Der Bischof ermuntert zu einem dreifachen Verzicht

Dokumentiert: Wort zur Fastenzeit 2021 von Bischof Felix Genn

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In seinem Hirtenwort zur österlichen Bußzeit 2021 ermuntert Bischof Felix Genn zu einem dreifachen Verzicht.

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben! Es ist eine merkwürdige Zeit, in der wir uns befinden – und dabei denke ich nicht in erster Linie an die österliche Bußzeit, die im Volksmund Fastenzeit genannt wird. Ich denke an unsere Situation, in der wir uns nun seit einem Jahr befinden. Und während ich dieses Wort an Sie formuliere, weiß ich gar nicht, ob es noch in die aktuelle Situation hineintrifft, in der es verlesen wird. Dennoch wage ich es, einmal nicht auf kurze Sicht zu fahren, sondern ein Wort an Sie zu richten, das auch für mich eine Herausforderung darstellt. Dazu bewegt wurde ich unter anderem durch eine Überlegung in einer deutschen Tageszeitung zu Beginn der Adventszeit, in der Professor Höffe, Professor für Philosophie, unter dem Leitwort „Mit Leichtigkeit und Heiterkeit des Herzens“ (Prof. Dr. Otfried Höffe, in der F.A.Z. vom Montag, 30. November 2020, Seite 6) über die Notwendigkeit nachgedacht hat, die Not und den Segen des Verzichts zu bedenken. Er wies darauf hin, dass dieser aus der Mode gekommene Begriff unbedingt not-wendend sei. Diese Verwirklichung des Verzichts, ein persönlicher Beitrag, ein wirtschaftlicher Beitrag sei in unserer modernen Zivilisation erforderlich. Andernfalls sei nur ein radikaler Verlust zu erwarten. Sicherlich ist dies sehr bemerkenswert angesichts eines globalen Virus.

In der Tat ist es auch im kirchlichen Bereich so gewesen, dass über viele Jahre und Jahrzehnte das Wort und der Begriff des Fastens aus der Mode gekommen war. Er wurde erst wiederentdeckt durch Menschen, die für sich und ihre Gesundheit den Verzicht entdeckten. Ich selber komme aus einer Generation, die nach dem Konzil ihr Theologiestudium begonnen hat. Gerne möchte ich an dieser Stelle vom ersten Aschermittwoch meines Theologiestudiums 1970 im Priesterseminar Trier erzählen. Es brach ein Aufstand aus, als wir nach der Morgenmesse im Frühstücksraum nur Kaffee, Brot und Butter vorfanden. Es sei doch nun wirklich an der Zeit, diese alten Zöpfe wie Fasten und Verzicht abzuschneiden und normal zu leben, weil damit ja doch nur irgendeine äußere Werkgerechtigkeit verbunden sei, so die Reaktion damals. So wundert es mich nicht, dass Professor Höffe einmal in Nachschlagewerken der Ethik, der Philosophie und der Theologie das Stichwort „Verzicht“ auch die anderen Ausdrücke wie „Fasten und Askese“ vergeblich gesucht hat. Umgekehrt ist es interessant, dass wir aus Respekt vor unseren muslimischen Mitbürgern immer wieder Rücksicht auf deren Gewohnheit, im Monat Ramadan streng zu fasten, nehmen. Lohnt es sich deshalb nicht, in dieser Zeit der Pandemie und in einer Zeit der hohen Sensibilität gerade junger Menschen für die Umwelt und ihren Kollaps, an globale Klimaziele ein paar Gedanken zu verlieren und dies auf das konkrete Leben anzuwenden? Die Fastenzeit ist eine Zeit des Fastens und des Verzichts in der Vorbereitung auf Ostern im Hinblick auf Auferstehung, Leben in Fülle, auf Heil.

 

Worauf kann ich verzichten?

