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Der Religionssoziologe Michael Ebertz sagt, die Kirche müsse sich davon verabschieden, "mit ihren Pfarreien das ganze Land abzudecken". Stattdessen brauche es "geistliche Tankstellen" unterschiedlicher Prägung. Dafür würden die Menschen auch Wege in Kauf nehmen, erwartet er.
Die Kirche muss aus Sicht des Religionssoziologen Michael Ebertz stärker auf das Individuum und auf unterschiedliche soziale Gruppen zugehen. Sie müsse sich davon verabschieden, "quasi staatsanalog zu sein und mit ihren Pfarreien das ganze Land abzudecken", sagte Ebertz bei "katholisch.de".
Die Kirche "müsste Menschen unterschiedlicher Milieus 'spirituelle Tankstellen' bieten. Orte, an denen sie 'geistliche Lebensmittel' bekommen, etwas für ihr Leben". Um an solche Orte zu gehen, nähmen Menschen durchaus entsprechende Entfernungen in Kauf.
"Hotspots" für Traditionellere wie für andere Milieus
Die Kirche müsse sich zudem stärker "auf das Individuum beziehen mit seinen Beziehungen, Sorgen und Nöten", forderte Ebertz. "Wir wissen, dass im Alltag vieler Menschen Religion keine Rolle spielt. Sie bewegen sich in religionsfreien Zonen. Bei Lebensbrüchen aber wie einer Trennung, da wollen sie Trost und Orientierung, da brauchen sie Erlösung. An wichtigen Lebensübergängen wie Hochzeiten wünschen sie sich eine Symbolisierung dieses für sie so wichtigen Ereignisses - also zum Beispiel eine kirchliche Trauung." Kirche könne eine "mobile Einsatztruppe" werden und nicht statisch bleiben.
Ebertz sagte, er könne sich künftig "geistliche Milieu-Hotspots" vorstellen, die nicht mehr nach dem Territorialprinzip ausgerichtet seien. Etwa "für die Traditionellen mit Heiligen-Verehrung, Prozessionen und Rosenkranz, bitte aber auch ein Hotspot für die Sozialökologischen, die noch an eine bessere Gesellschaft der Zukunft glauben und sonst zu einer neuartigen 'Naturreligion' abwandern".
Das Digitale wird vernachlässigt
Wenn Kirche unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen in ihren Bedürfnissen anspreche, könnte sie vielleicht wieder wachsen. Er sei aber skeptisch, ob das gelinge.
Die digitalen Gottesdienste in der Corona-Pandemie nannte der Religionssoziologe zum Teil durchaus gelungen. "Die Reichweite der Gottesdienstgemeinde hat sich manchenorts vergrößert, wenn auch nicht alle Kirchenmitglieder ans Internet angeschlossen sind."
Ihn wundere, dass Präsenz-Gottesdienste nach der Pandemie als "Allheilmittel" gälten. Stattdessen könne die Kirche über digitale Formate die Milieus ansprechen, die ohnehin ausschließlich digital unterwegs seien. "Und Gottesdienste sind da nur ein Beispiel."