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Don León Velez Granada leitet die italienische Mission am Niederrhein. Eine Aufgabe, die er mit der Energie und Ausstrahlung eines Italieners erfüllt. So ganz stimmt das aber nicht. Er hat ein Geheimnis.
Er empfängt seine Gäste gern in der Mittagszeit. Dann hat er das Essen schon gekocht. Den Tisch in seinem Büro, in dem er auch Gottesdienste feiert, hat er in die Mitte geräumt. Der Wein steht auf der weißen Tischdecke, italienische Musik wird von seinem Handy über einen kleinen Lautsprecher abgespielt. Zum Rotwein serviert er Antipasti – Kräcker, für die er das Pesto selbst gemacht hat, aus Algen, Feigen und Kurkuma. Danach gibt es mediterranen Salat, Tortellini in Tomatensauce, Früchte, Parmesankäse und einen Espresso.
Kurz: Italienischer geht es kaum. Warum auch? Don León Velez Granada ist Leiter der italienischen Mission am Niederrhein. Alle Büroräume strotzen nur so von Erinnerungen an das südeuropäische Land. In den Zimmern hängen Foto-Tapeten mit dem Kolosseum, Sardinien oder Trevi. Den einzelnen Räumen hat er Namen gegeben. Sein Arbeitszimmer heißt St. Maria Maggiore. „Weil es genauso wie die Kirche in Rom ein geistlicher Ort ist“, sagt Don León. Die Vorratskammer hat er „Apulien“ getauft. „Weil die Region mit ihrer Landwirtschaft auch die Kornkammer Italiens genannt wird.“ Und auf dem Türrahmen des Büros seiner Sekretärin steht „Sardinien“. „Weil ihre Eltern von dort kommen.“
Der Nachtisch verrät den Kolumbianer
Beim süßen Nachtisch, den er zum Espresso serviert, aber verrät Don León sich. „Aus Feigensirup, sehr süß, so wie wir Kolumbianer es lieben.“ Wie bitte? „Erwischt.“ Der 61-Jährige grinst. „Ist schon komisch, oder?“ Und dann beginnt er seine Geschichte zu erzählen. Von seiner Kindheit in den kolumbischen Bergen, von seiner Priesterausbildung in der Millionenstadt Medellín, von seiner Studienzeit in Spanien und Italien, sowie von seinen vielen Aufenthalten in Deutschland. Dieser Weg ließ ihn 2015 in Moers landen, wo er für die etwa 15.000 Katholiken mit italienischen Wurzeln zuständig ist.
So viele Einwohner hatte das Dorf in 2000 Metern Höhe nicht, in dem er geboren wurde. Seine Mutter hieß Maria, sein Vater war Schreiner. Da lag es nahe, dass er den Spitznamen „kleiner Jesus“ bekam. Vielleicht hätte er die Werkstatt seines Vaters übernommen, wenn er nicht an einer Holzstauballergie gelitten hätte. Ein anderer Beruf aber lag ebenso nahe: „Seelsorger“, sagt Don León. „Unsere Familie war sehr fromm.“ Jeden Morgen ging es schon um vier Uhr zur heiligen Messe. Und da war ein Priester, der ihn beeindruckte. „Der das Geheimnis unseres Glaubens auch uns Jugendlichen lebendig vermitteln konnte.“
Rosenkranz-Verkauf für die Studien-Finanzierung
Das Theologiestudium wurde zu einer Perspektive. Eine teure, davon erfuhr er früh. Also arbeitete er schon als Schüler und legte Geld zur Seite. Er half in der Werkstatt seines Vaters, bastelte und verkaufte Rosenkränze oder war auf Baustellen im Einsatz. Das alles tat er auch noch während seiner Studienzeit in Kolumbien. An deren Ende ein besonderer Höhepunkt wartete: „Ich wurde von Papst Johannes Paul II. zum Priester geweiht, der 1986 auf einer Südamerika-Reise war.“
Ein Foto davon hat er noch. Schnell finden aber kann er es nicht. Vielleicht weil er noch so viele Bilder von anderen spannenden Stationen und herausragenden Erinnerungen gesammelt hat. Denn Don León hatte damals noch viele Ideen für seine Zukunft. Das Medizinstudium war eine davon. „Ich wollte als Arzt in die Mission.“ Nah bei den Menschen, direkt in ihrem Alltag, an der Basis – so beschreibt er seine damaligen Vorstellungen.
Drei Tage Dienst im Beichtstuhl für eine Million Lire
Sein Bischof aber schickte ihn zum Philosophie-Studium nach Spanien und Italien. Nebenbei absolvierte er eine journalistische Ausbildung und schrieb für kirchliche Medien in Rom. „Das tat ich auch, um Geld zu verdienen.“ Er war zwar Priester, aber hatte kein Einkommen als Pfarrer. Also half er in verschiedenen Pfarrgemeinden aus. Meist an Wochenenden, wenn er stundenlang im Beichtstuhl saß. „Die Gläubigen gaben Spenden – von Freitag bis Sonntag konnte ich auf eine Million Lire kommen.“ Etwa 200 Euro wären das heute.
