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Die großen Probleme unser Zeit werden zusehends auch dadurch größer, wie über sie gesprochen wird - nämlich in immer größeren Extremen. Das kann auf Dauer nicht gutgehen, sagt Johannes Loy in seinem Gast-Kommentar. Pfingsten bringt ihn auf eine Idee.
Die Welt ist in Aufruhr. Der Mensch entpuppt sich als des Menschen Wolf. Wir spüren das täglich. In Deutschland sind wir aber noch weit entfernt von Krieg und Überlebenskrise. Dennoch wird auch in unserem Alltag der Ton rauer und schärfer. Aus Problemen werden Krisen, aus Konflikten sogleich Katastrophen. Aus Missstimmung erwächst Depression. Der Jugend vergeht, wie wir hören, vor Angst die Lebensfreude. Allüberall das große Jammern und Wehklagen.
Selbst in der Kirche herrscht ein grauer Nörgelton über Niedergang und Anonymisierung in pastoralen Riesenräumen vor. Dazu im Netz das permanente Hassen, Hauen und Stechen. Generalvikar Klaus Winterkamp spricht treffend von einer Extremisierung der Probleme, die auch zu einer Extremisierung der Gesellschaft beitrage.
Kein Vielleicht, kein Eventuell
Der Autor
Johannes Loy, geboren 1963 in Münster, studierte Geschichte, Katholische Theologie und Erziehungswissenschaften in Münster. Seit 1995 leitet er das Feuilleton-Ressort der Westfälischen Nachrichten/Zeitungsgruppe Münsterland.
Extremisierung führt zur Frontenbildung. Zu Schwarz und Weiß. Das spüren wir Tag für Tag an den üblichen Talk-Parolen. Mit Blick auf die Ukraine teilen wir die Welt ein in „Militärs und Rüstungslobbyisten, die das Heil in Taurus-Raketen suchen“ und in „weltfremde Friedensprediger, die dem Angriffskrieger Putin auf den Leim gehen“.
In den Debatten über Israel und den Gaza-Krieg sprechen wir pauschal von „Antisemiten, die Israel auslöschen möchten“, und auf der anderen Seite erklingt stereotyp und wohlfeil die Parole vom „US-dominierten Westen, der die Not des palästinensischen Volkes leugnet“. Auch beim Klima sind die Meinungsfronten verhärtet: Hier agieren in unserer Wahrnehmung die Warner, Schmierer und Kleber, dort die Ignoranten, die nichts kapiert haben. Zwischentöne? Differenzierung? Fehlanzeige. Es gibt nur noch Ja und Nein, kein Vielleicht, kein Eventuell, kein Einerseits und kein Andererseits.
Auftauen, aufwärmen, trösten
Die Gesellschaft driftet emotional auseinander. Aus Diskutanten werden Feinde. Dagegen stehen, wie der neue Direktor des Franz-Hitze-Hauses, Johannes Sabel, formuliert, die christlichen Werte von Solidarität, Brüderlichkeit und Compassion. Er verweist auf ein Wort von Johann Baptist Metz: Die Kirche solle die Hoffnungslosigkeit der Welt nicht noch verdoppeln, indem sie sich pausenlos mit sich selbst beschäftige.
Pfingsten steht vor der Tür. Wir benötigen flammenden göttlichen Geist, um Menschen aufzutauen, aufzuwärmen, zu trösten, zu stärken, zu beflügeln. Wenn wir dann miteinander sprechen und streiten, dann sollten wir unseren Mitmenschen nicht als Feind, sondern als Bruder und Schwester wahrnehmen. Damit die Welt ein wenig friedlicher wird. Wenigstens hier im Kleinen, im Hier und Jetzt. Das wäre doch ein Anfang!