Ein schwarzer Jesus, schwarze Fremde und ein Dorf in Sizilien

Dokumentarfilm „A Black Jesus“ von Wim Wenders läuft digital an

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In Sizilien verehren die Menschen ein Kruzifix mit einem schwarzen Jesus. Mit Flüchtlingen haben sie dagegen Probleme. Zwischen diesen Polen spielt ein neuer, vom Wim Wenders produzierter Dokumentarfilm, der digital Premiere hat.

Ein Strand in Sizilien, zwei Schwarze. Einer sagt: "In dem Dorf hier gibt es die Statue eines schwarzen Jesus. Und ein Flüchtlingszentrum, wo schwarze Leute leben. Das Lustige ist: Die Leute in dem Dorf mögen keine schwarzen Menschen. Aber sie lieben den schwarzen Jesus. Sie mögen ein schwarzes Stück Holz, aber keinen schwarzen Menschen aus Fleisch und Blut."

In seinem Dokumentarfilm "A Black Jesus" bringt Regisseur Luca Lucchesi den Plot gleich zu Beginn auf den Punkt. Weil aber der schwarze Jesus auch einige der in Sizilien gestrandeten Flüchtlinge fasziniert, bietet sich die Möglichkeit einer Geschichte über Einwanderung, Auswanderung und die eigene Identität.

 

Das Kreuz mit dem schwarzen Jesus wird hoch verehrt

 

Trailer und mehr zum Film gibt es hier.

Lucchesi, in Palermo geboren und seit acht Jahren in Berlin lebend, war nach dem Tod seines Vaters 2017 in das Dorf gefahren, aus dem dieser stammte. In Siculiana nahe Agrigent hatte die Familie jahrelang die Sommerferien verbracht; nun wollte der erwachsene Sohn noch einmal Abschied nehmen. Er besuchte auch die Kirche des 4.500-Einwohner-Ortes, in der das Kruzifix mit dem schwarzen Jesus hängt. Gegenstand großer Verehrung unter den Einheimischen und Mittelpunkt einer jährlichen Prozession mit Volksfest.

"Als ich in der Bank saß, bemerkte ich vor dem Kruzifix einige junge schwarze Männer, die dort beteten", erzählt Lucchesi. "Sie hatten ihre Schuhe ausgezogen, als Zeichen der Ehrfurcht." Nachdem er mit einigen von ihnen gesprochen hatte, kam dem jungen Filmemacher die Idee einer Art Hommage für seinen Vater und das Dorf.

 

Vorwürfe gegen Flüchtlinge im Dorf

 

Zunächst sollte es ein eher privates Projekt werden. Doch als er davon Wim Wenders berichtete, bei dessen Film "Palermo Shooting" er als Assistent gearbeitet hatte, riet Wenders zu einem Dokumentarfilm.

Denn in den Wochen, da die schwarzen Flüchtlinge in der Kirche zum schwarzen Jesus beteten, demonstrierten Einheimische gegen das Flüchtlingsheim und die "Invasion". Untergebracht in einem aufgegebenen Hotel schädige das Heim den ohnehin schwachen Tourismus noch mehr, so ein Vorwurf.

 

Ein Schwarzer möchte den schwarzen Jesus mittragen

 

Trotz der Spannungen und Vorwürfe suchten einige Flüchtlinge Kontakt und Austausch mit den Einheimischen. Einem jungen Ghanaer kam dann die Idee: Er als Schwarzer aus Fleisch und Blut wollte einmal den schwarzen Jesus mittragen - am 3. Mai bei der großen Prozession durch den Ort. Vielleicht, so die Überlegung des Ghanaers Edward, würde dies den Widerspruch vom Beginn des Films überwinden helfen?

Edward wünschte sich, nur einmal das zentnerschwere Kruzifix mitzutragen. Die Einheimischen wünschten sich vom schwarzen Jesus langes Leben, ein Handy, einen Freund, Genesung, Versöhnung.

 

Premiere zunächst im Internet

 

Bei einem Teil der Siculianer traf Edward auf offene Ohren - und auch Herzen. Wie die Begegnung weiterging und ob der Wunsch erfüllt wurde, das erzählt Luca Lucchesi in "A Black Jesus". Digital im Netz zu sehen ab dem 20. Mai; coronabedingt später im Kino.

Gedreht haben Lucchesi und sein Team von Mai 2018 bis Dezember 2019 bei mehreren je einmonatigen Aufenthalten in Sizilien; fast ein Jahr dauerte der Schnitt. Zuerst sollte es ein stärker politischer Film werden, weil die Menschen oft über diese und jene Politiker geschimpft hätten. Wim Wenders habe ihm aber dann geraten, die konkreten Bezüge rauszunehmen. Die grundlegende Problematik bleibe unberührt.

 

Bewegend und humorvoll

 

Im Sizilianischen, so erklärt Lucchesi, gebe es zwei Wörter für "wir": Das eine bedeute "wir im Gegensatz zu den anderen", das andere "wir alle". In Siculiana aber, so erzählt der Film, verschmolzen Grenzen, Geschichten, Menschen. "Wir selber sind halb Franzosen, halb Araber, halb Griechen, halb wer weiß was", sagte ein Einheimischer.

Andere beschwerten sich: "Wenn die meinen, sie seien hier in Amerika, dann sind sie im falschen Ort" und zeigten damit, wie sehr in Sizilien die Auswanderergenerationen präsent sind. Als bei der Prozession sich die Menge vor dem Kruzifix verbeugte, sagte ein Flüchtling lachend: "Sie danken Gott, dass Jesus schwarz ist". "A Black Jesus" ist oft bewegend und humorvoll zugleich.

 

Wie es nach dem Dreh weiterging

 

Das Flüchtlingsheim, so erzählt Lucchesi, der selbst Migrant ist, wurde zehn Tage nach dem Ende des Drehs aufgelöst. Seine Protagonisten arbeiten jetzt wohl irgendwo auf süditalienischen Feldern - vermutlich illegal. Das einstige Hotel und Flüchtlingsheim wurde in der Pandemie als Quarantäne-Station wiedereröffnet. Das Leben geht weiter, sagt Lucchesi. Als Dokumentarfilmer könne er nur Ausschnitte festhalten.

Tickets können unter www.filmwelt-digital.de reserviert werden. Die Kinos werden finanziell an den Einnahmen beteiligt.

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