Eine Serie von Pfarrer Stefan Jürgens

Die kleine Gebetsschule (2): Gott ganz persönlich

Wegen der Corona-Krise gibt es derzeit keine öffentlichen Gottesdienste. Pfarrer Stefan Jürgens aus Ahaus lädt deshalb zu einer kleinen Gebetsschule für zu Hause ein. Jeden Morgen ab 7.30 Uhr. Heute mit Teil 2.

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Wegen der Corona-Krise gibt es derzeit keine öffentlichen Gottesdienste. Pfarrer Stefan Jürgens aus Ahaus lädt deshalb zu einer kleinen Gebetsschule für zu Hause ein. Die Impulse bauen aufeinander auf. „Das persönliche Gebet ist mir ein Herzensanliegen“, sagt Jürgens. Viele hätten jetzt Zeit dafür. Jeden Morgen ab 7.30 Uhr gibt es an dieser Stelle eine neue Folge seiner "kleinen Gebetsschule".

Wer ist eigentlich Gott? Das ist die entscheidende Frage auf dem Weg zum Gebet. Und umgekehrt: Durch das Gebet mache ich deutlich, wer oder was mein „Gott“ ist. Ich kann glauben im Sinne einer Vermutung; dann glaube ich, „dass“ „Er“ – oder „es“ existiert. Ich kann aber auch glauben im Sinne von personalem Vertrauen; nur dann glaube ich „an“ Gott. Erst dieser Vertrauens- und Beziehungsglaube ermöglicht Dialog, Kommunikation, Gespräch: Gebet.

Wer „Gott“ sagt, meint damit ja nicht unbedingt den Vater Jesu Christi. Für manchen ist „Gott“ nur das Spiegelbild des eigenen Ich: Dann stellt „er“ nichts in Frage, sondern muss dazu herhalten, mich in allem zu bestätigen. Für andere ist „Gott“ die Projektionsfläche unerfüllter Wünsche. Dann sitzt „er“ in der Nische des Nichterklärbaren, in der Lücke meiner Trauer, in der Angst vor meiner Sterblichkeit, auf der Anklagebank von Naturkatastrophen und persönlichem Leid. Überall wird „Gott“ benutzt, gebraucht; doch erst, wo man auf Seine in Christus geoffenbarte Liebe antwortet – ob nun bewusst oder nicht, ob ausdrücklich oder unthematisch –, bekommt man es mit Gott zu tun.

 

Gott und meine Krampfadern

 

Stefan JürgensPfarrer Stefan Jürgens (51) ist Pfarrer in Ahaus. Bekannt geworden ist er auch als Buch-Autor, vor allem durch sein jüngstes Buch "Ausgeheuchelt". | Foto: Christof Haverkamp

Auch unter Christen muss das Wort „Gott“ für allerhand Unsinn herhalten. Da gibt es „Gott“ als den alten Opa, der längst überholte Ansichten vertritt und deshalb nichts mehr zu sagen hat; als heilige Tradition oder bürgerliches Sahnehäubchen, der an Lebenswenden wichtig wird und Familienfeste feierlich zu umrahmen hat, obwohl man ansonsten „Gott“ einen guten Mann sein lässt; als Belohner, der einen mag, solange man brav und anständig bleibt; als Bestrafer, der menschliches Tun mit entsprechenden Schicksalsschlägen ahndet; als Mitmenschlichkeit, die sich im sozialen Miteinander „ereignet“; als Begründer und Garant von Macht und Autorität, staatlich und kirchlich; als letzte Sicherheit in den Gefahren des Lebens; als Schutzmacht der bestehenden Ordnung; als Klempner oder Feuerwehrmann, der eiligst zu kommen hat, wenn etwas nicht funktioniert, aber ansonsten nur stört; als Aufpasser und Kontrolleur, der sich freut, wenn er mich bei einem Fehler erwischt; als höchstes Wesen, das man bestenfalls denken, aber nicht lieben kann; als mir innewohnender kategorischer Imperativ, den ich einfach annehmen muss, um moralisch zu handeln; schließlich als milde lächelnder Weichling, der einem nichts krumm nimmt und mit allem nachsichtig ist, weil ja alles doch nicht so schlimm ist.

