Interview mit dem Autor und Kommunikationsberater über Egoismus in Gesellschaft und Kirche

Erik Flügge: So werden unsere Gemeinden weniger egoistisch

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Mit seinem Buch "Jargon der Betroffenheit - Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt", hat er einen Bestseller gelandet. Heute kommt das neue Buch von Erik Flügge auf den Markt: "Egoismus - Wie wir dem Zwang entkommen, anderen zu schaden". Warum darin auch die Kirche vorkommt, sagt der Kommunikationsberater, "Zeit"-Kolumnist und Lehrbeauftragte für crossmediale Glaubenskommunikation im Interview mit "Kirche-und-Leben.de".

Herr Flügge, gerade haben wir noch gedacht, wir wären in der Corona-Krise so hilfsbereit gewesen und zusammengerückt – und jetzt kommen Sie mit einem Buch über Egoismus. Steht es so schlimm um uns?

Wir haben bis jetzt viel als gesamte Gesellschaft gegen Corona erreicht. Das war nur möglich, weil sehr viele Menschen sich eingeschränkt haben. Ein Grund dafür war aber auch die ganz persönliche Ungewissheit, wie man sich infizieren kann. Seit wir mehr über das Virus wissen, merken wir auch, dass Menschen, die nicht zur Risikogruppe gehören, lascher mit den Regeln umgehen. Offenbar ging es für viele Menschen nur um die Sorge um die eigene Gesundheit und nicht um die Sorge um die Gesundheit aller anderen. Diese Ich-Bezogenheit ist prägend geworden für unsere Gesellschaft von heute. Laut dem Institut Allensbach sagen 73 Prozent der Deutschen, der Egoismus nehme in unserer Gesellschaft immer mehr zu. Die Friedrich-Ebert-Stiftung fand gemeinsam mit der Uni Bonn heraus, dass 90,7 Prozent der Deutschen denken, dass der Egoismus mittlerweile mehr zählt als der Zusammenhalt. Das sind auffällig hohe Zahlen.

Ein Kapitel zielt auch auf die Kirche ab, die sich doch Nächstenliebe und Selbstlosigkeit auf die Fahnen geschrieben hat. Wie kommt die Kirche in Ihr Buch?

Buch-Tipp
Buch-CoverErik Flügge: Egoismus. Wie wir dem Zwang entkommen, anderen zu schaden. 112 Seiten. Verlag Dietz. 10 Euro.
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Mein ganzes Buch dreht sich um die Frage: Was können wir tun, damit der Egoismus des Einzelnen zum Vorteil aller anderen wirken kann? In diesem Zusammenhang finde ich sind auch die Kirchen ein spannender Akteur. Schließlich sind mehr als die Hälfte aller Deutschen Mitglied einer Kirche. Was mich seit vielen Jahren in der Kirche stört, ist, wieviel sich mittlerweile um das Ich in der Gemeinde dreht. Wie geht es mir? Wie kann ich auf mich Acht geben? Was ist meine Berufung? - Fragen, die ständig in der Kirche gestellt werden. Dabei ist unser Auftrag ein anderer: „Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“. Ich glaube, dass die Kirchengemeinden stärker werden, wenn sie vor Ort selbst diakonisch wirken und das den Mittelpunkt der Gemeindearbeit bilden. Wenn man sich nicht um sich selbst dreht, sondern um das schwächere Gegenüber. Denn einer Gemeinschaft, die einen Auftrag erfüllt, der tritt man auch leichter bei. Denn es gibt immer was zu tun.

„Du sollst den Nächsten lieben wie dich selbst“, sagt die Bibel. Wo hört Selbstliebe auf, wo fängt Egoismus an?

Egoisten sind wir alle. Das ist eine natürliche Eigenschaft. Deshalb heißt das Bibelwort auch nicht „Du sollst den Nächsten lieben und nicht dich selbst“. Der Anspruch des Evangeliums an uns ist, dass wir im Streben nach unserem Glück immer auch das Glück des anderen bedingen wollen. Deshalb nochmal: Jede Gemeinde braucht ein diakonisches Projekt, das im Mittelpunkt des Gemeindelebens steht und an dem alle mitwirken. So wird die eigene Freude an der Gemeindearbeit zum Wohle aller anderen.

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