwas Neues, das anknüpft an das, das wir erlebt haben, aber das zu eigenen Veränderungen bereit ist.

 

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