Gast-Kommentar von Maria Hölscheidt, Pastoralreferentin

Die einzige Chance der Kirche: ein mutiger Ausstieg!

Anzeige

Austritte, Missbrauch, Frauenrechte: Wie lang darf die Liste sein, ohne dass unsere Kirche ihre Glaubwürdigkeit selbst in ihren eigenen Reihen verliert? Und damit auch die öffentliche Bedeutung einbüßt? Das fragt sich Maria Hölscheidt in ihrem Gast-Kommentar. Sie ist Pastoralreferentin und übernimmt mit Pfarrer Ludger Ernsting Dechanten-Aufgaben im Dekanat Recklinghausen.

„Der „Point-of-no-return“, der Kipp-Punkt: Von hier aus kann man nicht mehr umkehren, ab hier kann eine negative Entwicklung nicht mehr rückgängig gemacht werden. Solche Kipp-Punkte gibt es in vielen Situationen. Zerstrittene Paare wissen oft genau, ob dieser Punkt miteinander schon länger oder noch längst nicht überschritten wurde. Beim Klimawandel haben wir inzwischen so einen Kipp-Punkt übertreten. Forscher stellten fest: Die Gletscher in Grönland werden unwiederbringlich schmelzen.

Die Autorin
Maria Hölscheidt (*1964) ist Pastoralreferentin sowie Ehe-, Familien-und Lebensberaterin und Trauerbegleiterin in Datteln. Seit 2020 ist sie mit Pfarrer Ludger Ernsting Bischöfliche Beauftragte für das Dekanat Recklinghausen.

Oft ist es möglich zu sagen: Bis dahin ist eine Reparatur, eine Versöhnung oder eine Gesundung noch möglich. Aber oft leitet das „So schlimm wird es wohl nicht, da kann man ja noch weitermachen.“ Mit dieser Strategie fahren wir inzwischen mehr als schlecht. Mut zur Umkehr, das ist eine Tugend, die wir Christen mehr denn je in diese Welt bringen sollten. Das ist unser originärer Auftrag.

Achselzucken angesichts der vielen Austritte: unchristlich! Ein Vertuschen der Gräuel sexualisierter Gewalt in unseren bisherigen Strukturen und Denkmustern: unchristlich! Ein Abwarten gegenüber den Frauen, die sich nicht mehr in traditionelle Muster einordnen werden: unchristlich!

 

Angst ist ein Hinweis

 

Wie lang darf die Liste sein, ohne dass unsere Kirche ihre Glaubwürdigkeit selbst in ihren eigenen Reihen verliert? Und damit auch die öffentliche Bedeutung einbüßt?

Angst ist kein guter Ratgeber. Das stimmt, wenn sie lähmt und Resignation auslöst. Aber Angst ist immer ein Hinweis, dass es um etwas Wichtiges geht und wir sofort reagieren sollten. Das biblische „Fürchtet euch nicht!“ darf entlasten, aber es ist dort oft der Anfang. Es folgt ein Auftrag zu etwas, das die menschliche Sicht übersteigt und eine Veränderung beinhaltet. Umkehr in der Bibel ist eine Einladung, keine Vorladung, sie lebt von der Möglichkeit, sich zu beteiligen!

 

Umkehr ist kein Zurück

 

Unsere Berufung ist nicht, abzuwarten, ob es noch schlechter werden kann. Unsere Berufung ist, aufzustehen und umzukehren, möglichst bei den Anfängen, spätestens wenn wir sehen, dass es nicht so bleiben kann, wie es sich entwickelt hat. Umkehr ist kein Zurück, es ist ein mutiger Ausstieg, ein beherzter Einstieg – meist in etwas Unbekanntes und zugleich Lösendes.

Das ist die einzige Chance, die wir als Kirche haben: Umkehren! Auch dann, wenn das eigene bisherige Denken und Urteilen oder die alte Glaubens- und Lebensweise deshalb auf der Kippe stehen.

Die Positionen der Gastkommentare spiegeln nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von „Kirche+Leben“ wider.

Anzeige