Zwischenbilanz des Projekts „Valerie und der Priester“

Elfriede sei mit dir?

Haben sie die Zeit des Kennenlernens immer noch nicht hinter sich gelassen? Zwar konnte Valerie Schönian schon nach wenigen Wochen sagen, dass sie in Münster-Roxel angekommen ist. Bei ihren vielen Besuchen grüßten sie die Menschen aus dem Stadtteil bereits mit Namen.

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Haben sie die Zeit des Kennenlernens immer noch nicht hinter sich gelassen? Zwar konnte Valerie Schönian schon nach wenigen Wochen sagen, dass sie in Münster-Roxel angekommen ist. Bei ihren vielen Besuchen grüßten sie die Menschen aus dem Stadtteil bereits mit Namen. „Ich komme hier an und es ist gar nicht seltsam“, schrieb die Berlinerin in ihren Aufzeichnungen.  Die gemeinsamen Tage mit Kaplan Franziskus von Boeselager zeigen aber: Das Bekannte reicht immer nur bis zum nächsten Gespräch am Mittagstisch, vor der Kirche oder auf der Autofahrt.

Schönian bleibt seit dem Projektbeginn im Mai wunderbar ahnungslos. Nicht unbedarft, platt oder gar naiv. Die Journalistin lässt sich vielmehr immer wieder überraschen und überrumpeln, staunt als „Kirchenferne ohne religiöse Ausrichtung“ über die Ereignisse. So beschreibt sie sich selbst. Und als diese erzählt sie von ihren Erlebnissen.

Etwa die von den Gottesdiensten, die ihr am Anfang völlig fremd waren. Und für die ihr bis heute die richtigen Worte fehlen: „Alle schauen auf Franziskus, der gerade von der Seite auf das Podest schreitet. Er trägt ein weißes Gewand, das bis zum Boden reicht, darüber einen goldenen Schal. Gleich entzündet er den Weihrauch, es riecht nach siebter Klasse, Schulgottesdienst. Da war ich das letzte Mal bei einer Heiligen Messe dabei.“

 

Trotz und Begeisterung

 

Und so kommt es, wie es kommen muss, wenn die zwei Welten aufeinandertreffen, zwischen denen sie sich gerade bewegt: Eine Dame reicht ihr zum Friedensgruß die Hand. „Elfriede“, versteht die Journalistin. Ihre Antworte: „Valerie Schönian.“ Bei dieser Verwirrung bleibt es nicht. Im Anschluss an den Gottesdienst hakt sie nach, will vom Kaplan wissen, was das war. Sie erfährt, dass es nicht „Elfriede“ war, sondern der Gruß „Der Friede sei mit dir“.


Mittagspause mit Gesprächsbedarf: Schönian mit Kaplan Boeselager auf dem Balkon des Pfarrhauses von St. Pantaleon.

Ihre Reaktionen sind spannend. Sie reichen von trotziger Ablehnung über wohltuende Erinnerungen bis hin zur Begeisterung. Wenn bei der Eucharistiefeier alle nach vorn gehen, bleibt sie sitzen. „Wenn sie mir die Kommunion nicht geben wollen, dann will ich auch den Segen vom Priester nicht.“ Sie will keine halben Sachen. Sie lebt dann lieber mit dem Stempel: „Die gehört nicht dazu!“

Bei den Liedern in den Gottesdiensten überkommen sie auch wohlige Gefühle. „Laudato si“ würde sie gern mitsingen, schreibt sie in einem Artikel. Weil es Erinnerungen an Kinderzeiten weckt. „Aber das käme mir falsch vor.“ Sie bleibt die Beobachterin, die vor 25 Jahren in Magdeburg geboren wurde und nach der Konfirmation ohne Kirche durchs Leben ging. Der Friedensgruß, den sie seit dem besagten Erlebnis „Elfriede-Moment“ nennt, ist hingegen zu ihrem persönlichen Highlight der Gottesdienste geworden. „Wenn die Menschen sich ein Zeichen des Friedens geben, auch mir die Hände schütteln und dabei so schauen, als ob sie es ernst meinen.“

