Letzter Segen ehrenamtlich

Ein Laie leitet katholische Beerdigungen

Etwa 30.000 Katholiken leben in der Pfarrei St. Lamberti Gladbeck im Bistum Essen. Im Pfarrei-Entwicklungsplan rechnen Verantwortliche für die nahe Zukunft mit nur zwei Priesten. Schon jetzt übernehmen Ehrenamtliche Aufgaben, die früher Priestern vorbehalten waren.

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Die Friedhofskapelle in Gladbeck-Rentfort ist zu klein für die Trauergemeinde an diesem Herbstmorgen. Wer keinen Sitzplatz bekommen hat, steht draußen in der Kälte vor der geöffneten Tür. Eingegraben in dicke dunkle Mäntel lauschen die Menschen dem „Ave Maria“ aus dem CD-Player. In den Gesang von Rudolf Schock mischt sich das Schluchzen der Angehörigen. Trauer und Schmerz stehen in den Gesichtern der versammelten Gemeinde. Tränen fließen. „Ich kann das noch nicht“, bricht es aus einer Frau heraus.

Als die Musik verklungen ist, wendet sich Ludger Weijers an die Gemeinde. In schwarzem Talar und weißem Rochett spricht er den Angehörigen Trost zu, dass im christlichen Glauben der Tod nicht das Ende ist. Souverän führt er durch den Gottesdienst. Liest die Lesung, erinnert in der Ansprache an das Leben des Verstorbenen, erbittet den Segen für die Hinterbliebenen. Doch Ludger Weijers ist kein Priester. Er ist ehrenamtlicher Beerdigungsleiter.

 

Keine Berührungsängste

 

Im September 2014 startete im Bistum Essen ein Kurs für Ehrenamtliche im Beerdigungsdienst. Ludger Weijers war einer von sechs Teilnehmern. Über mehrere Schulungseinheiten bekamen die Ehrenamtlichen theoretisches Hintergrundwissen rund um die katholische Beerdigung beigebracht. Aber auch praktisch wurden die Frauen und Männer auf ihr Ehrenamt vorbereitet: „Wir hatten jeweils einen Priester als Mentor, den wir bei Beerdigungen und zu Trauergesprächen begleitet haben“, erklärt Weijers, der auch Vorsitzender des Gemeinderats ist. Das Trauergespräch wurde zudem in den Kursen mit den anderen Teilnehmern intensiv geübt.

Berührungsängste vor Tod und Trauer hat Ludger Weijers nicht. Viele Jahre hat er in der Krankenpflege gearbeitet. Zuletzt war er 20 Jahre lang Pflegeleiter in Duisburg. Aber nicht nur da hat er mit dem Tod umzugehen gelernt. „Ich habe im persönlichen Umfeld schon zahlreiche Trauererfahrungen machen müssen“, erzählt Weijers. Großeltern, Eltern und Geschwister sind gestorben, aber auch seine Frau und sein ältester Sohn. „Ich kann heute immer noch um den Tod meiner Frau weinen“, erzählt er. Die Trauerbegleitung von fremden Menschen sei aber etwas völlig anderes. „Man kann nicht immer mitsterben, man kann nicht immer mitleiden“, das habe er bereits in der Zeit als Krankenpfleger gelernt.

 

Uneingeschränkt Zeit für Trauergespräche

 

Die Begleitung der Angehörigen liegt Ludger Weijers besonders am Herzen. „Für die Trauergespräche nehme ich mir uneingeschränkt Zeit“, sagt der Rentner. „Den Luxus kann ich mir erlauben.“ Darin sieht er einen großen Vorteil von Ehrenamtlichen gegenüber Hauptamtlichen im Beerdigungsdienst. „Ein Priester geht zu den Angehörigen ins Trauergespräch und hat womöglich anschließend noch die Pfarrgemeinderatssitzung oder andere Termine. Der hat zeitlich gar nicht die Möglichkeiten, die ich als Rentner habe.“

Ludger Weijers.
Ludger Weijers. | Foto: Martin Schmitz

Dennoch wird der Zeitvorteil, den Weijers gegenüber den Hauptamtlichen in der Pfarrei St. Lamberti hat, nicht überstrapaziert. Einmal im Monat wird ein Dienstplan erstellt. Dort wird auch festgelegt, wer wann – im Fall des Falles – den Beerdigungsdienst übernimmt. Weijers wird dabei gleichberechtigt mit den Hauptamtlichen der Pfarrei eingeteilt. Auch die Gemeindeassistenten und Pastoralreferenten leiten Beerdigungen in Gladbeck. „Nur wenn ein Requiem gewünscht ist, dann übernimmt das natürlich einer der Priester“, erklärt Ludger Weijers.

