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Seit etwa fünf Jahren lässt Diakon Heiner Altewulf auf dem Kirchplatz in Werl Tauben in die Luft steigen. Der Taubenzüchter und Seelsorger setzt damit Zeichen für den Frieden – jeden Tag!
Werl in Westfalen, kurz nach elf Uhr. Für die Tauben im Garten von Heiner Altewulf steht Alltagsroutine an: Einige von ihnen werden wieder in die Kiste wandern, mit der der Diakon zur St.-Walburga-Kirche radelt. Dort haben sie dann ihren täglichen Auftritt. Als Friedensboten werden sie in den Himmel steigen. Das tun sie schon seit fünf Jahren. Insgesamt 1.300 Mal hat der 73-Jährige bereits zum mittäglichen Friedensgebet eingeladen. Am gleichen Ort, zur gleichen Zeit – jeden Tag.
Vor fünf Jahren hatte er die Idee – Klimakrise und Kriege inspirierten ihn zur Aktion. „Ich wollte meiner Ohnmacht ein Ventil geben“, sagt Altewulf. „Der Ohnmacht, dass ich für das Klima und den Frieden nicht so viel tun kann, wie ich tun möchte.“
Die Suche nach dem passenden Zeichen dauerte für den Taubenzüchter nicht lang. Die Hauptdarsteller im Taubenschlag im Garten seines Reihenhauses boten sich geradezu an. Vom biblischen Symbol-Vogel flattern dort 30 Exemplare ein und aus.
Hoffnung auf „Land in Sicht“
„In der Bibel ist die Taube an vielen Stellen erwähnt“, sagt Altewulf. „Bei Noah steht sie auch für einen Neu-Anfang – sie zeigte, dass Land in Sicht war.“
Ein Bild der Hoffnung, das ihm in der aktuellen Lage ans Herz gewachsen ist. Tauben geben dieser Hoffnung Ausdruck. Nicht nur, wenn sie jeden Mittag in den Himmel steigen. Auch wenn er sie jeden Tag füttert, in den Nestern nach Nachwuchs schaut oder sie auf ihre Gesundheit untersucht.
Glaube und Hobby
Es begegnen sich zwei Herzensangelegenheiten: Glaube und Hobby kommen in diesen Momenten für ihn zusammen. „Das passt schon ganz gut“, sagt er. „Das Christliche, das ich durch mein Diakonat vertreten möchte, mein Verhalten und mein Einsatz für die Menschen, kann ich mit meinen Tauben unterstreichen.“
Das größte Zeichen, das er setzt, ist ohne Frage die allmittägliche Tour zum einen Kilometer entfernten Kirchplatz. Wer dann im selbst gebastelten Käfig auf dem Fahrradanhänger sitzt, ist offen. Ob „Herr Dicknase“, „Frau Doppelring“ oder „Herr Rotgelb“ – das entscheidet sich erst, wenn er eine große Portion Futter in den kleinen Käfig auf dem Boden des Taubenschlags streut. „Die Tauben mit dem größten Hunger kommen dann mit.“ Sie sind die ersten, die sich auf die Mais- und Getreidekörner stürzen.
Genauer Zeitplan bis zum „Engel des Herrn“
Danach geht es Richtung Innenstadt. Hindernisse und Unebenheiten umfährt Altewulf vorsichtig, damit die acht Tauben im Anhänger hinter seinem Elektro-Rad nicht zu sehr durchgerüttelt und verschreckt werden.
Trotzdem muss er sich beeilen. Es geht bereits auf Viertel vor Zwölf zu. Der Zeitplan muss eingehalten werden. Bis die Kirchenglocken zum „Engel des Herrn“ läuten, müssen die Vögel startklar sein.
