Gast-Kommentar von Schwester Katharina Kluitmann zu vermeintlich klaren Wahrheiten

Es gibt noch viel zu lernen - in Deutschland und in Rom

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In unsicheren und Umbruchszeiten haben einfache Antworten Hochkonjunktur: Was Gott will und wer er ist, was richtig für die Kirche ist und auch in der Politik - das ist angeblich alles klar. Schwester Katharina Kluitmann will stattdessen der Analogie-Lehre ein Denkmal setzen: Alles, was wir wissen und sagen können, ist immer mehr falsch als richtig. Gilt nicht nur für Gott, sagt sie.

Ein jahreszeitlich unpassender Einstieg: Bei einer Nikolausfeier sagt der „Nikolaus“ zu dem berühmten Dogmatiker Michael Schmaus († 1993): „Ich soll Ihnen aus dem Himmel herzliche Grüße von Gott sagen. Er dankt für Ihre Vorlesung über die Heiligste Dreifaltigkeit. Es waren Dinge dabei, die er auch noch nicht wusste.“

„Wisst ihr es so genau?“, denke ich oft. Bei Äußerungen von Kirchenoffiziellen, die mir zu genau wissen, was Gott denkt. So viel Vollmundiges „Gott will es so.“ Mir wird immer flau bei „Gott will es.“ Das sagte man in so vielen Kriegen. Wissen wir es so genau? Das frage ich mich oft auch bei Äußerungen von Initiativen und Verbänden. Da ist so klar, wie die Kirche der Zukunft sein muss.

Mehr falsch als richtig

Die Autorin
Schwester Katharina Kluitmann, geboren 1964, ist Franziskanerin von Lüdinghausen, Theologin und promovierte Psychologin. Seit 2018 ist sie Vorsitzende der Deutschen Ordens­obernkonferenz DOK und zudem Delegierte beim Synodalen Weg.

Im Jahr 1215 tagte das Vierte Lateran-Konzil und beschloss eine der für mich wichtigsten Lehren der Kirche. Eine Lehre, die heute sträflich vernachlässigt wird: die Analogielehre. Was das ist? Die Analogielehre besagt, dass alles, was wir von Gott wissen und sagen können, immer mehr falsch als richtig ist. Dieser Analogielehre möchte ich ein Denkmal errichten, ein lebendiges, flexibles, ständig in Bewegung.

Denn mal ehrlich: Schon über uns selbst können wir oft gar nicht so genau Auskunft geben. Als Psychologin habe ich erfahren, dass nur wenige Menschen sagen können, was sie gerade fühlen. Auch unsere Motivationen sind uns oft nicht klar. Wie können wir da über andere Menschen Bescheid wissen? Auch in politischen Kommentaren. Da wird vorhergesagt, was ein Politiker als Nächstes tun wird. Natürlich widersprechen sich die Kommentare meist. Und wenn wir dann gar an Gott denken. Was wissen wir denn schon?

Hören. Ringen. Suchen.

Muss also alles im Vagen bleiben? Werden wir so handlungsunfähig? Nein, das glaube ich nicht. Wir haben viel weniger Wissen als wir uns oft anmaßen. Aber wir haben unsere Eindrücke und Ideen, unsere Erfahrungen und Zweifel, unsere Gefühle. Die können wir teilen, in ihrer ganzen Vielfalt. „Synodalität“ nennt man das heute. "Syn"+"Hodos" - gemeinsam plus Weg! Gemeinsam unterwegs sein. Austauschen. Hören. Ringen. Suchen. Immer gemeinsam. Immer auf dem Weg.

Ich weiß nicht, ob ich richtig liege. Aber ich glaube, dass wir da noch viel lernen müssen, lernen dürfen. In unseren Gemeinschaften und Familien, in den Gemeinden und der Politik – und gern auch in Rom.

In unseren Gast-Kommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

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