SICHTWEISEN

Treibholz

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Vom Meer ans Land gespült liegt es da: Fahles Holz, gebrochen, nackt. Und bewegt seit ewig Kultur, Mensch, Glaube.

Vom Meer ans Land gespült liegt es da: Fahles Holz, gebrochen, nackt. Und bewegt seit ewig Kultur, Mensch, Glaube.

Wie lange mag dieser von Wind und Wetter gegerbte Stamm im Wasser getrieben haben, bis eine Welle ihn an Land spülte, wo er seitdem zwischen Sand und Kieselsteinen liegt? An einer Stelle hat man schon versucht, ihn in Brand zu stecken, aber er hat Widerstand geleistet. Was hat ihn entwurzelt, aus seinem Untergrund gerissen und ins Wasser gezogen, dann wieder durch Seegang und Strömung ans Ufer geraten lassen? Nun lassen sich Strandgänger auf ihm nieder, um sich auszuruhen und das Spiel der See zu betrachten. Vielleicht wird der Stamm irgendwann als Feuerholz verwendet oder aber kreative Geister nutzen ihn zum Upcycling, als Rohstoff für innovative und dekorative Produkte.

In der Mythologie spielen göttliche Holzkünstler eine Rolle. Einer germanischen Schöpfungsgeschichte nach wurden die ersten Menschen von den Gottheiten Odin, Hönir und Lodur aus Treibholz geschnitzt. Aus einer Esche fertigten sie den Mann Ask und aus einer Ulme die Frau Embla. Nach der Völuspá, dem bedeutendsten Gedicht des nordischen Mittelalters, fanden die drei Gottheiten am Strand zwei namenlose Hölzer, Esche und Ulme, „ohne Schicksal und ledig der Kraft“. Diesen Baumstämmen verliehen die Götter Namen und menschliche Eigenschaften. Odin gab ihnen Seele; Hönir verlieh ihnen Sinn und Verstand; Lodur das warme Blut, das blühende Aussehen, die Sprache und das Gehör, somit die Sinne. Ask und Embla wurden dann die Stammeltern des Menschengeschlechts.

Hölzerne Nichtse

SICHTWEISEN
Ein Wort, ein Bild, ein Gedanke – das sind die „Sichtweisen“, die einmal in der Woche ins Nachdenken bringen wollen, Welten eröffnen, Leben entdecken, Gott suchen helfen. Menschenlebensnah und gottverbunden. Jeder Monat wird von einer Autorin oder einem Autoren textlich gestaltet; die Redaktion von Kirche+Leben sucht zu dem jeweiligen Stichwort frei ein Foto.

Auch die Bibel kennt die Nutzung des Holzes und unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten. Jesaja kritisiert scharf und sarkastisch die Götzenbilderfabrikation. Die vom Menschen aus Holz gefertigten Gebilde sind „Nichtse“ im wahrsten Sinne des Wortes, sie sind nichts und vermögen rein gar nichts. 

Wer sich ein großes Stück Holz aus dem Wald holt, mag einen Teil verfeuern, sich an dem Feuer wärmen, damit Brot backen oder darauf eine Mahlzeit kochen. „Aus dem Rest des Holzes aber macht man sich einen Gott, ein Götterbild, vor das man sich hinkniet, zu dem man betet und sagt: Rette mich, du bist doch mein Gott!“ (Jes 44,17). 

Götterbilder, Lügenorakel

Solch ein „Gott“ ist ein Trugbild, nicht mehr als ein menschliches Werk, bei dem man bestenfalls die Schnitzkunst bewundern kann. Doch das Opus bleibt leblos, kraftlos, nutzlos und nichtig, es kann weder reden noch retten. Jesaja schildert die Absurdität der Götzenverehrung, den Unverstand solcher Götzenverehrer und die Impotenz der leblosen Kultobjekte im Vergleich zum lebendigen und wahren Gott. Er kommt zur prinzipiellen Einsicht: „Wer hölzerne Götzen umherträgt, hat keine Erkenntnis, wer einen Gott anbetet, der niemanden rettet“ (Jes 45,20). 

Auch Jeremia wettert gegen die Götzenverehrung und gleichzeitige Treulosigkeit dem wahren Gott gegenüber: „Sie sagen ja zum Holz: ‘Du bist mein Vater’, und zum Stein: ‘Du hast mich geboren’. Sie kehren mir den Rücken zu und nicht das Gesicht; sind sie aber in Not, dann rufen sie: Erheb dich und hilf uns!“ (Jer 2,27). Habakuk (2,17-19) stößt in dasselbe Horn: „Was nützt ein Götterbild, das ein Bildhauer macht, ein gegossenes Bild, ein Lügenorakel? Wie kann der Bildhauer auf den Götzen vertrauen, auf das stumme Gebilde, das er selber gemacht hat? Weh dem, der zum Holz sagt: Erwache!, und zum stummen Stein: Wach auf! Gibt der Götze denn Auskunft? Gewiss, er ist mit Silber und Gold überzogen, doch er hat keinen Geist, keinen Atem.“

Kreuzesholz, Lebensbaum

Bäume sind für den Menschen und die Welt überlebenswichtig. Der natürlich nachwachsende Rohstoff ist zugleich einer der ältesten Werkstoffe der Menschheit. Holz steht symbolisch für Wachstum, Vitalität, Zielstrebigkeit, Expansion und Kreativität, für den steten Aufbruch und das Streben in die Weite, nach Höherem. Bäume stehen für Fruchtbarkeit und das Leben überhaupt im Wachsen, Erblühen, Fruchttragen, Absterben und Neuerwachen. 

Daher ist der Baum auch ein Symbol der Auferstehung, des Sieges über den Tod. Das Kreuz als Zeichen der Hoffnung auf neues Leben gegen alles Leid, Vergehen und gegen den Tod, wird oft als Lebensbaum dargestellt. Der ans Holz gehängte Gottessohn machte aus dem Totholz den Baum des Lebens. In der Präfation zum Fest Kreuzerhöhung heißt es daher: „Du (Gott) hast das Heil der Welt auf das Holz des Kreuzes gegründet. Vom Baum des Paradieses kam der Tod, vom Baum des Kreuzes erstand das Leben. Der Feind (= Teufel), der am Holz gesiegt hat, wurde auch am Holze besiegt durch unseren Herrn Jesus Christus.“

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