Inselpfarrer Egbert Schlotmann: Erst die Sturmflut, jetzt das Virus

Corona-Krise auf Wangerooge: "Fühlt sich an wie Karsamstag“

Erst riss Sturmtief "Sabine" den Strand weg. Jetzt Corona. Die Ostersaison fällt aus, die Zukunft ist ungewiss. Pfarrer Egbert Schlotmann sagt: Gerade jetzt muss die Kirche sich Zeit für die Sorgen der Menschen auf der Insel nehmen.

Anzeige

 „Es fühlt sich an wie ein Karsamstag.“ So beschreibt Egbert Schlotmann seine Stimmung. „Eine eigenartige Ruhe und Stille liegt über der Insel.“ Dazu spürt der Pfarrer der St.-Willehad-Gemeinde in den seltener gewordenen persönlichen Begegnungen und in Telefongesprächen die Anspannung der rund 1300 Bewohner auf Wangerooge.

Kein Wunder. Eine Katastrophe folgte hier auf die andere. Die erste brach Mitte Februar auf die Insel, brausend und laut, als Orkan mit dem Namen „Sabine“. 80.000 der 100.000 Kubikmeter Sand spülte der Sturm vom Badestrand fort. Alle wussten: Es wird wieder mal teuer, das zu reparieren.

 

Nach Orkan „Sabine“ nun das neuartige Corona-Virus

 

Das Foto zeigt die Abbruchkante des Badestrands von Wangerooge nach dem Orkan Sabine Anfang Februar. Der Orkan hatte einen großen Strandbereich fortgespült. | Foto: Stephan Trescher Das Foto zeigt die Abbruchkante des Badestrands von Wangerooge nach dem Orkan Sabine Anfang Februar. Der Orkan hatte einen großen Strandbereich fortgespült. | Foto: Stephan Trescher

Aber die sturmgeprüften Insulaner kannten so etwas schon aus  früheren Jahren. Sie waren sich sicher: Wir schaffen das! Längst fahren Bagger und Lkw Kubikmeter für Kubikmeter neuen Sand vom anderen Ende der Insel auf den Badestrand. Damit Touristen darauf wieder Strandkörbe aufbauen und die Sonne genießen können. So lautete der Plan. Und dann das!

Still und leise hat sich die nächste Herausforderung auf die Insel geschlichen – und unsichtbar. Denn auf den ersten Blick scheint manches wie immer. Wie immer treibt die Nordsee im Wechsel von Ebbe und Flut ihre Wellen an den Strand. Wie oft im März strahlt ein blauer Himmel über den Dünen. Und dennoch ist in diesem Jahr alles ganz anders. Die Nachricht von einem neuartigen Corona-Virus hat ohne Vorwarnung auch auf der einzigen Insel des Bistums Münster die Zeit stillstehen lassen, wie überall auf der Welt.

 

Die St.-Willehad-Kirche wird jeden Abend desinfiziert

 

Egbert Schlotmann spürt selbst die Unsicherheit dieser Tage: „Eben wie an Karsamstag: das Gefühl, dass wie da hindurch müssen, dass es noch lange nicht überstanden ist, dass wir weiter warten und aushalten müssen, ohne zu wissen, wie lange.“

Seine Gemeinde hat sich darauf eingestellt. Natürlich darf auch sie in diesen Tagen keine Gottesdienste in der St.-Willehad-Kirche feiern. Das nur wenige hundert Meter von der Strandpromenade gelegene Gotteshaus steht aber weiter für Besucher offen. Freiwillige Helfer sprühen dafür jeden Abend Türgriffe und Bänke mit Desinfektionsmittel ein. Auf den Plätzen liegen außerdem jetzt ausgedruckte Fotos mit Gesichtern.