Und dann fand er einen besonderen Job, der gleichzeitig zu einem Wegbereiter für später werden sollte. Don León ging Mitte der 1990er-Jahre in ein Mercedes-Werk nach Deutschland. „Ich wollte immer auch Arbeiter sein, nicht nur Priester.“ So fand er am Fließband in Stuttgart seinen Platz. Eben Hand in Hand mit anderen Menschen. Seine Aufgabe war es, die Federn der Räder einzubauen. „Für das Auf und Ab des Lebens“, sagt er. Er grinst bei diesen Erinnerungen. „Es war anstrengend, aber schön.“
"Wann beginnt die 17-Uhr-Messe?"
Deutschland „wurde mir lieb“, so formuliert er es. „Ich war beeindruckt von den deutschen Tugenden.“ Disziplin, Organisation, Technikfortschritt …, zählt er auf. Und vor allem die Pünktlichkeit. „In Italien riefen die Menschen den Priester manchmal an, um zu fragen, wann der 17-Uhr-Gottesdienst beginne – in Deutschland dagegen fand er tatsächlich um 17 Uhr statt.“
Es sollte aber noch viele Jahre dauern, bis diese Liebe ihn zu seiner Aufgabe als Leiter der italienischen Mission am Niederrhein führte. Vorher wurde er dann doch Pfarrer in Italien. Und das an gleich 15 Orten. „Natürlich nacheinander.“ Er grinst wieder. „Ich war nie lange an einem Ort“, sagt Don León. „Wenn ich irgendwohin kam, wollte ich verändern, ich wollte Missionar sein.“ Die Menschen ließen ihn nicht gerne weiterziehen. „Ich ging aber immer mit tollen Empfehlungsschreiben.“ Vor den Bischöfen der Diözesen, in die er wechselte, spielte er mit offenen Karten. „Ich bin hier, weil ich helfen will“, sagte er immer. „Aber nicht länger als fünf Jahre.“
Der Papst mit der Umhängetasche
Insgesamt wurden 25 Jahren in Italien daraus. „Das reichte dann schließlich aus, um italienisch genug für diesen Job hier zu sein“, sagt Don León. Und so muss der Besucher in seinem Büro schon genau hinschauen, um ein Indiz für seine Herkunft zu finden. Zwischen Heiligenfiguren, Rosenkränzen und Kreuzen hängt ein Rahmen an der Wand. Mit deutlichen Hinweisen auf sein Geburtsland: Ein Foto von Papst Johannes Paul II. mit einer typisch kolumbischen Umhängetasche, ein Foto der einzigen Heiligen aus Kolumbien, Schwester Laura, und eine Karte seiner Heimatdiözese. „Da hängt meine kolumbianische Identität.“
Noch etwas zeugt davon: Ein kleiner Tisch in seinem Büro, an den er sich meistens in der Mittagspause setzt. Bunte Perlen, Lederbänder und Holzfiguren sind dort in kleinen Kästen sortiert. Don León bastelt immer noch gern, so wie damals als Junge in den kolumbianischen Bergen. Heute verkauft er die Armbänder, Rosenkränze und Schlüsselanhänger nicht. Er verschenkt sie und sammelt Spenden für soziale Projekte in Kolumbien.
Große Gefühle, großer Glaube
Dass alles andere in seinem Haus sehr italienisch ist, sieht Don León nicht als Verleumdung seiner lateinamerikanischen Wurzeln. „Nein, das tut nicht weh“, sagt er. „Es gibt doch so viele Gemeinsamkeiten in den Kulturen.“ Nicht nur das Essen zählt er dazu, auch die Mentalität und das religiöse Leben. Da sieht er eher einen Unterschied zu Deutschland. Sein Eckhaus in Moers nennt er auch „italienische Ecke“. Weil es bei aller Offenheit auch Symbol für die selbstbewusste Identität seiner Gemeinde ist. „Es tut den Menschen mit italienischen Wurzeln gut, ihren Glauben in der Tradition ihrer Heimat zu leben.“
Nicht allein die Sprache macht das für ihn aus. „Glauben hat viel mit Mentalität zu tun.“ Der italienische sei oft nicht so verkopft wie die deutsche. „Bei einem Deutschen merkst du manchmal gar nicht, dass er Katholik ist – ein Italiener nimmt die religiösen Gefühle aus dem Gottesdienst offener mit ins Leben.“ Don León sagt das mit einer Überzeugung, die keinen Zweifel lässt, dass diese Wesensart auch die seine ist. Auch wenn er in Wirklichkeit gar kein Italiener ist. Aber das merken die meisten Besucher ohnehin erst beim Nachtisch.