 

Wir haben eben im Evangelium gehört, dass Jesus sich 40 Tage in der Wüste aufhielt. Der Evangelist Markus erwähnt nicht ausdrücklich, dass er dort gefastet hat. Andere Evangelisten tun dies deutlicher. Aus diesem Verhalten ist es Brauch geworden, die 40 Tage der Vorbereitung auf das höchste Fest zu leben: Dieser Wirklichkeit des Verzichts und des Fastens konkret Ausdruck zu verleihen. Vielleicht mag es dabei auch in früheren Zeiten zu sehr ins Detail gehende Vorschriften gegeben haben. Dennoch stellt sich auch heute die Frage, was für mich und mein Leben unbedingt notwendig ist, und worauf ich auch einmal – wenigstens für eine gewisse Zeit – verzichten kann.

Bischof Felix Genn richtet sich an die Gläubigen in der Diözese Münster.
Bischof Felix Genn richtet sich an die Gläubigen in der Diözese Münster.

Liebe Schwestern und Brüder, ich möchte Sie deshalb einladen, für sich selbst und auch in Ihren Familien und Glaubensgruppen darüber nachzudenken, was in diesem Jahr für Sie und für uns alle konkret das Fasten bedeuten kann. Ich möchte hier keine konkreten Ratschläge geben, aber ich erlaube mir, auf drei Punkte hinzuweisen, die man dabei bedenken könnte:

 

Das Rechthaben

 

1. „Ich habe Recht!“ Wie oft kommt uns dieser Gedanke in Kopf und Herz. Muss ich aber auch immer Recht bekommen? Geht dies auf Kosten von anderen? Wann kann und soll ich auch hier verzichten?

In dem Artikel weist Professor Höffe darauf hin, dass bereits seit dem 18. Jahrhundert in der deutschen Sprache mit dem Begriff „Verzicht“ vor allem das in einem förmlichen Willensakt vorgenommene Aufgeben von Rechtsansprüchen verstanden wird. Wenn man die zurückliegenden Wochen und Monate bedenkt, spürt man, wie aktuell diese Wirklichkeit in unserem Leben ist. Wie bin ich damit umgegangen, wie habe ich das erlebt, wie groß war meine innere Bereitschaft und nicht nur der äußere Zwang, mich einschränken zu lassen?

Im Blick auf die Rechtsansprüche denke ich auch an die Zukunft, die sich aus den Folgen der Pandemie noch ergeben wird, und die unsere nachkommenden Generationen stark belasten kann. Die Bürde ist groß. Was können wir jetzt dafür tun, diese Belastung für die kommenden Generationen so erträglich zu machen, dass sie auch getragen werden können?

 

Der Nationalismus

 

2. Die Verwerfungen der letzten Jahre, angesichts der vielen Menschen, die bei uns Schutz suchen, dazu die Probleme, die weltweit durch ein Virus ausgelöst wurden, haben manche nationalistische Tendenzen in unseren Breiten groß werden lassen. Als Angehöriger der Nachkriegsgeneration hat es mich schon sehr nachdenklich gemacht, dass plötzlich wieder geistige Tendenzen groß werden, die ich überwunden glaubte. Wenn ein einzelner Staatsmann sein Volk als das Erste und die Spitze der ganzen Welt herausruft, oder andere Politiker, in Europa wie auch in unserem Land, selbstbewusst auf den Wert des eigenen Volkes und der eigenen Nation setzen, ist das meines Erachtens für einen Christen, der immer global und universal denkt und lebt, unerträglich. Wie weit sich das vielleicht dann doch in unseren Herzen eingenistet hat, ist durchaus eine Überprüfung wert. In einer ersten Reflexion über die Pandemie noch im Frühjahr des vergangenen Jahres hat mich das Wort eines Journalisten nachdenklich gestimmt: „Es ist bedauerlich, dass die Volksvertreter aller Länder so leicht die Schicht der Versöhnung durchbohren können, an der Generationen von überzeugten Europäern gearbeitet haben“ (B. Kohler, in der F.A.Z. vom Freitag, 22. Mai 2020, S. 1). Gottlob kann man einer solchen Perspektive entgegenhalten, dass es viel europäische Solidarität in den zurückliegenden Monaten gegeben hat, dass diese Kräfte im Letzten doch stärker waren als die Nationalismen. Aber es steht uns als Christinnen und Christen gut an, hier ein kritisches Auge zu bewahren und zu fragen, ob der Verzicht auf so genanntes nationalistisches Bewusstsein und die Offenheit für die Not der Menschen in anderen Kontinenten nicht geradezu zur „DNA“ unseres Christseins gehört und deshalb von vornherein Verzicht erfordert.

