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Wegen der Corona-Krise gibt es derzeit keine öffentlichen Gottesdienste. Pfarrer Stefan Jürgens aus Ahaus lädt deshalb zu einer kleinen Gebetsschule für zu Hause ein. Jeden Morgen ab 7.30 Uhr. Heute mit Teil 22.
Wegen der Corona-Krise gibt es derzeit keine öffentlichen Gottesdienste. Pfarrer Stefan Jürgens aus Ahaus lädt deshalb zu einer kleinen Gebetsschule für zu Hause ein. Die Impulse bauen aufeinander auf. „Das persönliche Gebet ist mir ein Herzensanliegen“, sagt Jürgens. Viele hätten jetzt Zeit dafür. Jeden Morgen ab 7.30 Uhr gibt es an dieser Stelle eine neue Folge seiner "kleinen Gebetsschule".
Nachdem ich mich eine Nacht lang mehr oder weniger von der Wirklichkeit verabschiedet hatte, tauche ich zwangsläufig morgens vor dem Spiegel wieder auf. Das erste, was ich vom neuen Tag zu sehen bekomme, ist mein eigenes Gesicht. Das Gesicht, das sich mir frühmorgens im Spiegel darbietet, ist verschlafen, unsortiert. Ich muss mich rasieren, sehe unordentliche Haare: ein Gesicht, für das man etwas tun muss. Ich schaue es an und sage: Ich kenne dich nicht, aber ich wasche dich trotzdem. Das erste Morgengebet besteht nun darin, dass ich mir in Ruhe sage: Dieser Mensch, den ich da sehe, ist ein von Gott geliebter und bejahter Mensch!
Vielleicht frage ich mich in der ersten Morgenträgheit: Was ist an dem da schon liebenswert? Aber das ist meine Frage – nicht Gottes Frage. Gott liebt uns nicht nur dann, wenn wir in Hochform sind, wenn wir etwas Besonderes geleistet haben, wenn wir einmal selber mit uns zufrieden sind. Gott liebt uns – wie wir sind. Und so nimmt Er uns an. Das ist ja gerade das Wesentliche am Christentum: leistungsfrei angenommen sein um Christi Willen.
Beten vorm Spiegel
Diesen Gedanken, dass Gott mich liebt, soll ich morgens vor dem Spiegel so lange aushalten, bis ich ihm zustimme. Bis ich sage: Diesen Menschen, den ich da im Spiegel sehe, den liebe ich auch. Ich sag zu ihm: ja. Ich nehme ihn an, so wie er ist.
Man erkennt den Erfolg dieses Gebets daran, dass sich auf dem Gesicht im Spiegel ein leises Lächeln ausbreitet. Dann kann man getrost „Amen“ sagen. Dieses Gebet hat überhaupt nichts mit Selbstbespiegelung zu tun. Aber es hat viel damit zu tun, dass man ernst macht mit dem Hauptgebot unseres Glaubens: Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst! Wenn ich das morgens vor dem Spiegel versuche, diesen Menschen da annehmen, indem ich ihn anlächeln kann, dann habe ich viel für den Tag getan, der eben beginnt.
Das Gebet mit der Tageszeitung
Ein weiteres Morgengebet ist das Gebet beim Durchblättern der Zeitung. In den Schlagzeilen erfahre ich, was die Redaktion für wichtig hält. Wenn ich dann auch noch die Artikel lese, bin ich um viele Fragen und Sorgen reicher. Was ist das für eine Welt, in der wir leben? Aber ich lese auch von guten Taten und richtungsweisenden Ideen.
Glauben und Leben dürfen sich nicht allzu weit voneinander entfernen. Das ist schlecht für beide. Der Glaube wird wirklichkeitsfremd, das Leben wird leer und oberflächlich. Das Gebet beim Durchblättern der Zeitung besteht darin, dass ich das alles lese im Gedanken an Gott; dass ich Ihm so manches Rätsel anvertraue, Ihn um Vergebung bitte für so manches Schlimme, Ihn um Hilfe bitte für Menschen in Krisengebieten und persönlicher Not. Wenn ich beim Lesen der Tageszeitung an Gott denke, habe ich viel für die Verbindung von Glauben und Leben an diesem Tag getan. Und wer gar nicht weiß, was er beten soll, der lese die Zeitung.