 

Die Insulaner sind auf Wangerooge jetzt unter sich

 

Pfarrer Egbert Schlotmann hat Fotos auf den Plätzen der Kirche verteilt. Er hatte dazu aufgerufen, ihm solche Bilder zu schicken. Jeden Morgen beim Aufschließen der Kirche nimmt er sie in sein Gebet mit hinein. | Foto: privatPfarrer Egbert Schlotmann hat Fotos auf den Plätzen der Kirche verteilt. Er hatte dazu aufgerufen, ihm solche Bilder zu schicken. Jeden Morgen beim Aufschließen der Kirche nimmt er sie in sein Gebet mit hinein. | Foto: privat

Der Pfarrer hatte Insulaner und Gäste aufgerufen, sie ihm zuzuschicken. Jeden Morgen verteilt er sie neu in den Reihen. „Es sind schon mehr als 150 Bilder. Und wenn ich morgens beim Aufschließen der Kirche das Vaterunser spreche, dann sind die Menschen auf den Fotos mit hinein.“

Alle Urlauber mussten die Insel verlassen. Auch für die Besitzer der zahllosen Ferienwohnungen  ist die Insel vorerst tabu. Schon zwei Wochen vor der Karwoche war die Ostersaison abgeblasen. Den bisherigen wirtschaftlichen Schaden kann bisher niemand abschätzen. Auch nicht, was aus dem Sommergeschäft wird.

 

Zwangspause auch für die Urlauberseelsorge auf der Insel

 

Das bedeutet auch eine Zwangspause für die katholische Urlauberseelsorge auf der Insel. Gemeinsam mit ehrenamtlichen Helfern organisiert Egbert Schlotmann jedes Jahr dieses Angebot für die Gäste. Derzeit wäre gerade Ostersaison, mit Mittagsgebeten, Meditationen, Gesprächs- und Kulturangeboten oder Gottesdiensten in den Dünen.

„Die Kraft der Hoffnung“ sollte das Motto 2020 lauten. Schon im Januar hatte sich das Team getroffen, um ein Programm vorzubereiten. Die rund zwei Dutzend Ehrenamtlichen - Erwachsene, Jugendliche und Kinder - kommen aus ganz Deutschland, die meisten von ihnen stammen aus dem Bistum Münster.

 

Die meisten Baustellen auf Wangerooge liegen brach

 

Auch sie mussten zu Hause bleiben. Ihre Vorarbeiten sollen aber nicht umsonst gewesen sein, sagt der Pfarrer. „Wir werden alles für das nächste Jahr übernehmen.“ Traurig macht es ihn trotzdem, besonders, weil er den Einsatz und die Begeisterung vor Augen hat, mit dem die Helfer jedes Mal bei der Sache sind.

Die meisten Baustellen auf der Insel lägen mittlerweile brach. „Man hört keinen Baulärm“, sagt Schlotmann. Vom Festland anreisende Handwerker sollten nur noch dringend notwendige Arbeiten erledigen. Deshalb sei es im Moment noch stiller als sonst in den Straßen und Gassen, die hier „Damenpfad“, „Zedeliusstraße“ oder „Obere Strandpromenade“ heißen.

 

Insulaner stehen zusammen im Kampf gegen das Virus

 

Nur wenige Menschen sind derzeit in den Straßen und Gassen unterwegs. Das Foto zeigt den Weg, der von der Strandpromenade hinauf zur St.-Willehad-Kirche (im Hintergrund zu sehen) führt. Es entstand im Herbst 2019. | Foto: Michael RottmannNur wenige Menschen sind derzeit in den Straßen und Gassen unterwegs. Das Foto zeigt den Weg, der von der Strandpromenade hinauf zur St.-Willehad-Kirche (im Hintergrund zu sehen) führt. Es entstand im Herbst 2019. | Foto: Michael Rottmann

Die Inselfähre und die kleine Insel-Eisenbahn bringen ihre wenigen Passagiere derzeit nur einmal am Tag von Harlesiel herüber und wieder zurück. Auch die Propellermaschine der Inselflieger steigt seltener als sonst mit Fluggästen zu ihrem kurzen Shuttleflug in die Luft.

Die Insulaner haben plötzlich viel mehr Zeit, als ihnen lieb ist. Sonst hat die Arbeit für die Touristen sie gerade vor Ostern voll im Griff. Jetzt sind sie unter sich, in einer Art doppelter Isolation. Isoliert vom Festland und durch die Corona-Gesetze zudem getrennt voneinander, aber verbunden in der Angst vor dem Virus.

 

Es gibt nur einen Hausarzt auf Wangerooge

 

Bisher sind noch keine Infektionen auf der Insel bekannt geworden. Schlotmann mag sich gar nicht ausmalen, was in so einem Fall passieren würde. „Wir haben kein Krankenhaus hier und nur einen einzigen Hausarzt.“ Und was, wenn der selbst krank werden würde?

