Themenwoche „Soziale Dienste am Kipppunkt“ (2)

Caritas: Sozialkürzungen in NRW bedrohen Integration von Geflüchteten

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Eine unzureichende Beratung von Geflüchteten befürchtet die Caritas für die Stadt Münster, sollten geplante Kürzungen im NRW-Landeshaushalt 2025 kommen. Experten beschreiben, welche negativen Folgen das hätte.

Vor den Folgen von Kürzungen im Sozialbereich und speziell für die Hilfen und Beratungen von Geflüchteten warnt die Caritas für die Stadt Münster. „Die Integration wird erschwert. Rechtsansprüche können nur noch unzureichend wahrgenommen werden“, beklagt Marie Brückmann.

Die Leiterin des Caritas-Fachdienstes für Migration und Integration wird am 13. November an der Demonstration gegen die Sparpläne der nordrhein-westfälischen Landesregierung vor dem Düsseldorfer Landtag teilnehmen. Aufgerufen zum Protest hat die Freie Wohlfahrtspflege NRW. Mehrere hundert Mitarbeitende des Caritasverbands für die Stadt Münster werden dabei sein.

Land NRW vor großen Kürzungen im Sozialbereich

Die im Landeshaushalt 2025 vorgesehenen Kürzungen im Sozialbereich belaufen sich auf 83 Millionen Euro. Für den Bereich Migration, Flucht und Integration sind Einschnitte von knapp 23 Millionen Euro geplant.

Die Auswirkungen seien hoch, meint Sarah Bange. Sie leitet bei der Caritas Münster die Sozialen Beratungsdienste. „Wenn wir das Beratungsangebot verkleinern, führt das zu noch längeren Wartezeiten für Ratsuchende und möglicherweise dazu, dass Ratsuchende abgewiesen werden müssen, obwohl ihnen eine Beratung rechtlich zusteht.“

Speziell die unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten wären betroffen, fürchtet Marie Brückmann: „Für die Jugendlichen bedeutet das eine schlechtere Vorbereitung auf das Asylverfahren, mehr rechtliche Unklarheiten und als Folgen zum Beispiel einen schlechteren Schutzstatus und gegebenenfalls nicht realisierbare Familiennachzüge und damit eine dauerhafte Trennung von Eltern und Geschwistern.“

Mehr negative Urteile in Asylverfahren zu erwarten

Für Geflüchtete in den Landesunterkünften würde es wohl kaum noch einen Zugang zu Beratung geben. In der Zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE) Münster ist Brückmann zufolge vom Bund nur eine Vollzeitstelle in der Asylverfahrensberatung für 900 Bewohnerinnen und Bewohner vorgesehen. In der Praxis bedeute das eine kaum noch zu leistende Unterstützung bei Fragen zum Ablauf des Asylverfahrens, keine Vorbereitung auf Anhörungen und keine Rechtsberatung.

Die Folgen seien abzusehen: „Asylverfahren werden mit mehr negativen Urteilen und schlechterem Schutzstatus ausgehen, was die Anzahl der anhängigen Klageverfahren bei den Verwaltungsgerichten extrem in die Höhe treiben und damit die Dauer der Asylverfahren in die Länge ziehen wird“, sagt Marie Brückmann. Damit zögen sich auch Integrationsprozesse deutlich in die Länge.

Beratungsstrukturen für Flüchtlinge vor dem Zusammenbruch?

Themenwoche „Soziale Dienst am Kipppunkt?“
Fachkräftemangel in der Pflege und in den Kitas, Haushaltskürzungen unter anderem bei der Migrationsberatung – die sozialen Dienste stehen vor enormen Herausforderungen. Kirche+Leben fragt nach, wie prekär die Lage wirklich ist. Teil 2: Sozialkürzungen in NRW bedrohen Integration von Geflüchteten.

„Bereits jetzt bekommen wir viele Anfragen von verzweifelten Menschen aus Notunterkünften des Landes in Nordrhein-Westfalen, in denen es keine Beratung gibt. Es wird nicht möglich sein, alle diese Anfragen im Rahmen der regionalen Beratung für Geflüchtete aufzufangen. Auch die Asylverfahrensberatung des Bundes ist leider in viel zu geringem Umfang in den Landesunterkünften vorhanden“, sagt Marie Brückmann.

Sollte es zu den Kürzungen im Landeshaushalt kommen, hätte das Folgen für die Kommunen, erklärt Sarah Bange: „Es wird zu höheren Belastungen auch für Behörden und Ämter kommen, da Beratungsstellen nicht mehr als ‚Puffer‘ agieren können und Anfragen direkt bei den kommunalen Einrichtungen landen.“ Lang bestehende Beratungsstrukturen würden zusammenbrechen.

Integration von Geflüchteten wird erschwert

Auch Thomas Schlickum unterstützt den Protest gegen die geplanten Kürzungen. Der Vorstand der Caritas Münster befürchtet langfristig höhere Kosten für die Gesamtgesellschaft, wenn ohne eine verlässliche Finanzierung Integrationsprozesse erschwert würden: „Integration erfolgt langsamer, was zu höherem Bezug von Sozialleistungen führt. Soziale Probleme wie Armut, Isolation und Kriminalität nehmen zu.“

Unzureichend unterstützte Migrantinnen und Migranten und deren Kinder könnten in ihrem beruflichen oder schulischen Bildungsweg noch mehr benachteiligt werden. „Das führt langfristig zu einer Erhöhung der Kosten, da zusätzliche Förderbedarfe entstehen.“

Spannungen und Konflikte nehmen zu

Die Konsequenzen seien schon jetzt absehbar, sagt Schlickum: „Die Ungleichheit in der Gesellschaft wird größer. Damit wird das Zusammenleben erschwert. Spannungen und Konflikte nehmen zu.“ Letztlich leide auch die Wirtschaft darunter, weil der Arbeitsmarkt auf Zuwanderung angewiesen sei.

Von der Demonstration am Landtag erhoffen sich Marie Brückmann, Sarah Bange und Thomas Schlickum ein ernsthaftes Überdenken der Haushaltsplanung. Und sie wollen Zeichen setzen: „Wir wollen die Stimme der geflüchteten Menschen repräsentieren und zeigen, dass es viele Menschen gibt, die politisch anders denken.“

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