„Wohnen 60 plus“ in den York-Höfen

Elf neue Apartments für ehemalige Wohnungslose in Münster

200 neue Wohnungen sind in den York-Höfen in Münster entstanden, viele sind noch nicht bezogen. In elf Apartments leben jetzt ehemals obdachlose Senioren – Tür an Tür mit anderen Mietern. Mieter und Organisatoren berichten über ihre Eindrücke.

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Noch riecht es ein wenig nach Neubau und frischer Wandfarbe. Der lange bilderlose Eingangsflur wirkt kühl. Doch in der Gemeinschaftsküche geht es zu wie im Taubenschlag. Menschen treffen ein, grüßen kurz, verschwinden wieder. Um den großen Esstisch sitzen zwei Männer beim Kaffee.

„Wir leben noch ein bisschen wie auf der Baustelle“, räumt Ludgera Brinker ein. Die Hauswirtschafterin bereitet gerade Rinder-Frikadellen, Rosenkohl und Champignons fürs Mittagessen zu. „Im Büro fehlen noch der Schreibtisch und das Telefon“, sagt sie. „Doch die elf Mieterinnen und Mieter sind schon eingezogen.“ Die ersten im Dezember, der Rest im Januar.

 

Glück nach 18 Jahren ohne Wohnung 

 

Kaththlingam Vinayagamoorthy zeigt sein neues Reich: ein einfaches Bett, die schmale Küchenzeile, das rollstuhltaugliche Bad. Süß duftet es nach Räucherstäbchen, die vor dem winzigen Hindu-Altar brennen. 18 Jahre hat der aus Sri Lanka stammende Mann im Zwei- oder Dreibettzimmer im Haus der Wohnungslosen (HdW) übernachtet. Abends arbeitete er als Spüler in münsterschen Gaststätten. Jetzt, mit 67 Jahren, hat er zum ersten Mal ein eigenes Apartment. „Ich habe Glück gehabt“, sagt er. 

Sein Landsmann Sinnavannagan Kandasamy hat sich seine Einraumwohnung ebenfalls wohnlich eingerichtet. Er lebt seit 1992 in der Bundesrepublik,  spricht wenig Deutsch und hat die letzten vier Jahre Unterschlupf im HdW gefunden. Jetzt besitzt er neben einem Bett und Stühlen sogar einen Fernsehapparat. 

 

Sechs Euro Kaltmiete

 

Auf dem ehemaligen TÜV-Gelände in Münster hat die kommunale „Wohn- und Stadtbau“ zwischen Yorkring und Steinfurter Straße fast 200 neue Wohnungen und Apartments errichtet. York-Höfe nennt sich das Quartier mit bezahlbarem Wohnraum für Familien und Alleinstehende. Elf Apartments davon hat der „Förderverein für Wohnhilfen“ als Gemeinschafts-Projekt angemietet. Er vermietet sie an wohnungslose Seniorinnen und Senioren weiter. „Wohnen 60 plus“ nennt sich das Wohn- und Betreuungs-Projekt. Die Apartments sind zwischen 42 und 48 Quadratmeter groß. 6,05 Euro Kaltmiete müssen die Mieter bezahlen – plus Nebenkosten.  

„Damit setzt der 1991 gegründete Verein ein weiteres Mal seine Ursprungsidee fort“, so der Vorsitzende Bernhard Mülbrecht:  „normalen Wohnraum für Wohnungslose zu schaffen.“ Vorbild sei das Konzept der profanierten Dreifaltigkeitskirche an der Grevener Straße in Münster, das ebenfalls vom Verein initiiert wurde. Dort leben seit 2013 ehemals wohnungslose Senioren mit anderen Mietern Tür an Tür.

 

Gutes Verhältnis zu den anderen Mietern 

 

In den York-Höfen sind die elf Apartments in eine große Gruppen-Wohnung integriert – mit  eigenem Zugang und Aufzug in die erste Etage, einem Raum für Waschmaschine und Trockner und der Gemeinschaftsküche. Die restlichen Mieter des Hauses haben einen separaten Eingang und leben in den Etagen darüber.

Vorurteile gebe es nicht, sagt Mülbrecht. „Wir haben bisher nur positive Rückmeldungen bekommen.“ Einmal in der Woche laden die Bewohner ihre Nachbarn ein, um den Kontakt zu pflegen. Dann gebe es Kaffee und Kuchen, auch ein gemeinsamer Zoo-Besuch sei möglich.