 

Zwei-Klassen-Beerdigungen

 

Bedenken über Zwei-Klassen-Beerdigungen begleiten häufig die Diskussion, wenn es um Ehrenamtliche im Beerdigungsdienst geht. Durch den im Vorfeld erstellten Dienstplan beugt die Pfarrei St. Lamberti in Gladbeck diesen Vorwürfen vor. Doch auch Ludger Weijers wurde schon einmal mit diesen Gedanken konfrontiert. „Ich kam einmal zu einem Trauergespräch, und nachdem ich mich vorgestellt hatte, sagte die Schwiegermutter zu ihrem Schwiegersohn: ›Siehste, weil du nicht in die Kirche gehst, kommt bei uns nicht der Pastor!‹“

Weijers habe ihr daraufhin die Situation erklärt: Dass die Beerdigung ein Werk der Barmherzigkeit ist, zu dem jeder Christ durch die Taufe berufen ist. Dass Beerdigungen in den Anfängen des Christentums ausschließlich von Laien durchgeführt wurden. „Ich durfte dann das Trauergespräch führen. Am Ende hat sich die Frau mehrfach entschuldigt und für das gute Gespräch bedankt“, beendet Weijers die Erzählung mit einem Lächeln.

 

„Ich war nicht so wahnsinnig nervös“

 

Ohnehin hat der Rentner den Eindruck, dass ihm die Angehörigen ganz anders die sprichwörtlichen Türen öffnen, „eben weil ich kein Priester bin“. Wenn die Gesprächspartner anfangs auch zögerlich erzählten, sei bereits nach kurzer Zeit das Eis gebrochen. „Dann kommen sie manchmal gar nicht mehr aus dem Erzählen heraus“, meint Ludger Weijers.

Im Blick auf die erste Beerdigungsfeier, die er geleitet hat, sagt der Rentner: „Ich war nicht so wahnsinnig nervös.“ Die liturgische Kleidung gibt ihm Sicherheit. „Ich bin als Messdiener in Talar und Rochett großgeworden“, scherzt Weijers. Daher nutzt er die eigens für die Beerdigungsleiter im Bistum Essen angefertigte Albe auch nur ungern.

 

Beerdigung mit Helene Fischer Musik

 

Wie viele Beerdigungen Luder Weijers schon geleitet hat, weiß er nicht. Aber er merkt, dass er sicherer geworden ist im Umgang mit der Liturgie. „Vieles ist standardmäßig festgelegt. Die Texte stehen in unserem Manuale“, erklärt Weijers. In dem Buch gibt es auch Variationen, beispielsweise für verstorbene Mütter oder Väter.

Doch manchmal sind auch Sonderwünsche gefragt. Erst vor wenigen Wochen hat er eine Frau beerdigt, deren Familie sich ein Helene-Fischer-Lied wünschte. „Das in einen vernünftigen Rahmen zu bringen, dass es nicht die Liturgie sprengt – da hilft einem dann die Routine“, erklärt Weijers.

Der Ehrenamtliche und seine Arbeit kommen in Gladbeck gut an. Auch an diesem Herbstmorgen. Der Sarg wird ins Grab hinabgelassen, Ludger Weijers besprengt ihn mit Weihwasser. Während die Frau und die Kinder des Verstobenen sich weinend in den Armen liegen, spricht Weijers mit der Gemeinde das „Vater unser“ und ein „Gegrüßet seist du, Maria“. Ludger Weijers nimmt sich Zeit. Verweilt am Grab, während die Angehörigen nach und nach mit weißen Rosen Abschied nehmen von dem Verstorbenen. Bevor der Beerdigungsleiter sich zurückzieht, geht er noch einmal zu der Familie, um sich zu verabschieden. Da verschwindet für kurze Zeit der Schmerz aus den Gesichtern der Ehefrau und der Kinder – und macht Platz für einen Ausdruck tiefer Dankbarkeit.

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