 

Unerwartete Aufmerksamkeit

 

Es bleibt bei dieser Bandbreite aus Unverständnis, Trotz und Bewunderung. Auch wenn sich ihr viele Dinge durch die Besuche in Roxel immer weiter erschließen. Die Gespräche darüber mit Kaplan von Boeselager stehen dabei im Mittelpunkt. Das geschieht mitten im Alltag des Priesters, den sie vom Morgengebet bis zum Kino-Abend mitgeht. Auch beim Weltjugendtag in Krakau und bei Priesterweihen in Köln und Altötting waren sie gemeinsam.

Schönian erlebt dabei einen jungen Geistlichen, der überzeugt ist, der feste Standpunkte hat, aus seinem Glauben handelt. Zwischen Gottesdiensten, Schreibtisch, Messdienerstunde und Trauergespräch gibt es viele Momenten, die sie nachdenklich machen oder beeindrucken. Etwa seine Aufmerksamkeit, wenn sie am Morgen aus ihrem Hotel kommt und ihn bereits bei der Schreibtischarbeit sieht. „Er dreht sich um, schaut mich an und fragt mich, wie es mir geht – auch wenn die Mail, die er schreibt, erst halbfertig ist.“

 

Provozieren

 

Wer wie Schönian von weit entfernt zur Kirche kommt, der hat natürlich auch die plakativen Themen im Notizblock: „Sexualität, Frauen in der Kirche, Scheidung...“ Am Anfang scheute sie sich noch, sie beim gemeinsamen Essen auf den Tisch zu bringen. Nach und nach aber ist sie offensiver geworden. Zwischen Reis und Hähnchen konfrontiert sie ihn dann mit den schwindenden Priester- und Gläubigen-Zahlen. „Ein paar Ideen hätte ich, wie es wieder mehr werden“, sagt sie dann. Sie gibt zu, dass sie den Priester damit ein wenig provozieren möchte.

„Viele wären weniger abgeschreckt, würde sich die Kirche in diesen Punkten liberalisieren.“ Seine Antwort darauf: „Das fände ich fatal – man muss ein Ideal vor Augen haben, auch wenn es im Einzelfall immer Abwägungen gibt.“ Das Streitgespräch dauert bis zum Nachtisch. Es geht um Lebensweisen, um Ausgrenzung, um Fehler, um Sünde. Dabei wird es auch mal lauter. „Predigtmodus“, nennt Schönian das. Auch sie wird dann herausfordernder.

Die Gespräch enden oft so: „Dazu gibt es noch viel zu sagen, dazu haben wir bestimmt noch die Gelegenheit.“ Noch ein halbes Jahr, bis das Projekt endet. Ob das Kennenlernen dann abgeschlossen ist, bleibt die Frage. Vielleicht wird das gar nicht gelingen. Der Weg vom Miterleben bis zum Verstehen oder gar zum Verinnerlichen ist für sie vernehmbar weit. Schönians Besuche in Münster-Roxel zeigen: Antworten bringen neue Fragen. Sie wird sie weiter stellen.

 

Das Projekt

 

„Valerie und der Priester“ ist ein Projekt vom Zentrum für Berufungspastoral (ZFB) der Deutschen Bischofskonferenz (DBK). Eine junge Frau, die mit der Kirche bislang nichts zu tun hatte, erlebt das Jahr eines Priesters. Priesterliches Leben soll dargestellt werden, möglichst unbefangen kommuniziert. Der Blog im Internet mit Texten, Videos und Fotos spricht vor allem junge Menschen an. Die Zielgruppe ist vielschichtig: Menschen aus der Kirche soll ein neuer Blick ermöglicht werden, anderen ein erster Blick. Das Projekt endet im Mai 2017.

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