Redakteur Jens Joest über einen Missbrauchsverdacht, die Kirche und einen Kardinal

Der Fall O. – wo liegen die Prioritäten in Köln und im Vatikan?

Anzeige

Der Vatikan sieht anscheinend keinen Grund, gegen Rainer Maria Woelki zu ermitteln im Fall des Priesters O., eines Weggefährten des Kardinals. Das erstaunt nicht nur Kirchenrechtler. Jens Joest fragt in seinem Kommentar, welche Prioritäten Rom und Köln verfolgen.

Die Lage rund um mehrere Missbrauchs- und Verdachtsfälle und zwei Gutachten im Erzbistum Köln – beide noch nicht öffentlich bekannt – wird immer unübersichtlicher. Kardinal Rainer Maria Woelki erbittet weiter Geduld – und steigert die Erwartungen ins fast Unerfüllbare. Alle offenen Fragen wird auch das Gercke-Gutachten, das am 18. März endlich bekannt werden darf, kaum beantworten können.

Derweil hat die inner- und außerkirchliche Öffentlichkeit die Geduld längst verloren. Das ist bedauerlich, weil viele Menschen vorschnell urteilen – aber die erwartbare Folge des Handelns in Köln und im Vatikan.

 

Nicht schuldig oder unschuldig sprechen – ohne Ermittlung

 

Denn die jüngste Intervention der Kurie hat die Lage eher verschlimmert. Auch wenn es eine offizielle Stellungnahme noch nicht gibt: Es ist mindestens verwunderlich, dass der Vatikan anscheinend nicht gegen Woelki ermitteln will im Fall des Missbrauchsverdachts gegen den Priester O.

Zu billig wäre es, den Kardinal ohne Ermittlung für schuldig oder unschuldig zu erklären, im Fall seines Weggefährten O. eine Meldung nach Rom unterlassen und so vertuscht zu haben. Aber langjährige Kirchenrechts-Professoren – Thomas Schüller und Klaus Lüdicke aus Münster, Norbert Lüdecke aus Bonn – betonen mit Verweis auf eine Rechtsnorm Papst Benedikts XVI. von 2010, Woelki hätte den Verdacht 2015 sehr wohl melden müssen.

 

Verstößt der Vatikan gegen Kirchenrecht?

 

Vielleicht können Kirchenrechtler klären, ob der Vatikan mit einer Nicht-Ermittlung gegen eigenes Recht verstößt. Nicht-Fachleute fragen sich derweil, wo im Fall O. die Prioritäten liegen.

Dass bei Missbrauchs- und Verdachtsfällen die Amtskirche nicht immer zuerst an die Opfer gedacht hat, ist schmerzlich häufig Realität gewesen. Hoffentlich gab es im Verdachtsfall O. wenigstens Hilfe für Betroffene.

 

Entscheidung mit hohem Preis

 

Priorität war oft, die Institution Kirche nicht zu beschädigen. Das geht beim gesamten „Komplex Köln“ gerade auf ganzer Linie schief. Auch der Vatikan hat zu dieser Lage beigetragen.

Bleibt der Eindruck, im Fall O. gehe es darum, Schaden von einem Kardinal abzuwenden. Der Preis dafür ist immens: die Opfer kaum im Blick, das Kirchen-Image zerstört. Erstaunlich, dass das in Kauf genommen wird.

Anzeige