Kleines Zeichen statt laute Demo
Als Stress empfindet der Diakon das nicht. „Es fällt mir jeden Tag leicht“, sagt er. „Es ist keine Belastung, weil es mein Ding ist.“
Die große Diskussion, parteipolitischer Einsatz oder die laute Demonstration sind es dagegen nicht. „Ich versuche eher, mit einem kleinen Zeichen meinen Gefühl Ausdruck zu verleihen.“
Beim Friedensgebet noch nie allein
Das Gespann hat die Fußgängerzone erreicht. Hier kennt man ihn und seine Tauben schon. Er wird gegrüßt, hält an für kurze Gespräche, nimmt den kleinen Jungen in den Arm, der begeistert auf ihn zukommt, um danach die Tiere im Anhänger zu begutachten.
Altewulf hat seine Fans. Noch nie hat er bei seinem Friedensgebet allein auf dem Kirchplatz gestanden. Es gibt einen festen Kern, der immer kommt. Oft stellen sich auch Passanten dazu.
Gebet, Lied - dann fliegen die Vögel
Andere haben von der Aktion gehört und reisen extra an. Der Anhänger mit dem Transparent erweckt Aufmerksamkeit. „Friedenstauben fliegen für den Klimaschutz“ steht darauf. „Gottes Schöpfung bewahren.“
Fünf Menschen haben sich heute vor den Treppen zur Kirche eingefunden. Altewulf verteilt Lied- und Gebetshefte. „Fassungslos stehen wir vor der Gewalt auf unserer Welt“, liest er. „Gib uns Kraft, solidarisch denen nahe zu sein, die betroffen sind und in Angst leben.“
Die Menschen rund um den Taubenkäfig sprechen mit. Noch ein kurzes Lied, dann kommt der Auftritt der Vögel. Die Klappe öffnet sich. Im Nu sind die Friedensboten in alle Richtungen entfleucht. Altewulf gibt ihnen noch einen Gruß mit auf den Flug: „Der Friede sei mit euch.“
Tauben fliegen in wenigen Minuten nach Hause
Danach schlagen die Tauben alle die Richtung gen heimatlichen Schlag ein. Die Strecke haben sie nach wenigen Minuten gemeistert. Dann sitzen sie wieder auf den Stangen im Garten des Diakons.
Es war ein kurzer Auftritt, der auf dem Kirchplatz aber seine Wirkung hinterlassen hat. „Wenn ich hier im Gebet bin und den Friedenssegen erhalte, dann kann ich diesen Frieden am Tag weitergeben“, sagt Werner Ax. „Dann kann nicht nur hier im kleinen Kreis Frieden entstehen, sondern auch weit darüber hinaus.“
Reaktion auf die Aktion
Ax nennt dieses Gefühl ebenfalls „Hoffnung“, die er jedes Mal mit nach Haus nimmt. Seine Strecke dabei ist die gleiche wie die der Tauben, er benötigt nur etwas länger.
Der Klavierbauer ist Nachbar von Altewulf, hat sein Geschäft direkt neben ihm. Und auch wenn er mal nicht zur Kirche kommen kann, um den Abflug der Vögel zu erleben, muss er nicht auf das Friedenszeichen verzichten. „Ich sehe dann immer, wie die Tauben in ihren Schlag zurückkehren und höre ihr Gurren – dann weiß ich, dass alles gut ist.“
Zeichen gegen die Ohnmacht
Auch für Altewulf haben diese Momente nichts an Kraft verloren, obwohl er sie schon so oft erlebt hat. „Gerade noch war es fünf vor Zwölf“, sagt er bildhaft. „Jetzt sind die Tauben schon wieder daheim und ich freue mich wieder auf morgen.“
Er hat etwas für den Frieden getan. „Und sei es noch so klein.“ Er hat ein Zeichen gesetzt und dabei seine „Ohnmacht ein wenig kanalisieren können“.
Die Botschaft kommt wieder
Das Zeichen war indes nicht so klein und leise, wie er es selbst beschreibt. Einige Passanten kommen und fragen nach dem Hintergrund seiner Aktion. Er verteilt Flyer und lädt für die nächsten Tage ein.
Seine Tauben mögen schnell und ohne viel Aufsehen davongeflattert sein. Seine Botschaft aber ist nicht entfleucht. Sie wird morgen wiederkommen. Mit einem Gebet, einem Lied und vor allem mit den weißen Hauptdarstellern aus seinem Garten.