Jens Joest über fahrlässiges Verhalten in den deutschen Bistümern und in Rom

Ein Kirchenaustritts-Rekord nach dem anderen – und nichts passiert

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Eine Stichprobe von „Kirche-und-Leben.de“ im Bistum Münster lässt für 2022 einen neuen Höchststand bei Kirchenaustritten erwarten – einmal mehr. Unser Redakteur Jens Joest fragt sich, warum die Kirche das immer noch hinnimmt, obwohl selbst Bischöfe die Gründe der Krise kennen und benennen.

Fahrlässig, wie wenig die Bis­­tümer bisher auf die jahrelange Kirchenaustrittswelle reagieren, die 2022 neue Rekordhöhen erreichen dürfte: Erste Pfarreien im Bistum Münster melden doppelt so hohe Zahlen wie 2021, als bistumsweit 22.614 Katholiken der Kirche den Rücken kehrten.

Die Menschen wenden sich von einer Institution ab, die sich durch unzählige Fälle sexualisierter Gewalt diskreditiert hat, deren Aufarbeitung als schleppend wahrgenommen wird, die allenfalls zögerlich Strukturen aufbricht, aber zugleich glaubt, an einer teilweise überkommenen Morallehre festhalten zu können.

Ankündigungen folgen kaum Taten

Diese Erkenntnisse formulieren selbst Bischöfe. Und was tut sich? 2022 haben die Bistümer immerhin das Arbeitsrecht reformiert – auf öffentlichen Druck jener Mitarbeitenden, die ihre Lebensweise und Sexualität jahrzehntelang verleugnen mussten.

Und sonst? Der Ankündigung, Macht abgeben zu wollen, folgen kaum Taten. Was hindert Bischöfe, Laien deutlicher Entscheidungsverantwortung zu geben?

Den Druck auf Zögernde und auf Rom erhöhen

So ehrenwert der Versuch beim Synodalen Weg ist, Einheitliches für Deutschland zu beschließen – am Ende entscheidet jeder Bischof für sein Bistum. Trauen sich die Reformer, voranzugehen und den Druck auf Zögernde und letztlich Rom zu erhöhen?

Es braucht starke, sichtbare Zeichen der Veränderung, um die Flucht aus der Kirche zu bremsen. Die Institution selbst muss ein vitales Interesse daran haben.

Mit den Massenaustritten sinkt die gesellschaftliche Relevanz der Kirche

Denn mit jedem Austritt schwindet ihre gesellschaftliche Relevanz. Lässt sich das Schulfach Religion halten, wenn immer weniger Menschen den Kirchen angehören? Wer außer ihnen vermittelt grundlegende Werte des Zusammenlebens, die unsere Gesellschaft gerade jetzt braucht? Und nicht zuletzt: Bei stark sinkenden Kirchensteuereinnahmen lassen sich wichtige Angebote in Pfarreien und bei der Caritas nicht mehr finanzieren.

Unter den Austritten leiden die Aktiven an der Basis, ohne etwas dafür zu können. Die Gemeinschaft der Gläubigen schrumpft, weil die Leitungsebene in den Bis­tümern und in Rom nicht oder viel zu langsam handelt.

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