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Ja, das sind schwere Zeiten. Die meisten von uns haben das jedenfalls noch nicht erlebt: Krisen ohne Ende. Und die nicht etwa nacheinander, sondern alle zugleich: Vom Klimawandel über Corona und dem Ukraine-Krieg bis hin zur Gas- und Stromversorgung. Und als wäre das noch nicht genug, obendrein eine Inflation der Extraklasse.
Das ist für viele von uns kaum noch auszuhalten. Und genau das ist das Problem. Wir werden immer gestresster und genervter und am Ende womöglich auch noch intoleranter. Plötzlich sind wir so, wie wir nie sein wollten: ängstlich und wütend und sehr, sehr ratlos.
Eigentlich wollen wir ja Gewissheiten. Mit denen lässt sich prima leben. Die verunsichern uns nicht. Die werfen keine Fragen auf. Die sind gewiss gewiss. Zu dumm, dass es in Zeiten der Krise keine Gewissheiten mehr gibt. Die alten Antworten taugen nicht mehr. Es stellen sich plötzlich Fragen, auf die in der Vergangenheit niemand gekommen ist. Es werden Entscheidungen getroffen, die sich schon wenig später als falsch herausstellen.
Zeit der einfachen Antworten ist vorbei
Der Autor
Tom Hegermann hat als Journalist unter anderem 25 Jahre lang im Radioprogramm von WDR 2 moderiert. Heute arbeitet er vor allem als Moderator von Veranstaltungen und als Trainer rund um das Thema „Handwerk fürs Mundwerk“.
Was also müssen wir in diesen Zeiten lernen? Natürlich müssen wir uns neuen Fragen stellen und neue Antworten finden und dabei möglichst wenig Fehler machen. Aber vor allem müssen wir lernen, das alles auszuhalten. Die Wissenschaft hat dafür sogar ein sehr wuchtiges Wort erfunden: Ambiguitätstoleranz. Das ist die Fähigkeit, Unsicherheiten zu ertragen. Auszuhalten, ohne gleich am größtmöglichen Rad zu drehen.
Die derzeitigen Krisen verstärken nur eine Entwicklung, mit der wir schon länger konfrontiert sind. Die Welt ist in den vergangenen Jahren immer komplexer geworden. Die Zeit der einfachen Antworten ist lange vorbei.
Wir müssen Unsicherheiten aushalten
Je weniger einfache Antworten es aber gibt, desto mehr lechzen manche Menschen nach genau diesen einfachen Antworten. Und wenn dann jemand laut krakeelt, er habe doch ein paar einfache Antworten, dann laufen dem manche Menschen nach. Die politischen Beispiele sind hinlänglich bekannt.
Zwei Dinge müssen wir lernen: Erstens nicht die einfachen, sondern die richtigen Antworten zu suchen. Und zweitens, auf dem Weg dorthin Unsicherheiten auszuhalten, Fehler zu akzeptieren, mit Ängsten und Sorgen zu leben. Wenn uns das nicht gelingt, werden wir uns am Ende selbst nicht wiedererkennen.
In unseren Gast-Kommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.