Andreas Odenthal zum Tröstlichen im Gottesdienst

Das zeigt Weihnachten: Tore auf - bei allem Verlust in Kirche und Welt!

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Zwischen Advent und Weihnachten, Erwartung und Ankunft – da spannt sich die Sehnsucht besonders. Nicht zuletzt in dieser Zeit so vieler Unsicherheiten in Kirche und Welt. Andreas Odenthal, Theologie-Professor in Bonn, ermutigt in seinem Gast-Kommentar, sich gerade jetzt nicht abzuschotten und dichtzumachen.

Eine alte Antiphon aus dem Stundengebet zur Adventszeit lautet: „Unsere feste Stadt ist Zion: Der Erlöser ist ihre Mauer und ihr Wall. Öffnet die Tore! Gott ist mit uns. Halleluja“. Sie ruft in diesen stürmischen Zeiten eine große Sehnsucht in uns wach: die Sehnsucht nach Sicherheit und Geborgenheit und die Sehnsucht nach etwas Neuem, das möglichst angstfrei angegangen werden kann.

Die Antiphon erklingt in diesen Tagen in einer Welt, die aus den Fugen geraten ist – wie die Kirche auch. Das bedeutet für viele Menschen einen Verlust an Beheimatung: Als sicher geglaubte Selbstverständlichkeiten sind abhandengekommen. Die große Frage ist, wie mit den damit verbundenen Verunsicherungen umgegangen werden kann.

Gott hält sich nicht auf Distanz

Der Autor:
Andreas Odenthal ist Professor für Liturgiewissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn.

Die Antiphon orientiert sich an Jesaja 26,1. Der Kontext dort ist das Weltgericht Gottes, innerhalb dessen die Geretteten ein Siegeslied anstimmen können angesichts der Sammlung aller Verstreuten in Jerusalem am Ende der Zeiten. Das sind adventliche Themen: Gott kommt in diese Welt als Richter. Die Textgeschichte des Jesaja-Verses, der der Antiphon zugrunde liegt, ist interessant. Die hebräische Textfassung lässt Gott handeln: „Zum Heil setzte er Mauern und Wälle“. Die lateinische Textfassung hingegen verändert die Grammatik: „Der Heiland werde gesetzt als Mauer und ihr Wall“. Eine interessante Spannung: Der Gebende, Gott selbst, ist zugleich die Gabe. Er gibt nicht irgendetwas zum Schutz, sondern sich selbst.

Das passt sehr gut in die Hohe Adventszeit als Vorbereitung auf Weihnachten: Wir erwarten nicht irgendetwas, sondern Gott selbst in seinem Sohn Jesus. Gott hält sich nicht auf Dis­tanz, indem er etwas gibt. Er gibt sich selbst in die Zeitläufte.

Wir sind Akteure und Betroffene

Ähnliches gilt auch für unser Leben: Wir sind nicht außenstehende Beobachter, sondern immer auch selbst Akteure und Betroffene des Weltgeschehens. Das ist ein Segen und zugleich eine Last des Menschseins. Und das ist auch das Dilemma des Christseins. Es zeigt sich gerade in der Kirche, wie sie sich auch immer geben mag.

Die Antiphon zieht aus dieser Einsicht eine erstaunliche Konsequenz: Nicht das Schließen der Tore zum eigenen Schutz, sondern das Öffnen der Tore ist angesagt – gegen die Erfahrungen und Bedürfnisse angesichts vielfältiger Bedrohungen. Das kann nur dann geschehen, wenn der Geber, Gott selbst, zugleich als Gabe empfangen wird: Gott ist mit uns. Dann können die vielen verschlossenen Tore geöffnet werden.

Es ist gut, wenn der Gottesdienst der Kirche nicht nur unsere Sorgen und Ängste widerspiegelt, sondern auch diese befreiende Botschaft wachhält – freilich in der Spannung, dass die Botschaft noch ausstehende Zusage bleibt, die nicht in jedem Moment erfahren werden kann. Aber sie bietet doch das, was wir alle in diesen Zeiten besonders benötigen: Trost.

In unseren Gast-Kommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

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