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So viel Krieg war lange nicht. Hinter Bombenbildern kaum zu sehen: verletzte Menschen. Ein Blick in Lazarette zeigt ein kostbares Gut: Menschlichkeit.
So viel Krieg war lange nicht. Hinter Bombenbildern kaum zu sehen: verletzte Menschen. Ein Blick in Lazarette zeigt ein kostbares Gut: Menschlichkeit.
Eine „Dressing Station“ ist kein Ankleideraum für Mannequins, auch wenn die ausgestellten hellblau-weißen Kleidungsstücke frisch gewaschen und gestärkt erscheinen. Sie wurden in einem englischen Antiquitätengeschäft zum Verkauf an Sammler präsentiert. Ein Gewand mit großem roten Kreuz ist die Tracht einer Krankenschwester aus der Zeit des Ersten Weltkriegs. Das Schild „Dressing Station“, ebenfalls mit rotem Kreuz, gibt die Richtung an, wo im Schützengraben eine erste Anlaufstelle für Verwundete zu finden war.
Die Verbandsstation war das erste wichtige Ziel für verwundete Soldaten hinter den Linien. Ärzte beurteilten die Schwere der Verletzungen und schickten die Soldaten gegebenenfalls zur weiteren Behandlung weiter. Angesichts der großen Zahl von Verwundeten und den katastrophalen Arbeitsbedingungen in improvisierten Operationsräumen muss die Aufgabe, die sich den Ärzten und Krankenschwestern stellte, frustrierend, beängstigend und entmutigend gewesen sein.
Ein rotes Schutzzeichen
Ein Feldlazarett dient als temporäres Krankenhaus und mobile medizinische Einheit, die Verwundete an Ort und Stelle versorgt, bevor sie zu dauerhafteren Einrichtungen transportiert werden können. Bei übergroßem Andrang an Verwundeten können weder Personal noch die häufig zeltartige Unterkunft den Anforderungen noch nachkommen.
Das deutlich sichtbare Rote Kreuz (beziehungsweise ein Roter Halbmond) verbietet nach humanitärem Völkerrecht, damit gekennzeichnetes medizinisches Personal, Krankenwagen, Krankenhausschiffe oder Feldlazarette anzugreifen. Vorsätzliche Angriffe und Beschädigungen zählen als Kriegsverbrechen.
“Krieg dem Kriege”
In der Antike und im Mittelalter war es um die Versorgung verwundeter Krieger schlecht bestellt, um die man sich erst nach dem Ende einer Schlacht kümmern konnte. Erst später sorgten Sanitäter bereits während laufender Kampfhandlungen für ihre verwundeten Kameraden. Unmittelbar hinter den Frontlinien wurden Verwundete aus verschiedenen Frontabschnitten in sogenannten Verwundetennestern zusammengeführt, hier sanitätsdienstlich behandelt und zum Truppenverbandsplatz überführt.
Der Antimilitarist Ernst Friedrich veröffentlichte erstmals 1924 sein Buch „Krieg dem Kriege“, das die Folgen des Ersten Weltkriegs beleuchtet. Er wollte das wahre, abschreckende Antlitz des Krieges mit seinen Verwundeten, Verstümmelten, Hinrichtungen, Leiden, Elend und Sterben zeigen. Robert Jungk öffnete er damit „die Augen für die furchtbarste aller Seuchen, für den großen Verkrüppler, den sinnlosen Vernichter Krieg“. Doch der Krieg, der alle Kriege beenden sollte, fand immer neue Nachfolger – bis in unsere Zeit hinein. Seit über zwei Jahren tobt der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine.
Porträt der Verwüstung
SICHTWEISEN
Ein Wort, ein Bild, ein Gedanke - das sind die “Sichtweisen”, die einmal in der Woche ins Nachdenken bringen wollen, Welten eröffnen, Leben entdecken, Gott suchen helfen. Menschenlebensnah und gottverbunden. Jeder Monat wird von einer Autorin oder einem Autoren textlich gestaltet; die Redaktion von Kirche+Leben sucht zu dem jeweiligen Stichwort frei ein Foto.
„The Dressing Station“ ist der Titel eines verblüffenden, zugleich erschreckenden autobiographischen Buches von Dr. Jonathan Kaplan, das er mit dem Untertitel bezeichnet „Odyssee eines Chirurgen“ unserer Tage. Er hat als Sanitäter in Krankenhäusern, auf Schiffen und auf dem Schlachtfeld gearbeitet und ist in einige der entlegensten Kriegsgebiete der Welt gereist. Er beschreibt zahlreiche geopolitische Konflikte, die er miterlebte: als südafrikanischer Medizinstudent während der Apartheid, beim Zusammenflicken verletzter kurdischer Guerilla-Kämpfer im Irak am Ende des Golfkriegs und bei der Versorgung der Opfer der Renamo während des Bürgerkriegs in Mosambik, in Myanmar (Birma), Eritrea, England, am Amazonas und in den USA.
Sein Buch ist ein erschütterndes Porträt der Verwüstung auf den Schlachtfeldern und der Zumutung für Mediziner, dem Krieg zu dienen, indem sie Soldaten retten und wiederherstellen, die dann erneut Kriegsdienst leisten. Es beleuchtet die Folgen des Krieges und die Ambivalenz der Hilfsarbeiten und Unzulänglichkeiten der Medizin. Es wirft einen eindringlichen Blick auf die Natur menschlicher Gewalt, die erschütternden Widersprüche im Krieg und die komplizierte Rolle der Medizin in der Moderne. In seiner Geschichte von unvergesslichen Abenteuern und Tragödien stellt sich Jonathan Kaplan der großen Herausforderung seiner Karriere: seine Menschlichkeit zu bewahren, auch wenn diese Option kaum noch möglich erscheint.
Bleibt der Krieg eine Konstante in der Menschengeschichte? Oder kommt einmal eine Zeit, in der man nicht mehr das Schwert zieht, Volk gegen Volk, und nicht mehr für den Krieg übt (Jes 2,2)?