UKM-Seelsorger Wittenbecher: Wir unterstützen Kliniken dabei, sich auf Extremfälle vorzubereiten

Corona: Wie Bistums-Berater Krankenhäusern bei Grenzfällen helfen

Das Bistum Münster hat eine Beratergruppe eingerichtet, um angesichts der Corona-Pandemie Verfahrensregeln für medizinische Grenzfälle ethisch zu reflektieren. Klinikseelsorger Leo Wittenbecher erläutert, wie die Berater unterstützen.

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Das Bistum Münster hat eine Beratergruppe eingerichtet, um angesichts der Corona-Pandemie Verfahrensregeln für medizinische Grenzfälle ethisch zu reflektieren. Die Gruppe ist im Generalvikariat beim Referenten für Krankenhausseelsorger, Pfarrer Leo Wittenbecher, angesiedelt. Er ist auch Leiter der Seelsorge an den Universitätskliniken Münster (UKM).

Herr Pfarrer Wittenbecher, welchen Auftrag haben die Berater?

Das deutsche Gesundheitswesen bereitet sich im Zug der Covid-19-Pandemie vorsorglich auf eine dramatische Verknappung notfall- und intensivmedizinischer Ressourcen vor. Dabei leisten Ärzte, Pflegekräfte und alle, die im Gesundheitswesen tätig sind, Großartiges. Sie stellen sich der Wirklichkeit und suchen nach dem, was unter diesen Bedingungen gut und zugleich machbar ist. Als Berater unterstützen wir Klinikleitungen, Ärzte, Pflegende, Krankenhausseelsorgerinnen und -seelsorger bei der Entwicklung von Verfahrensregeln, die verantwortungsethische Entscheidungen erleichtern.

Geben sie Empfehlungen, wie man in Grenzfällen ethisch handeln kann – zum Beispiel, falls es einmal mehr Intensivpatienten als Betten geben sollte?

Nein. Es wäre völlig unangemessen, wenn es irgendwo einen intensivmedizinischen Fall gäbe, und die Ärzte würden erst uns fragen, was sie tun sollen. Die Entscheidungen fallen vor Ort, sie müssen in der Regel auch rasch getroffen werden. Unsere Beratung setzt früher an. Wir schauen auf die Verfahrensregeln: Werden medizinethische Prinzipien hinreichend beachtet? Wie laufen die Besprechungen für medizinische Grenzfälle ab, die so genannten „ethischen Fallbesprechungen“? Wer wird in Entscheidungen einbezogen? Sind die Beteiligten auf einem guten Stand bei den ethischen Diskussionen?

Helfen die Bistums-Berater auch Angehörigen?

Nein. Wir unterstützen Krankenhäuser dabei, sich auf Grenzfälle im Zusammenhang mit Covid-19 vorzubereiten.

Wie helfen Sie konkret?

Pfarrer Leo Wittenbecher. | Foto: Michael Bönte
Pfarrer Leo Wittenbecher. | Foto: Michael Bönte.

Indem wir zum Beispiel auf ethische Maßstäbe hinweisen, an denen sich Ärzte und andere Beteiligte in medizinischen Grenzfällen orientieren können. Es gibt eine Reihe neuer Texte, die Empfehlungen für die besonderen Probleme geben, die Covid-19 aufwirft. Zum Beispiel vom Deutschen Ethikrat, von medizinischen Fachgesellschaften, von medizinethischen Experten und vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. Welche Lösung letztlich umsetzbar ist, zeigt sich oft erst im Gespräch mit den Verantwortlichen vor Ort. Es ist nicht unsere Aufgabe, vom „Spielfeldrand“ gute Ratschläge zu geben. Es gilt, gemeinsam Alternativen zu diskutieren und zu reflektieren. So entwickeln sich dann verantwortliche Entscheidungen.

Woran orientiert sich Ihre Beratung?

Allgemein gilt: Corona hat zwar eigene Herausforderungen, aber keine eigene Ethik. Die Leitplanken stehen fest: Wir sind solidarisch mit Kranken und Sterbenden. Der soziale Stand von Menschen oder die Art ihrer Krankenversicherung können keine Entscheidungskriterien sein. Es muss um medizinische Fakten und die persönliche Heilungsprognose gehen. Gleichzeitig braucht es in den Krankenhäusern Mut, schwierige Entscheidungen zu treffen. Wir haben höchsten Respekt vor allen, die das tun müssen, und möchten ihnen zur Seite stehen.

Welche besonderen Herausforderungen stellt das Corona-Virus?

Vor allem die so genannte „Triage“. Dabei geht es um Priorisierung. Es ist zu entscheiden, welche Patienten behandelt werden, wenn medizinische Ressourcen nicht für alle Notfälle reichen. Wenn es also zum Beispiel weniger Beatmungsgeräte gibt als Intensivpatienten. Bei solchen Entscheidungen kann es gegebenenfalls um Leben und Tod gehen. Ein weiteres Problem: Was bedeutet es für Nicht-Corona-Patienten, wenn die Pandemie Kapazitäten bindet und womöglich noch weitere braucht? Es stellt sich auch die Frage, ob erkrankte Mediziner und Pflegekräfte vorrangig behandelt werden, damit sie wieder arbeiten und anderen Patienten helfen können. Die Antworten auf diese Fragen sind sehr schwierig, da gibt es nicht nur Schwarz und Weiß.

Wer gehört Ihrer Beratergruppe an?

Eine Theologin und vier Theologen, alle mit medizinethischer Zusatzqualifikation. Ein Kollege ist Referent beim Diözesan-Caritasverband, alle anderen sind langjährige Krankenhausseelsorger; sie kennen sich alle in diesem Praxisfeld sehr gut aus. Zudem sind wir mit der Akademie für Ethik in der Medizin vernetzt. Das ist gerade derzeit sehr hilfreich.

Warum kein Arzt?

Weil wir ethische Reflexion anbieten, keinen medizinischen Rat. Die medizinische Kompetenz liegt in der Einrichtung vor Ort. Unser Angebot ist eine ethische Beratung von außen. Das hat einen Vorteil: Manchmal kann man von außen etwas sehen, was man nicht mehr sieht, wenn man ganz Teil der Einrichtung ist.

Die Beratung ist unter Tel. 0251/495-1327 erreichbar.

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