Das Gebet mit dem Terminkalender
Im Terminkalender sehe ich, was ich heute alles tun muss, wen ich anrufe, wen ich treffe, was für Gespräche es heute gibt. Jeden Tag ist da manches, auf das ich mich spontan freue, anderes, was ich gerne umgehen würde. Es gibt Begegnungen, bei denen eine gute Verständigung nicht sicher ist. Der Terminkalender erinnert mich an die Menschen, mit denen ich an diesem Tag zusammenkomme.
Ich darf denken: Jeder dieser Menschen ist ein von Gott geliebter Mensch. Diesen Gedanken halte ich so lange aus, bis ich ihm zustimme. Ich werde dann einen Menschen anders begrüßen, ihm anders zuhören, werde etwas von der Weisheit verwirklichen, dass der wichtigste Mensch in meinem Leben derjenige ist, mit dem ich eben jetzt zusammen bin. Wenn ich so – im Blick auf den Terminkalender – an Gott denke, habe ich viel für den Tag getan. Das Alltägliche hat viel mit Gott zu tun, denn auch die Liebe muss sehr alltäglich sein, wenn sie etwas bewirken will.
Das einfache Abendgebet – Gebet an der Türklinke
Vor dem Spiegel, mit der Tageszeitung und dem Terminkalender – das alles sind eher Gebete am Morgen. Am Abend komme ich nach Hause, beladen mit vielen Begegnungen, Problemen und Sorgen. Das alles will mit mir nach Hause gehen, es liegt mir auf den Schultern, will mich belasten, macht mir das Herz schwer.
Wie werde ich den Stein los, der mir auf dem Herzen liegt? Wohin damit? Wie halte ich meine Nacht frei von Sorgen, so dass ich ruhig schlafen kann? „Ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen“, sagt der Volksmund. Aber manchmal sind es ja auch Dinge, die außerhalb meiner selbst liegen, die ich nicht verursacht habe und die ich nicht ändern kann; die ich oft nur mitleidend und solidarisch aushalten muss.
Keiner kann alle Probleme der Welt lösen
Diese belastenden Dinge werde ich nun los an der Türklinke meines Hauses, meiner Wohnung oder meines Zimmers. Indem ich die Türklinke herunterdrücke, kommt ein kleiner Seufzer, ja ein tief empfundenes Gebet durch mein Herz (und vielleicht auch über die Lippen), in dem ich sage: „Gott, ich vertraue Deiner Sorge an, was ich jetzt nicht mehr ändern kann. Beschütze und segne alle, an die ich jetzt denke, bewache Du meine Sorgen gut, und lass mich morgen an ihnen weiterarbeiten, wenn es nötig ist.“ Den Erfolg dieses Gebets erkennt man daran, dass tatsächlich alle Sorgen vor der Tür bleiben.
Und außerdem soll sich kein Mensch so wichtig nehmen, dass er alle Probleme dieser Welt lösen könnte. Das kann niemand, und schon gar nicht über Nacht. Vielleicht sind über Nacht nicht alle Sorgen weg, aber sie sind zumindest gut aufgehoben, bis ich mit Gottes Geleit und in Seinem Namen neu beginnen kann. Ich habe meine Sorgen „gehimmelt“, damit sie „geerdet“ werden, wenn die Zeit dafür da ist: Am anderen Morgen. Gott soll mich davon nicht befreien – ich möchte selbstbewusst leben. Aber sein Heiliger Geist, der göttliche Atem kann mich davor bewahren, in meinen Sorgen zu ersticken.
Bis morgen!
Stefan Jürgens
Herzliche Einladung zur Übertragung unserer täglichen Gottesdienste:
8.00 Uhr - Eucharistiefeier aus dem Paulusdom in Münster
17.30 Uhr - Abendgebet (Vesper) aus der Abtei Gerleve
18.00 Uhr - Eucharistiefeier aus der Lambertikirche in Münster
20.15 Uhr - Nachtgebet (Komplet) aus der Abtei Gerleve.
In der Karwoche übertragen wir Gottesdienste mit Pfarrer Stefan Jürgens aus der Pfarrkirche St. Mariä Himmelfahrt. Eine Übersicht finden Sie hier.