Besondere Erfahrung einer angehenden Managerin

Ein BWL-Praktikum im Amazonas-Bistum Óbidos

Im Studium hat Hanna Richter aus Emstek viel gelernt über Profit und Effizienz. Kurz vor ihrem Abschluss suchte sie eine ganz neue Erfahrung - und lernte dabei unerwartete Dinge.

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Sie ist Expertin für Marketing und Innovation. Ihren Abschluss in Betriebswirtschaft hat sie mit ihren gerade mal 23 Jahren schon vor Augen. Nach einem Dualen Bachelor-Studium in Hamburg mit Ausbildung im oldenburgischen Emstek schreibt Hanna Richter gerade an der Uni im dänischen Esbjerg an ihrer Master-Abschlussarbeit. Im Sommer will sie fertig sein. Fehlt nur noch das Auslandspraktikum, das sie gerne absolvieren möchte.

So stand sie im letzten Sommer vor der Frage: Soll ich dafür bei einem großen Konzern anheuern? In London, Madrid oder Paris? Mit Kollegen in Anzug und Krawatte Strategien für den nächsten Werbefeldzug entwickeln? Oder will ich doch etwas anderes?

 

Südamerika reizte sie irgendwie

 

„Damals habe ich mich an einen Artikel aus der Tageszeitung erinnert“, sagt Hanna Richter. Eine Geschichte über den Mann aus Visbek, der jetzt Bischof am Amazonas ist: Bernhard Johannes Bahlmann, „Dom Bernardo“, im Bistum Obidos.

„Südamerika reizte mich irgendwie“, sagt Hanna Richter. Also suchte und fand sie den Kontakt zum Bischof, schrieb ihm und fragte, ob er nicht für ein passendes Projekt für Sie habe, ein Projekt, mit dem sie helfen könne? Also: Bistum statt Business.

 

Sie war Messdienerin und bei Kolping

 

Erfahrungen aus Kirche und Gemeinde daheim in Emstek konnte sie genug vorweisen. Als ehemalige Messdienerin, aus dem Kinderchor, aus der Kolpingfamilie. So kam auch prompt die Antwort: Sie bringe doch auch so gute Englisch-Kenntnisse mit – ob sie sich vorstellen könne, Englisch-Lehrer zu unterstützen?

Hanna Richter konnte. Ähnlich wie ein katholisches Bildungswerk in Deutschland organisiert das Bistum Obidos den Unterricht in kleinen und kleinsten Schulen. Dabei wollte sie gerne helfen.

 

Dann kam die Überraschung

 

Akribisch bereitete sie sich vor, mit Lehrstoff aus ihrem Englischkurs am Cloppenburger Gymnasium. Textanalyse, Interpretation, solche Sachen. Gespannt ging sie zum ersten Treffen. Die Frage lautete: Was würde sie den Lehrern vermitteln können? Würde ihr Wissen ausreichen? Mehr als 30 Teilnehmer waren angereist, waren teils schon am Vortag losgefahren und mit Booten gekommen. Das Echo auf Hanna Richters Angebot war also groß.

Aber was erwarteten diese Frauen und Männer von dem Treffen? Schon in der Begrüßungsrunde merkte Hanna Richter: Ihr vorbereitetes Material konnte sie getrost in der Tasche stecken lassen.

 

Sie brauchte einen Plan B

 

„Die Kenntnisse der meisten reichten gerade mal dazu, sich vorzustellen und ihr Alter zu nennen, wenn überhaupt.“ Ihr Befund: English-Unterricht am Amazonas steckt noch ziemlich in den Kinderschuhen. Die Studentin musste komplett umdenken. „Ich war gekommen mit der Überzeugung: English ist die Weltsprache, die man braucht, um sich international eine Stimme zu verschaffen.“ In der Wirtschaft, in der Wissenschaft, in der Kultur.

Vor Ort sei ihr aber schnell klar geworden: „Die Menschen in Obidos haben ganz andere Sorgen und Probleme.“ Die Frage nach einem Dach über dem Kopf oder die, ob der gefangene Fisch für das Abendessen ausreicht. Da stünden Schule und formale Bildung eben nicht an erster Stelle. Die Schulgebäude in den Dörfern spiegelten dies wider: Einfachste Holzhäuser auf Stelzen gebaut, die als Schulen dienen. Nur mit einer Tafel und etwas mehr als einem Dutzend Stühlen.

 

Aufgeben wollte sie nicht

 

Ein Plan B musste her. So entwickelte Hanna Richter unterstützt von ihrem portugiesisch sprechenden Praktikumsbetreuer spontan ein neues Konzept, mit angepasstem Niveau: Lieder und Abzählreime statt Grammatik und Diskussion.

Denn aufgegeben wollte sie nicht, sich den Gegebenheiten aber anpassen. Mit kleineren Schritten. Weil sie den English-Unterricht weiterhin wichtig findet für die Zukunft der Menschen. „Meine Oma hat ja früher auch kein Englisch gelernt. Aber die Welt entwickelt sich eben.“

 

„Die Zeit hat mich geprägt“

 

Hanna Richter ist sich sicher: Sie hat auf diesem Weg mit ihrem Dienst am Amazonas ein kleines Stückchen helfen können. „Indem wir den Lehrern ganz einfache Lieder und Reime beigebracht haben, die sie jetzt in Ihrem eigenen Unterricht einsetzen können.“ In den persönlichen Begegnungen habe sie auch gespürt: „Da kommt was an.“

Auch bei ihr selbst? Wie haben sie die Monate geprägt? Von ihrer ersten Begegnung mit Bischof Bahlmann, mit dem sie bei ihrer Ankunft das letzte Stück auf dem Schnellboot den Amazonas hinauffuhr, bis zu ihrem Abschied nach drei Monaten?

 

Ein anderer Blick auf die Dinge

 

Hanna Richter nickt. „Die Kontraste im Land haben mich beeindruckt. Zwischen dem einfachen Leben der Menschen am Fluss und dem Weltstadt-Flair in Rio zum Beispiel. Oder zwischen den Dörfern und der Welt der Konzerne, die aus dem Land herausholen, was sie können.“ Auch die Zusammenhänge zwischen dem einen und dem anderen. Sie nennt den Sojaanbau für die Tierproduktion in Europa oder die Staudamm-Projekte im Norden Brasiliens für den Wohlstand im Süden.

Eine Erfahrung, die sie wohl auch für ihre berufliche Zukunft geprägt habe. „Wenn man so große Profite macht, dann muss wohl am Ende immer jemand darunter leiden, Menschen oder Natur.“

 

Ihre Gemeinde in Emstek hilft jetzt

 

Hanna Richter hat versucht, einigen Menschen zu helfen und dabei auch nach ihrer Rückkehr ein Projekt dazu angestoßen. Seit kurzem unterstützt ihre Heimatpfarrei St. Margaretha den Emmaus-Kindergarten in Obidos. Rund 80 Kinder besuchen ihn. „Die Bauweise ist marode und es fehlen Spielsachen“, heißt es im Emsteker Pfarrbrief. Deshalb werde die Gemeinde ihn künftig mit Spenden unterstützen.

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