Ulrich Berges zur Diskussion um Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare

Das Alte Testament verurteilt keine Homosexualität

Anzeige

Homosexualität sei Sünde, weil sie "dem Herrn ein Gräuel" sei. So stehe es schon in der Bibel. Ulrich Berges, aus Münster stammender Professor für Altes Testament in Bonn, widerspricht in seinem Gast-Kommentar. Und wundert sich über die Bibelkenntnis sogar im Vatikan - nicht nur in der Begründung für das Nein zu Segnungen homosexueller Paare.

Das Alte Testament (AT) und die altorientalische Welt kennen keine homosexuellen Beziehungen im Sinne gleichberechtigter und rechtlich anerkannter Lebenspartnerschaften. Weil dies so ist, kann das AT solche Lebensentwürfe auch weder verbieten noch gutheißen.

Aber im dritten Buch Mose, Levitikus 18,22, heißt es: „Du darfst nicht mit einem Mann schlafen, wie man mit einer Frau schläft; das wäre ein Gräuel“ (vgl. Lev 20,13). Was hier verboten wird, ist im Kontext der altorientalischen Welt eine gewalttätige Handlung. Dass ein Mann beim Geschlechtsverkehr die Rolle der Frau einnimmt und dann penetriert wird, ist für das AT als Akt freier Entscheidung undenkbar. In Genesis 19 und Richter 19 wird von Vergewaltigungsversuchen an männlichen Fremden berichtet.

 

"Aus exegetischer Sicht inakzeptabel"

 

Hier geht es nicht um homosexuelle Praktiken und schon gar nicht um Homosexualität, sondern um brutalste Erniedrigung. Dass die Antwort des Vatikans zur Frage der Segnung homosexueller Paare erneut auf Nr.  2357 des Katechismus zurückgreift, in der Homosexualität als schlimme Abirrung bewertet wird und dazu unter anderem auf Genesis 19 verweist, ist aus exegetischer Sicht inakzeptabel.

Der Autor
Ulrich Berges stammt aus Münster, ist Priester und gehört zur Ordensgemeinschaft der Herz-Jesu-Missionare. 2005 wurde er Professor für alttestamentliche Exegese an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster, 2009 an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn.

Da hätte sich ein Blick in das Dokument der eigenen Päpstlichen Bibelkommission „Was ist der Mensch“ 2019 gelohnt. Es hält richtigerweise fest, dass in den Erzähltraditionen der Bibel keine Hinweise auf homosexuelle Praktiken zu finden sind, weder als zu tadelnde Verhaltensweisen noch als tolerierte oder befürwortete Einstellungen (Nr. 188).

 

Eine biblisch unbekannte Argumentation

 

Die beiden Levitikus-Stellen werden aber auch in diesem Dokument zur biblischen Begründung von homosexuellen Akten angeführt (Nr. 189). Obwohl die biblische Begründung lautet, das Land würde seine Bewohner ausspeien (Lev 18,24f.; 20,22), verbindet das Dokument der päpstlichen Bibelkommission dieses Verbot mit dem ersten Schöpfungsbericht. Weil Gott den Menschen als Mann und Frau erschaffen hat (Gen 1,28), könne Homosexualität nicht seinem Willen entsprechen.

Doch weder Altes noch Neues Testament kennen diese Argumentation. Auf die Idee, sexuelle Handlungen gleichgeschlechtlicher Partner würden die gottgewollte Differenz zwischen Mann und Frau widerlegen oder bedrohen (Nr. 190), sind die biblischen Schriftsteller nicht gekommen.

 

Und was ist mit David und Jonathan?

 

In der Totenklage Davids über Jonathan heißt: „Weh ist mir um dich, mein Bruder Jonatan. Du warst mir sehr lieb. Wunderbarer war deine Liebe für mich als die Liebe der Frauen“ (2 Sam 1,26). An eine homosexuelle Beziehung denkt auch dieser Text nicht, gleichwohl diese Freundschaft das gewöhnliche Maß zu überschreiten scheint.

Von sexuellen Handlungen zwischen diesen beiden gleichrangigen Männern findet sich keine Spur, sie würden dem kulturellen Code der antiken Welt auch grundlegend widersprechen.

Hinweis:
Die Positionen der Gastkommentare spiegeln nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von „Kirche+Leben“ wider.

Anzeige