 

Behindertengerecht und rollstuhltauglich

 

„Unsere Mieter müssen bestimmte Voraussetzungen mitbringen“, erklärt Mülbrecht. „Sie dürfen nicht mehr dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und sollen freiwillig hier sein.“ Es höre sich zwar etwas extrem an: „Aber je länger jemand keine Wohnung hatte und je schwieriger seine Lage ist, umso größer die Chance, hier einzuziehen.“ 

Dazu gehörten neben dem Rentenalter auch gesundheitliche Einschränkungen oder Pflegebedürftigkeit. Sieben der elf Apartments sind behindertengerecht, vier rollstuhltauglich.

 

Die Stadt Münster unterstützt das Projekt

 

Die Pflege- und Gesundheitsleistungen übernehmen die Kranken- und Pflegekassen, erklärt Mülbrecht. Die halbe Stelle der Sozialarbeiterin sei durch einen Zuschuss des Stadtrats gewährleistet. Auch bei der Betreuungspauschale erhofft sich Mülbrecht Unterstützung durch die Stadt Münster.

Er selbst hat in den letzten Monaten nahezu halbtags gearbeitet – ehrenamtlich.  Mülbrecht ist 67 Jahre alt und seit Jahrzehnten mit dem Thema Wohnungslosigkeit in Münster beschäftigt. Viele Jahre leitete er das HdW am Bahnhof, das von der katholischen ­Bischof-Hermann-Stiftung getragen wird.

 

Begleitung durch viele Helfer

 

In der großen Gemeinschaftsküche kommen alle zusammen, um sich auszutauschen oder Probleme zu besprechen. Die 24-jährige Insa Brüggemann unterstützt die Mieter bei ihrem Papierkram. Zurzeit ist die Sozialarbeiterin vor allem mit Adressenänderungen beschäftigt. „Oder ich begleite die Mieter zum Arzt. Das sind alles Menschen mit Lebenserfahrungen und langen Lebensgeschichten“, sagt sie. Das beeindrucke sie am meisten.

Neben der Sozialarbeiterin und zwei Wirtschafterinnen, arbeiten studentische Alltagsbegleiter im Projekt mit. „Sie sind täglich zwischen 16 und 20 Uhr für die Mieter ansprechbar“, erläutert Mülbrecht. Von der Gemeinschaftsküche  geht es durch eine Glastür auf die Außenterrasse. „Dort wollen die Mieter im Frühjahr Spalierobst in Töpfen und Tomaten in Kübeln ziehen“, sagt Ludgera Brüggemann. Von der Terrasse kann man auf den Kindergarten des Quartiers blicken.

 

Das erste Mal sesshaft

 

Brüggemann hat bereits zwei Jahre im Wohnprojekt der ehemaligen Dreifaltigkeitskirche mitgearbeitet. Für sie ist die Arbeit in den York-Höfen ein Neuanfang. „Die Gruppe wächst gerade zusammen, wir müssen den Ton aber noch finden“, beschreibt sie die Phase. „Wir bieten den Menschen an, dass erste Mal sesshaft  zu werden.“ Sie hofft, dass jetzt bei vielen Ruhe einkehren kann.

„Gemeinsam essen, Besorgungen machen, Gespräche – bei uns läuft es wie in einer großen Familie.“ Langsam spüre sie, wie die Mieter Vertrauen fassten. Ihre Aufgaben sieht sie als Seelsorgerin. „Ich bin Krankenschwester, habe Theologie studiert und bin Diakonin ohne Weihe“, sagt sie. „Hier ist der Ort, wo Kirche hingehört.“ 

 

„Jesus ist anwesend“

 

Akif Özdemir ist überglücklich über sein neues Zuhause. „Das ist wie Wasser und Grün in der Wüste“, sagt der 66-jährige Kurde mit deutschem Pass. „Jetzt kann ich mein Leben neu aufbauen.“ Er habe in viele Religionen hineingeschaut, er fühle sich jedoch mehr als Philosoph denn Angehöriger einer Religion. „In der Kirche habe ich viel über Jesus gehört, aber ihn nicht gesehen. Hier ist er anwesend.“

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