Alle seien ganz besonders vorsichtig. „Die Bewohner wollen das unbedingt verhindern. Deshalb beachten sie auch die Abstandsregeln sehr genau“, sagt der Pfarrer, „vielleicht noch genauer als anderswo.“ Als er selbst vor drei Wochen mit einer Pilgergruppe der Gemeinde von einer Israel-Fahrt zurückkam, musste zwar niemand in Quarantäne. „Aber wir sollten auf alle Fälle sorgfältig Abstand halten.“

 

Blumen wachsen als Hoffnungszeichen

 

In der Zeit des Stillstands ist auch für ihn selbst mehr Zeit für Dinge, die sonst oft liegenbleiben. Die nutzt der Pfarrer zum Beispiel fürs Aufräumen und Lesen, aber auch für Projekte der Gemeinde. Derzeit fragen immer mal wieder Leute aus der Inselgemeinde bei ihm an, ob es in für sie irgendwo etwas zu tun gibt. Rund 250 Mitglieder gehören zu St. Willehad. „Der große Zusammenhalt ist sicher ein Vorteil einer so kleinen Gemeinde.“ Gerade erst hat er mit ehrenamtlichen Helfern eine Bienenwiese vor der Kirche angelegt.

Das Projekt ist mittlerweile abgeschlossen. „Natürlich haben wir daran immer nur zu zweit gearbeitet und mit dem geforderten Abstand“, betont der Pfarrer, der dafür auch selbst die Ärmel aufgekrempelt hat. „Die körperliche Arbeit macht ja Spaß und ich kann Kontakt zu den Leuten halten“, sagt er. Für die groben Arbeiten war schon vor drei Wochen ein Bagger da. Jetzt ist auch die Erde drauf. Zum Schluss wurde die Fläche eingesät. So können die Blumen auch als eine Art Hoffnungszeichen wachsen.

 

Von Hamsterkäufen hat der Pfarrer nichts gehört

 

Manches ist auch Wangerooge anders als auf dem Festland. Von Hamsterkäufen in den Inselläden zum Beispiel hat der Pfarrer noch nichts mitbekommen. Kein Toilettenpapier? Keine Nudeln? Kein Mehl? „Das ist hier kein Thema“, sagt er lächelnd.

Manche Sorgen sind aber die gleichen wie auf der anderen Seite des Wassers. Dazu gehört auch die um Einkommen, Arbeitsplätze, Zukunft. Die Menschen hier leben vom Tourismus, von Hotel- Pensions- und Restaurantgästen. „Da trifft die Situation hier natürlich viele, die in diesem Bereich tätig sind. Für die ist das heftig.“

 

Auch das Haus Ansgar hat geschlossen

 

Auch er selbst macht sich schon Gedanken. Die Willehad-Gemeinde betreibt das Haus Ansgar, ein kleines Exerzitienhaus mit zehn Einzel- und fünf Doppelzimmern. In der Saison sind darin die Teams der Urlauberseelsorge untergebracht. In der übrigen Zeit können es auch Gruppen und Einzelpersonen buchen. Bis Ende April ist erst einmal alles abgesagt.

Worauf kommt es jetzt an? Wie kann Seelsorge helfen?  „Zum Beispiel dadurch, dass wir uns als Kirche zeigen, dass wir da sind und uns Zeit für die Menschen nehmen, ihnen zuhören.“ Der Pfarrer, der auch Geistlicher Begleiter ist, hat sich in der Inselbroschüre dafür ausdrücklich als Ansprechpartner angeboten und auch schon einige Gespräche geführt.

 

Egbert Schlotmann verteilt Geburtstagsgrüße

 

Miteinander in Verbindung bleiben - dazu gehört auch die Aktion, die Egbert Schlotmann trotz Corona weiterführt. Er will jedem aus seiner Gemeinde zum Geburtstag gratulieren, „damit die  Menschen spüren, dass wir als Kirche Kontakt halten wollen.“

Vor fünf Jahren hat er das schon einmal gemacht, kurz nach seinem Dienstantritt. Damals hat er bei jedem geklingelt und den Menschen persönlich gratuliert. Diesmal legt er jedem eine Karte mit einem Sinnspruch vor die Tür oder in den Briefkasten. „Wir sind alle Engel mit nur einem Flügel. Um fliegen zu können, müssen wir einander umarmen.“ Egbert Schlotmann lächelt, weil er weiß: Mit dem Umarmen müssen alle noch warten - bis nach der Krise.

Anzeige