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Die Schlesinger-Affäre muss aufgeklärt werden, keine Frage. Dennoch bleibt der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine wichtige Stütze der Demokratie, für die es kämpfen lohnt, erklärt Journalist und Pastoralreferent Klaus Nelißen in seinem Gast-Kommentar.
Vor kurzem fing die Debatte um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland aber so richtig Feuer. Mit Patricia Schlesinger hatte der RBB das, was das Bistum Limburg vor Jahren mit dem „Tebakel“ hatte: ein massives Glaubwürdigkeitsproblem. Fehltritte gegen die Wurzel der Vertrauensbasis sind fatal. Der Chef der Christdemokraten bellte mit am lautesten: „Die Schlesinger-Affäre hat das Potenzial, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland endgültig die Legitimationsgrundlage und öffentliche Akzeptanz zu entziehen“, so Friedrich Merz.
Ich halte solche Äußerungen für ziemlich demokratievergessen. Denn öffentlich-rechtliche Medien sind konstitutiv fürs demokratische Miteinander.
Wenn Öffentlich-Rechtliche fehlen
Der Autor
Klaus Nelißen ist stellvertretender Rundfunkbeauftragter der NRW-Bistümer beim WDR. Darüber hinaus wirkte der Pastoralreferent des Bistums Münster und ausgebildete Journalist bis Frühjahr 2019 für die katholischen ARD-Beauftragten bei „funk“, dem Online-Medienangebot für Jugendliche und junge Erwachsene.
Als katholische Rundfunkbeauftragte von ARD und ZDF reisen wir jährlich ins europäische Ausland und besuchen Sendeanstalten, Kirchen- und Politikvertreter. 2019 in Warschau war ich erschrocken, wie ein staatlicher Sender binnen weniger Jahre „gedreht“ werden konnte – zum hörigen Organ der PiS-Partei. Der einzige, der ohne Maulkorb regierungskritisch sprach, war ausgerechnet unser polnischer Kollege, ein katholischer Priester.
Es ist fast mit mathematischer Genauigkeit zu sehen: Wo keine öffentlich-rechtlichen Medien vorhanden, kann ein Politiksystem in die Autokratie rutschen – siehe Russland. Wo fast nur auf Privatmedien gesetzt wird, steht es nicht besser – siehe USA, zerrissen durch das Murdoch-Fox-Imperium. In Ländern, in denen das Öffentlich-Rechtliche schwächelt, schwächelt die Demokratie – siehe Großbritannien und die alt-ehrwürdige BBC.
Kritik ist demokratisch
Es ist naiv zu glauben, wir könnten hierzulande unsere Demokratie wehrhaft halten ohne starke Öffentlich-Rechtliche. Aber das heißt nicht, dass Kritik an Struktur, Habitus und Programm von ARD und ZDF gleich Majestätsbeleidigung ist. Nein, Kritik – und auch feurige – ist demokratisch.
Dass dinohafte Prozesse die Sender teils ebenso lähmen wie die Kirche, kann ich aus eigener Anschauung sagen. Und die Behäbig- wie Selbstgefälligkeit mancher Provinzanstalt ist ebenso groß wie die einiger Bistümer – die Überalterung oft leider auch. Ein Glück, dass es „funk“ gibt – das junge Content-Netzwerk von ARD und ZDF. Das zumindest haben die Öffentlich-Rechtlichen, die katholische Kirche hingegen nicht.
Doch noch etwas anderes unterscheidet beide kriselnden Größen: Die katholische Kirche kann sich im Zweifel mit jeder Regierungsform arrangieren – siehe Weltkirche. Die Öffentlich-Rechtlichen eben nicht, weil sie Signum der Demokratie sind. Gerade deshalb sollten alle christlichen Demokraten ums Öffentlich-Rechtliche kämpfen, als gäbe es ansonsten kein demokratisches Morgen.
In unseren Gast-Kommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.