 

Die Schöpfung

 

3. Die Lesung aus dem Glaubenszeugnis Israels, das die Ursprünge der Welt bedenkt, ist eine wunderbare Botschaft zu Beginn der österlichen Bußzeit. Nach der Zerstörung durch die Sintflut verheißt Gott, dass Er einen Bogen in die Wolken setzt, und die Menschen aller Zeiten und aller Völker daran erinnern will, dass zwischen Ihm und der Erde ein Bund besteht, der unerschütterlich ist und immer daran erinnern darf, dass Gott zum Erhalt der gesamten Menschheit Seine Zusage gegeben hat (Gen 9,13). In den Liebesliedern des Alten Bundes ist dieses Wort noch einmal in einem schönen Satz zusammengefasst: „Sein Zeichen über mir heißt Liebe“ (Hld 2,4). Ist es deshalb nicht von großem Wert, dass gerade junge Menschen, die in der nachfolgenden Generation diese Welt gestalten sollen, höchst sensibel sind für die Entwicklungen in der Umwelt und Schöpfung? Natürlich ist uns doch allen klar, dass es eine Bewahrung der Schöpfung nur geben kann, wenn wir bereit sind zum Verzicht. Was das im Einzelnen bedeutet, vom Fleischkonsum angefangen bis zum Sparen von Energie, auch das wäre wert, in kleineren Gruppen in den Räten unserer Gemeinden bedacht zu werden.

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben, das Fasten war immer ganz konkret, und es durfte etwas kosten, nicht so sehr im Ausgeben von Geld, sondern in vielfältiger konkreter Beschränkung. Die Phantasie der Liebe ist hier sehr kreativ und oft grenzenlos!

Mit den Worten von Professor Höffe habe ich mein Wort an Sie begonnen, mit ihnen möchte ich auch schließen: „Die vielerorts herrschende Habsucht, Ehrsucht und Herrschsucht, die Überbeanspruchung der Natur einschließlich der Atmosphäre und die immer tiefer reichenden Eingriffe in das menschliche Erbgut - wie in einen natürlichen Sterbeprozess - zeigen augenfällig, dass beide Gefahren der modernen Zivilisation nicht fremd sind: Der Hochmut und Übermut und die Nie-Zufriedenheit… Das dagegen unabdingbare Heilmittel liegt auf der Hand: Will die moderne Zivilisation menschenwürdig überleben, benötigt sie ein erhebliches Maß sowohl an einer persönlichen als auch an einer wirtschaftlich- und gesellschaftspolitischen, nicht zuletzt an einer global wirksamen Besonnenheit“.

 

Fruchtbarer Verzicht

 

Liebe Schwestern und Brüder, ich meine, dass wir Christen uns dieser Herausforderung stellen können, weil wir gerade auch in diesem Jahr die Fastenzeit ernst nehmen und wissen, dass jeder Verzicht im Blick auf den Auferstandenen, mit dem wir durch die Taufe verbunden sind, so fruchtbar sein kann, für uns, für die Menschen unserer Zeit, für die Kirche und für die Schöpfung.

Ich wünsche Ihnen dazu viel Kraft, Kreativität und Phantasie. Ich wünsche Ihnen die Erfahrung, dass es sich durchaus lohnen kann, der Besonnenheit Gestalt zu geben. Dazu segne Sie und begleite Sie der allmächtige und gütige Gott des Bundes die ganze Menschheit, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist.

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