Interview mit Thomas Holznienkemper, Seelsorger am Paulusdom in Münster

Ein Beichtpriester: Warum das Beichtgeheimnis bleiben muss

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In Frankreich und auch in Deutschland wird nach Missbrauchs- und Vertuschungsskandal darüber diskutiert, ob das Beichtgeheimnis eine Aufklärung erschwert und daher abgeschafft werden sollte. Thomas Holznienkemper, Psychologe und Beichtpriester am Paulusdom in Münster, hatte schon mit schweren Straftätern zu tun. Wie er mit ihnen umgeht und warum das Beichtgeheimnis nicht nur für Täter wichtig ist, sagt er im Interview mit "Kirche-und-Leben.de".

Herr Holznienkemper, hat sich Ihnen im Beichtstuhl schon einmal ein Straftäter, womöglich auch ein Missbrauchs-Täter anvertraut? 

Es haben sich mir in der Tat schon Menschen anvertraut, die abgetrieben haben oder einen Menschen ermordet haben. Einem Missbrauchstäter bin ich im Beichtstuhl noch nicht begegnet.

Wenn Sie in der Beichte von einer schweren Straftat wie Missbrauch erfahren, dies aber nicht zur Anzeige bringen, könnten weitere Taten geschehen – wie können Sie das gegenüber den Opfern verantworten?

Wenn ein Mensch, der eine schwere Straftat begangen hat, zu mir kommt, dürfte er schon länger darüber nachgedacht und einen gewissen inneren Druck haben, sich zu öffnen. Das nehme ich sehr ernst. Ich würde ihm aber auch sehr deutlich machen, dass er sich der Polizei stellen muss. Nach geltendem Kirchenrecht darf ich ihn nicht selbst anzeigen. Allerdings kann mich dieser Mensch von der Schweigepflicht entbinden.* Oder er bittet mich, ihn zur Polizei zu begleiten oder eine Brücke dorthin zu bauen. Übrigens suchen auch Missbrauchsopfer den Beichtstuhl auf, weil sie sich Erleichterung verschaffen wollen.

* Faktencheck: Die Entbindung des Beichtpriesters von der Schweigepflicht durch den Beichtenden ist umstritten. Kirchenrechts-Experten wie der Münsteraner Priester und Jurist Oliver Rothe sagen: "Eine Entbindung vom Beichtsiegel ist nur dadurch möglich, dass der Pönitent das Gebeichtete außerhalb der Beichte nochmals in einem normalen Gespräch wiederholt und dann sein Okay gibt, dass der Priester es weitergibt. Eine schlichte Freigabe während der Beichte ist nicht möglich. | mn

Das müssen Sie erklären. Im Beichtstuhl geht es darum, Schuld zu bekennen. Welche Schuld sollte ein Missbrauchsopfer bekennen?

Natürlich geht es bei einem von Missbrauch Betroffenen nicht darum, Schuld zu bekennen, sondern darum, über eine seelische Not zu sprechen. Mein Angebot etwa im Beichtstuhl im Dom in Münster ist daher nicht nur eine Beichte im engen Sinn, sondern schlichtweg ein Angebot zum Gespräch, in dem sich Menschen öffnen können.

Das heißt, das Beichtgeheimnis gilt auch in einem seelsorglichen Gespräch, ohne dass es sich um eine Beichte handelt?

Richtig! Die Menschen vertrauen sich mir ja an, suchen einen geschützten Raum. Und auch dann bin ich auf das Beichtgeheimnis verpflichtet, selbstverständlich. Das gilt aber natürlich genauso für den Umgang mit Tätern: Ich hofiere sicherlich keinen Täter, aber ich bin Seelsorger. Ich habe lange im Gefängnis gearbeitet und weiß: Auch Täter haben ein Recht darauf, gehört zu werden, so schwer das auch ist. Wer zu mir kommt, weil er sich bekennen will oder weil er in seiner Not seine Seele ausschütten will, den kann und werde ich sicher nicht rauswerfen. Ich habe nicht über die Barmherzigkeit Gottes zu entscheiden.

Können Sie überhaupt als Beichtvater von Missbrauch oder auch von Mord überhaupt lossprechen? Wenn ja, unter welchen Bedingungen?

Für die Absolution bei schweren Sünden wie etwa Mord braucht es eine besondere Beauftragung durch den Bischof, die beispielsweise die sogenannten Dompönitentiare haben. Streng genommen liegt diese Lossprechung beim Bischof, der diese Autorität an bestimmte Beichtpriester delegieren kann – etwa an den Domkirchen. Voraussetzung für eine Absolution ist aber natürlich echte Reue, das ehrliche Erkennen und Bekennen von Schuld.

Welche kirchenrechtliche Konsequenz hätte es, wenn Sie eine gebeichtete Straftat zur Anzeige brächten?

Ich würde auf der Stelle exkommuniziert.

Wenn die Kirche die Perspektive der Betroffenen einnehmen will: Was müsste sich an diesen kirchenrechtlichen Konsequenzen ändern?

Wir Priester brauchen womöglich eine größere Sicherheit, Tätern sagen zu können: „Bei allem Respekt vor dem Beichtgeheimnis: Sie müssen sich stellen.“ Aber eine Aufweichung des Beichtsiegels darf es nicht geben.

Könnte es eine Absolution erst dann geben, wenn sich der Täter gestellt hat?

Das ist sehr schwierig, denn die Beichte ist kein Richterspruch, sondern ein Sakrament. Streng genommen darf ich die Lossprechung nicht davon abhängig machen, ob sich ein Täter der Gerichtbarkeit stellt. Die einzige Voraussetzung für eine Lossprechung sind das Bekenntnis, die Reue und Zeichen der Umkehr. Solchen Menschen würde ich dringend anbieten, entweder bei mir oder bei einem anderen Priester oder Psychologen in eine Begleitung zu gehen. Aber ich darf ihm das Sakrament nicht verweigern, wenn er reumütig ist – auch wenn ich mich selber nicht gut dabei fühle. Allerdings: Es geht nicht um mich, sondern um die Barmherzigkeit Gottes, die ich zuspreche.

Für viele stellt es sich wohl so da: Im Beichtstuhl ist Missbrauch geschehen, und im Beichtstuhl wird Missbrauch vergeben. So bleibe alles kirchenintern. Viele in unserer Gesellschaft können nicht verstehen, dass der Staat das Beichtgeheimnis weiterhin schützt. Was sagen Sie?

Der Beichtstuhl ist für viele, auch für praktizierende Katholiken, ohnehin ein rotes Tuch, weil dort, wie Sie ganz richtig sagen, auch Missbrauch begangen wurde – sei es körperlich oder geistlich. Und auch, weil wir mit diesem Sakrament lange nicht gut umgegangen sind, das muss man einfach sagen. In meiner eigenen Ausbildung zum Priester hat es keinerlei Vorbereitung auf das klassische Beichte-Hören gegeben! Das fand schlichtweg nicht statt. Heute bin ich dankbar, die künftigen Priester vor ihrer Weihe in einer mehrtägigen Schulung auf diesen wichtigen Dienst vorbereiten zu dürfen.

Was macht diesen Dienst so wichtig?

Das Sakrament der Beichte ist nicht nur ein Ort des Bekenntnisses von Schuld, sondern auch und vor allem ein Ort, an dem Menschen mit all ihrer Verletztheit sein dürfen. Das Bedürfnis danach ist weiterhin groß - trotz des schlechten Rufs, der uns als Kirche umgibt. Umso mehr braucht es das Vertrauen, dass der Schutz des Beichtgeheimnisses garantiert ist.

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