Klaus Nelißen zum abgesagten RTL-Event „Passion“

Erfolgreiche Verkündigung braucht mehr Unterhaltung

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Kann ein RTL-Unterhaltungsformat der Verkündigung dienen? Ja, es kann, ist sich Journalist und Pastoralreferent Klaus Nelißen sicher, und kommentiert die Absage des TV-Events „Passion“.

Ich weiß, der Satz klingt komisch. Aber: Die „Passion“ darf nicht sterben. Denn bei der „Passion“ gehört das Sterben schließlich dazu. Jedoch geht es mir hier um die TV-Passion – Sie erinnern sich?

Als in diesem Frühjahr RTL Mut und Mittel aufbrachte, das niederländische TV-Projekt zu realisieren, nach einer bangen Zwangspause durch Corona, da jubelte ich innerlich.

Ich kenne das Format aus den Niederlanden schon länger. Und als Rundfunkbeauftragter beim WDR sage ich – auch ganz selbstkritisch gegenüber „meinen Formaten“: Die TV-Passion ist das einzige Format mit einem nachweisbaren „Gamechanger“-Effekt für die Verkündigung.

Verkündigung im Primetime-Format

„Vater“ der Passion ist der TV-Macher Jacco Doornbos. Ein frommer Mann, aber kein televisionärer Betbruder, sondern: Doornbos kann Unterhaltung. Schon Cicero wusste, dass in der Vermittlung – von welchem Inhalt auch immer – das „Delectare“, das „Köstliche“, das Unterhaltsame, viel wichtiger ist als der Dozententon oder pure emotionale Agitation.

Die „Passion“ ist eine Unterhaltungssendung. Und zugleich Verkündigung. In den Niederlanden hatte Doornbos sich schon längst einen quotenträchtigen Namen gemacht, zum Beispiel durch den „Nationalen Bibeltest“, als er in einer Umfrage erfuhr: Weniger als ein Viertel der Niederländer kennt noch die Ostergeschichte. Da wurde Doornbos kreativ und ambitioniert und erfand ein TV-Format, das große Primetime-Unterhaltung in den Emotionen von popkulturellen Songs verbindet mit der uralten Geschichte vom Leiden und Sterben Jesu. In der TV-Passion hat das Leben Platz: von großer Freundes- und Mutterliebe bis zum Verrat und Todestrauer.

TV-Format als „Gamechanger“

Der Autor
Klaus Nelißen ist stellvertretender Rundfunkbeauftragter der NRW-Bistümer beim WDR. Darüber hinaus wirkte der Pastoralreferent des Bistums Münster und ausgebildete Journalist bis Frühjahr 2019 für die katholischen ARD-Beauftragten bei „funk“, dem Online-Medienangebot für Jugendliche und junge Erwachsene.

Was ist der messbare Verkündigungseffekt? Nach der Premiere in den Niederlanden 2011 entwickelte sich das Format zum quotenträchtigsten TV-Format überhaupt. Heute kennt wieder über die Hälfte der Niederländer die Ostergeschichte, wie Umfragen bestätigen. Das nennt man einen „Gamechanger“ in Zeiten, da das Christliche verdunstet. Auch hierzulande.

Die deutsche TV-Premiere habe ich live in Essen verfolgt. Und ich gestehe, oft zuckte ich zusammen:  Allein Reiner Calmund mit der Currywurst war weder biblisch noch koscher, sondern schlicht deplatziert. Aber: Als ich abends heim kam in das Haus meiner Mutter, die wenige Wochen zuvor ihren Mann verloren hatte, und als sie sagte „Du, Klaus, ich habe ja diese Messe (!) bei RTL gesehen, bei der du warst. Das war so schön! Bei ‚Hinterm Horizont geht’s weiter‘, da habe ich ein bisschen geweint“ – da wusste ich: Das Format ist eben kein Format für einen Theologen wie mich, sondern hat sogar die Chance, zu einer sonst militanten Privatfernsehen-Verweigerin wie meiner Mutter durchzudringen. Das ist Verkündigung mit Zielgruppenorientierung.

Dass RTL aus Gründen nun kurzfristig die Ausstrahlung für 2023 abgesagt hat, das sollte alle wach machen, denen es um die Verkündigung in dieser Kirchenkrise geht. Es sollten Wege gefunden werden, wie dieses Format sich in Deutschland etablieren kann. Und so hoffe ich sehr auf eine „Auferstehung“ in 2024.

In unseren Gast-Kommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

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