Am Ende ist „Gott“ dann zuständig für gutes Wetter im Urlaub, für meine Krampfadern und einen möglichen Lottogewinn. Alle diese „Gottesbilder“ sind meistens nichts als Götzen, menschliche Zerrbilder „Gottes“, Ausdruck einer magischen, missbrauchten, abergläubischen Religion. „Gott“ ist ein beladenes, beflecktes und zerfetztes Wort, weil „es“ immer wieder für alles und jeden herhalten muss, im Guten wie im Schlechten.

 

„Ich liebe dich nur ab und zu“

 

Wer also ist Gott? Wenn es im Glauben um Beziehung geht, dann ist Gott kein „es“, das man gebrauchen und auch missbrauchen kann, sondern ein „Du“, mit dem man in Beziehung lebt, und das ist sehr anspruchsvoll. Schon in menschlichen Beziehungen gilt: Ich kann den anderen niemals nur gebrauchen, wenn es mir schlecht geht oder ich nicht weiter weiß, sondern ich möchte mit ihm leben, ganz und gar.

Der Vergleich mit einer Liebesbeziehung unter Menschen macht es deutlich: „Ich liebe dich, weil du mir nützlich bist“ – das ist der Tod einer jeden Beziehung. „Ich liebe dich nur ab und zu, wenn mir danach ist“ – das geht nicht, weil Liebe zeitlos ist, ja ewig sein will. Liebende haben füreinander alle Zeit der Welt, sie wollen immer beieinander sein. Sie haben voreinander keine Angst – alle „Gottesbilder“, die Angst machen, sind dämonisch –, sondern geben einander vorbehaltlos alles und sich selber hin; sie wollen einander nicht nur denken – alle „Gottesbilder“, die sich um ein abstraktes „es“ drehen, bleiben letztlich folgenlos –, sondern spüren, einander sehen und erkennen auf Augenhöhe.

 

„Gott für mich“ statt „Gott an sich“

 

„Gottesbilder“ ist ein unseliger und beladener Begriff, denn wir sollen uns von Gott kein Bild machen (vgl. Exodus 20,4). Jedes Gottesbild macht unsere Vorstellung von Gott eng und klein, ist leicht zu missbrauchen und dient meistens nur denen, die über andere herrschen. Die ganze Bibel ist voll von Abweisungen gegen jeden Versuch, Gott auf einen Namen oder eine Vorstellung festzulegen. Jede Aussage über Gott ist zunächst eine Aussage von und damit über Menschen, über ihre Erfahrungen mit Ihm.

Ich kann nicht objektiv über „Gott an sich“ sprechen, sondern nur subjektiv von „Gott für mich“ – darin steckt die Gefahr zur Beliebigkeit – oder besser noch inter-subjektiv von „Gott für uns“, wie es die Bibel tut. Selbstverständlich bleibt Gott eine objektive Wirklichkeit, auch ohne und außerhalb von mir oder von uns. Aber mein Sprechen über ihn ist menschlich, subjektiv oder besser noch inter-subjektiv, also kommunikativ.

 

Mein "geliehener Glaube"

 

Wenn ich dennoch von „Gottesbildern“ spreche, dann deshalb, weil eine personale Begegnung mit einem „Du“, einem konkreten Gegenüber, ohne menschliche Bilder nicht auskommt. Dabei muss man sich immer bewusst bleiben: Jedes sprechen von Gott ist analog, Er selbst bleibt der Unbegreifliche, Geheimnisvolle. Wenn ich aber von Ihm spreche, dann in  Analogie zu menschlichen Beziehungen, weil das am ehesten trifft: Ich spreche von Seiner Liebe, von Seiner guten Hand.

Ich nenne Ihn Vater und mich selbst Sein Kind: Nicht weil Er ein Mann wäre und damit Vater sein könnte im menschlichen Sinn, sondern weil Jesus Ihn so genannt hat: Abba, lieber Vater (vgl. Markus 14,36). Und doch bleibt „Vater“ ein Menschenwort, das Sein Geheimnis nicht fassen kann, und mein Glaube bleibt ein „geliehener“ Glaube, ein Glaube aus zweiter Hand, nämlich aus der Hand Jesu. Ich glaube Jesus seinen Gott. Er ist mein Gottesbild – das „Bild“ des unsichtbaren Gottes, in dem Er Seine Liebe in die Welt hinein gebildet hat.

Bis morgen!
Stefan Jürgens

Herzliche Einladung zur Übertragung der Eucharistiefeier aus dem Paulusdom in Münster montags bis samstags um 8 Uhr und aus der Lambertikirche in Münster um 18 Uhr: www.kirche-und-leben.de

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